Fußball EM der Frauen:"Das allein reicht nicht"

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"Es muss jetzt einfach mal im Spiel knallen": Dzsenifer Marozsan (Nr.10) nach dem knappen 2:1 gegen Italien. (Foto: Maja Hitij/getty)

Vor dem letzten Gruppenspiel gegen Russland verschärft Bundestrainerin Steffi Jones deshalb den Tonfall.

Von Anna Dreher, Sint-Michielsgestel

Josephine Henning überlegte kurz. Dann nahm sie das Glas Wasser vor sich in die Hand, hielt es gegen das Licht und trank einen Schluck daraus. "Joa", sagte Henning und grinste, "also das ist immer noch halb voll." Die 27-jährige Abwehrspielerin wollte bei der Pressekonferenz am Tag nach dem 2:1 gegen Italien im zweiten EM-Gruppenspiel ihre Antwort auf die Frage nach dem Innenleben der Frauenfußball-Nationalelf möglichst plastisch deutlich machen. Denn trotz der drei Punkte gegen Italien und dem Auftaktpunkt gegen Schweden (0:0) war ja nicht ganz klar, wie es nun eigentlich um die Stimmung im deutschen Teamcamp in den Niederlanden bestellt ist. Während andere Nationen mit vier Punkten glücklich wären, gab es im Team von Trainerin Steffi Jones Grund zur Selbstkritik.

Sich als Favorit zu fühlen und auch so wahrgenommen zu werden, reicht irgendwann nicht mehr

Der Olympiasieger - und Titelverteidiger - laboriert gerade an Symptomen, die früh entdeckt und im Training auch behandelt, aber eben immer noch nicht effektiv bekämpft werden konnten: Die Spielerinnen nutzen ihre Torchancen nicht. Und davon gab es bisher ziemlich viele.

Gegen Schweden ließen die Deutschen elf Gelegenheiten aus. Gegen Italien brauchte es trotz acht guter Möglichkeiten die Hilfe von Torfrau Laura Giuliani, die den Ball nicht zu fassen bekam, bevor Henning das erlösende erste Turniertor für Deutschland köpfeln konnte; das zweite erzielte Babett Peter per Elfmeter. Die Torbilanz liest sich also so: ein Standard, zwei Innenverteidigerinnen. Später war immer wieder zu hören, es sei doch egal, wer treffe, Hauptsache, man gewinne. Das stimmt natürlich, Tor ist Tor. Nur ist es für die innere Ruhe einer Mannschaft eben nicht ganz unwichtig zu wissen, dass man nicht auf Standards oder gegnerische Fehler hoffen muss, sondern sich seine Chancen selbst erspielen und vor allem: selbstbewusst verwandeln kann. Mit Ruhe, Konzentration, Präzision und, okay, auch mal mit Glück.

Sich als Favorit zu fühlen und auch so wahrgenommen zu werden, reicht eben irgendwann nicht mehr, wenn das erklärte Ziel "Europameister" lautet - vermutlich deshalb wurde Steffi Jones ihrem Team gegenüber entsprechend deutlich. "Wir sind jetzt an einem Punkt, wo wir wahnsinnig viel Vertrauen ausgesprochen haben und die Mannschaft das ganz toll umsetzt", sagte die 44-Jährige. "Das allein reicht aber nicht. Wir müssen auch Tore schießen und aus unseren Fehlern lernen. Sonst wird es schwer, das Ziel zu erreichen."

Jones hat gute Technikerinnen wie Dzsenifer Marozsán, Sara Däbritz und Lina Magull in ihren Reihen, die alle ein Spiel lenken können, EM-Neuling Kristin Demann hat das ebenfalls gezeigt. Und auch eine Reihe weiter vorne stehen Jones spielstarke Stürmerinnen zur Verfügung. Svenja Huth wies ihre Begabung gegen Schweden bis zu ihrer Verletzung ebenso nach wie Anja Mittag und vor allem Mandy Islacker, beste Torschützin der vergangenen zwei Spielzeiten in der Bundesliga. Alle passen gut in das von Jones neu etablierte, offensive Spielsystem im 4-4-2 mit Mittelfeldraute - aber trotz spielerischer Dominanz drängt sich nun ein Verdacht auf, den Jones schon vor der EM hegte: Eigentlich komme dieses Turnier zu früh.

Die Anzahl der Tore könnte auch darüber entscheiden, ob die Gastgeber als Gegner drohen

Seit September 2016 sind Steffi Jones und ihr Team um Co-Trainer Markus Högner im Amt, nach Olympia beendeten erfahrene Spielerinnen wie Saskia Bartusiak, Annike Krahn und Melanie Behringer ihre Karriere. Zwölf von 23 Spielerinnen dieses Kaders haben noch nie an einem Turnier teilgenommen und in dieser Konstellation auch noch nicht oft zusammen gespielt. Hinzu kommt, dass Steffi Jones die Qualität und Variabilität ihres veranlagten Kaders schätzt - und eben auch nutzt. Bis auf die Mittelachse aus Torhüterin Almuth Schult, Abwehrchefin Peter, Däbritz und Marozsán werde es auf allen Positionen Veränderungen geben, sagte sie.

Manche Abläufe sind also, wie gegen Schweden und Italien zu sehen, schlichtweg noch nicht eingespielt. Bälle wurden oft dorthin gepasst, wo eine Mitspielerin vermutet wurde, aber keine (mehr) war.

Gruppenphase, schwere Phase - das Muster dieses Turniers fügt sich in den letzten EM-Eindruck der Deutschen. Während sie 2009 noch mit 10:1 Toren als Tabellenführer ins Viertelfinale einzogen, taten sie sich 2013 ähnlich schwer wie diesmal. Drei Tore reichten, um weiterzukommen und mit jeweils nur einem Treffer in den folgenden Spielen Europameister zu werden. Damals gab es eine teaminterne Aussprache ohne Trainerin, heute betont die Mannschaft ihre Harmonie. "Die EM 2013 ist Vergangenheit. Wir sind jetzt ein völlig anderes Team", sagte Marozsán. "Es muss jetzt einfach mal im Spiel knallen, damit der Knoten platzt." Auch die Fähigkeiten der Ausnahmespielerin reichten bisher nicht aus, um die deutsche Torflaute zu beenden - oder gar nicht erst aufkommen zu lassen.

Die DFB-Frauen sind nun Zweiter in Gruppe B, punktgleich hinter Schweden. Um das Viertelfinale aus eigener Kraft zu erreichen, brauchen sie gegen Russland am Dienstag zumindest ein Remis. Mehr Tore für eine bessere Ausgangslage könnten jedenfalls dabei helfen, potenziell unangenehmen Gegnern wie den Niederlanden aus dem Weg zu gehen. "Wir müssen geradliniger und konsequenter werden", sagt Jones. "Je mehr Chancen man liegen lässt, desto mehr fängt man an zu zweifeln. Die Spielerinnen müssen einfach wieder merken, dass das Tor der Freund ist."

© SZ vom 24.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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