Fußball-Bundesliga:Die Gefühlsgeschüttelten entgehen der Apokalypse

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Nach dem 2:0 gegen schwache Wolfsburger und dem Happy End mit Asamoah erklärt Schalke 04 die Stille-Post-Affäre für beendet.

Christoph Biermann

Wäre der FC Schalke 04 ein Theater, müsste dies wohl bald schließen. Denn auf der Bühne in einem solch abenteuerlichen Tempo zwischen den Genres zu wechseln, wie es der stets gefühlsgeschüttelte Bundesligist aus Gelsenkirchen zuletzt tat, das könnte kein Schauspielhaus seinem Publikum zumuten. In der vergangenen Woche etwa wurde zunächst das komödiantische Schauerstück um die Stille-Post-Affäre mit Gerald Asamoah gegeben. Es kam eine vereinsinterne Sperre für den Nationalspieler nach verpetzter Kritik am Trainer zur Aufführung.

Alles wieder gut in Schalke. Die Affäre Asamoah sei beendet, heißt es. (Foto: Foto: ddp)

Es folgte die Aussprache, nach der alle auf ihren Positionen beharrten und sich als moralische Sieger bezeichneten, und die Aufhebung der Sperre. Gleich dem Chor in der griechischen Tragödie meldete sich Rudi Assauer aus dem Hintergrund und beschwor, dass Schalke nun wieder zum "Popelverein" werde. (Wobei der Alt-Manager dank seiner Boulevard-Kumpanen langsam, aber sicher in der Rolle des ewig nölenden Schlechte-Laune-Onkels verheizt wird.)

Entsprechend aufgewühlt zog das königsblaue Volk am Samstag in die Arena, und zum Ende der ersten Halbzeit gegen den VfL Wolfsburg war die Stimmung leicht apokalyptisch. "Unter schwermütigen Pfiffen", so Trainer Mirko Slomka, wurde seine Mannschaft in die Kabine geschickt.

Sie hatte kein Tor geschossen und auch nicht sonderlich toll gespielt, da litten die Menschen auf den Tribünen jämmerlich. Doch nur 60 Minuten später sangen und tanzten sie, und überall war Liebe in der Luft als wär's ein Musical.

Gefeiert wurde das heitere Happy End eines Rührstücks, dessen Hauptrolle erneut Gerald Asamoah übernahm. Angesichts der geballten Aufmerksamkeit um ihn gestand er verlegen grinsend: "So im Mittelpunkt zu stehen, geht an niemanden einfach so vorbei."

Abrupter Progamm- und Stimmungswechsel

Lautstark hatten die Zuschauer die Einwechselung des Spielers gefordert, der so lange bei Schalke spielt wie kein anderer im Team, und Asamoah trug auch entscheidend zum abrupten Programm- und Stimmungswechsel bei. Er leitete das 2:0 von Lincoln ein, und danach liefen alle Schalker Spieler zu ihm und herzten den Stürmer wie den endlich wiedergefundenen Sohn.

Schon der Moment seiner Einwechslung dreizehn Minuten vor Schluss wäre fast eine große Versöhnungsszene gewesen. "Ich wollte ihm erst ein Küsschen geben", erzählte Asamoah über seine Begegnung mit Halil Altintop am Seitenrand. Der war angeblich der Denunziant gewesen, der Asamoahs Aufbegehren gegen seinen Trainer gepetzt hatte, doch als Asamoah für ihn eingewechselt wurde, war die Luft voll guter Gefühle. "Gerald kann mich auch gerne küssen", sagte Halil Altintop, "aber erst, wenn wir Meister geworden sind."

Die resozialisierten Asamoah und Altintop sprachen darüber, dass alle Spieler hatten zeigen wollen, dass Schalke eine Mannschaft ist. Slomka beschwor im Strudel der Emotionen hingegen die "Gelassenheit" seiner Mannschaft so häufig, dass man merkte, wie zäh diese erarbeitet war. Immerhin hatte der Coach die Depri-Stimmung in der zweiten Halbzeit mit einem Wechsel und einer Systemumstellung wenden können.

Der 17-jährige Mesut Özil kam für Stürmer Peter Lövenkrands, belebte das Mittelfeld und inspirierte auch Lincoln zu einer deutlich stärkeren Leistung. Endlich kamen die Kombinationen in Fluss, und Schalke wirkte nun wirklich fast gelassen.

So fügte sich gegen die schwachen, destruktiven Wolfsburger alles zu einem Erfolg, den man unter anderen Umständen "Arbeitssieg" genannt hätte. "Dass wir mit der Vereinsführung in dieser Situation konstruktiv und ruhig gearbeitet haben, hat sich auf mich und auf die Mannschaft übertragen", sagte Slomka. Zur Charakterisierung der Stimmung in den Tagen vor dem Spiel im Schatten der Affäre machte er eine erstaunliche Unterscheidung zwischen Gegenwärtigkeit und Präsenz: "Bei uns war das Thema zwar gegenwärtig, aber in der Kabine nicht präsent."

Alles wieder gut in Schalke

Dafür hatte sich am Samstagmorgen der Aufsichtsratsvorsitzende Clemens Tönnies gegenwärtig gezeigt. Er hatte Slomka angerufen und Zeitungsberichte dementiert, nach denen Schalke mit Christoph Daum über seine Nachfolge verhandeln würde.

So war zwar alles wieder gut in Schalke, nur Marcelo Bordon stand noch als Feuerwehrmann auf der Bühne. "Es war ein kleines Problem, aber diese Kleinigkeiten müssen wir demnächst sofort löschen", sagte der Mannschaftskapitän. Daraus sprach das Wissen, dass von Schalke als einer zerklüfteten, in Grüppchen zerfallenden Mannschaft nur zunächst nicht mehr die Rede ist. Doch nach jedem Konflikt, der nicht sofort intern gelöst wird, kann das wieder passieren.

Schalkes Mannschaftskapitän hatte in diesem Zusammenhang auch ein früheres und deutlicheres Eingreifen von Trainer und Manager gefordert, "denn ich will hier mal Deutscher Meister werden." Was die ganz große Aufführung wäre, die sich Schalke ursprünglich zum Ziel gesetzt hat.

© SZ vom 25.9.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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