Führungskrise beim TSV 1860:Lange Monate der Ungewissheit

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Wie geht es weiter nach dem Rücktritt des Präsidiums? Trainer Fröhling erhält einen Vertrag, neue Funktionäre aber finden sich zunächst nicht. Der Verwaltungsrat zaudert.

Von Philipp Schneider und Filippo Cataldo, München

Am Tag nach dem Massenrücktritt der Funktionäre des TSV 1860 hat der Klub am Samstag um seine Handlungsfähigkeit gerungen. Während Finanz-Geschäftsführer Markus Rejek und Sport-Geschäftsführer Gerhard Poschner eilig Fakten schufen und die Verträge von Trainer Torsten Fröhling und Verteidiger Kai Bülow verlängerten, tat sich der Verwaltungsrat während einer kurzfristig einberufenen Krisensitzung schwer damit, Entscheidungen zu treffen. Das Gremium verzichtete darauf, sofort kommissarische Nachfolger für den zurückgetretenen Präsidenten Gerhard Mayrhofer, seine Vizes Erik Altmann und Heinz Schmidt sowie den KGaA-Aufsichtsrat und Beirat Karl-Christian Bay zu benennen. Dies soll in den kommenden Tagen erfolgen. Die Interimsfunktionäre sollen bis zu einer Mitgliederversammlung amtieren. Diese soll spätestens Ende Juli stattfinden.

Am Freitagabend hatte sich das gesamte Präsidium der Löwen mit sofortiger Wirkung zurückgezogen, nachdem Gespräche mit Investor Hasan Ismaik über eine "langfristig tragfähige Lösung" abgebrochen wurden. Sie waren gescheitert.

In ihrer letzten Amtshandlung hatten Mayrhofer und Co. aber dem umstrittenen Sport-Geschäftsführer Gerhard Poschner erlaubt, die auslaufenden Verträge von Cheftrainer Torsten Fröhling und von Verteidiger Kai Bülow zu verlängern. Bülow hatte den Löwen mit seinem Tor in der Nachspielzeit im Relegationsspiel gegen Kiel erst eine weitere Saison in der zweiten Liga beschert. Er unterschrieb einen Einjahresvertrag. "Weiterhin ist unser primäres Ziel, die Kaderplanungen im Rahmen unserer Möglichkeiten sinnvoll voranzutreiben", ließ sich Poschner in einer von der KGaA verschickten Pressemitteilung zitieren. Mayrhofer und Co. hatten sich von Poschner trennen wollen. Dessen verfehlte Transferpolitik sahen sie als hauptverantwortlich für den Beinahe-Absturz in der abgelaufenen Saison an. Stattdessen hätte das Präsidium am liebsten Felix Magath als neuen starken Mann installiert. Den wiederum wollte Ismaik nicht, der stattdessen Poschner protegiert. Der umstrittene Sportchef wird nun bis auf weiteres im Amt bleiben.

Ebenso gescheitert war am Freitag der Versuch des zurückgetretenen Präsidiums, Ismaik ein Angebot zu machen, das er nicht ablehnen konnte und den Jordanier somit zum Verkauf seiner Anteile zu überreden. Das beim TSV 1860 München ohnehin traditionelle Führungs-Chaos droht trotz der Klärung der Trainerfrage eine nicht vorstellbare Dimension zu erreichen.

Wie geht es jetzt weiter?

Der Verein ist derzeit de facto führungslos und kaum handlungsfähig, was er laut Satzung und Bürgerlichem Gesetzbuch nicht sein darf. In der jetzigen Situation eine maximal verzwickte Lage. Laut Artikel 11.2.3. der Satzung des TSV 1860 muss der Verwaltungsrat nun für jedes ausgeschiedene Präsidiumsmitglied ein Ersatzmitglied "für die Zeit bis zur nächsten (gegebenenfalls außerordentlichen) Mitgliederversammlung" wählen. Auf der Krisensitzung am Samstag verständigte sich der Verwaltungsrat darauf, dies in den kommenden Tagen zu erledigen. "Das Übergangspräsidium wird in seiner ersten Amtshandlung zu einer Mitgliederversammlung laden, die spätestens bis Ende Juli durchgeführt werden wird", kündigt Verwaltungsrat Christian Waggershauser an. Es sollen so schnell wie möglich alle derzeit vakanten Posten (mindestens zwei Präsidiumsmitglieder, zwei Posten im Geschäftsführungs-Beirat und drei Aufsichtsräte der KGaA) besetzt werden. Vor allem, um der Satzung Rechnung zu tragen. Das Interimspräsidium soll bis zur Mitgliederversammlung amtieren, die ursprünglich diesen Sonntag hätte stattfinden sollen, von Mayrhofer und Co. am Freitagmittag jedoch wegen des verlorenen Machtkampfs mit Investor Ismaik abgeblasen worden war. Nun soll sie bis spätestens Ende Juli nachgeholt werden. Auf der Mitgliederversammlung wählen die Mitglieder einen neuen Verwaltungsrat, der daraufhin ein Präsidenten-Casting veranstalten soll, um den neuen starken Mann des Vereins zu finden. Auch Mayrhofer war vor rund zwei Jahren im Rahmen eines solchen Castings des Verwaltungsrates gefunden worden. Der Gewinner des Castings würde dann auf einer späteren Versammlung den Mitgliedern zur Wahl gestellt werden. Es ist gut möglich, dass alle substanziellen Verhandlungen mit Ismaik bis dahin ruhen werden. Das neue ordentliche Präsidium dürfte wohl frühestens im September amtieren. Den Löwen drohen weitere lange Monate der Ungewissheit.

Sport-Geschäftsführer Gerhard Poschner (r.) verlängerte den auslaufenden Vertrag von Cheftrainer Torsten Fröhling (l.). (Foto: imago)

Finanz-Geschäftsführer Markus Rejek betonte am Samstag schon vor der Entscheidung des Verwaltungsrates gleichwohl, dass der Klub auch jetzt "absolut handlungsfähig" sei und er die "notwendigen Planungen und Maßnahmen insbesondere im Sport entsprechend unserer abgestimmten Finanzplanung angehen" könne.

Wer könnte nun Mayrhofers Amt übernehmen?

Die Frage müsste eher lauten: Wer würde sich das Amt jetzt nach der Selbstopferung Mayrhofers und Co. überhaupt noch antun wollen? Am Samstag sah sich der Verwaltungsrat jedenfalls außerstande, sofort die Posten zu besetzen. Auf die Schnelle einen unabhängigen Kandidaten zu finden, der bisher nicht als Funktionär aufgetaucht ist bei den Löwen und dessen Verhältnis zu Ismaik noch gänzlich unbelastet ist, wird für den Verwaltungsrat ohnehin kaum möglich sein. Viel wahrscheinlicher ist darum, dass das Kontrollgremium jemanden aus seiner Mitte entsendet, der allerdings nur bis zur Mitgliederversammlung amtieren soll. Um die große Lösung soll sich der neue Verwaltungsrat kümmern.

Am Samstag kam außerdem heraus, dass der bisheriger Verwaltungsratschef Siegfried Schneider bereits vergangene Woche von seinem Amt zurückgetreten war. Neuer Verwaltungsratsvorsitzender ist bis zur Mitgliederversammlung Muffathallen-Chef Christian Waggershauser, der bisherige Stellvertreter. Schneider, der frühere Staatsminister und jetzige Leiter der Bayerischen Landezentrale für neue Medien, galt bis Samstagnachmittag als ein Favorit auf den Posten des Interimspräsidenten.

Wieso hat Mayrhofer Poschner nicht mit seiner Präsidentenstimme entlassen?

Rein formal hätte er das tatsächlich tun können. Im Geschäftsführungs-Beirat, das über die Bestellung und Entlassung von Geschäftsführern entscheidet, sitzen zwei Vertreter des Vereins (bisher eben Mayrhofer und Bay) und zwei des Investors (Ismaik selbst und sein Statthalter Noor Basha). Im Falle einer Pattsituation könnte der Verein am Beirat vorbei eine Entscheidung zu seinen Gunsten erzwingen. Doch das Gremium hätte tagen müssen, damit es überhaupt zur Abstimmung hätte kommen können.

Die Nachfolge von 1860-Präsident Gerhard Mayrhofer bleibt vorerst ungeklärt. (Foto: Armin Weigel/dpa)

Dem Vernehmen nach weigerte Ismaik sich mehrmals, der Einladung zur Beiratssitzung zu folgen. Mayrhofer entschied sich dagegen, an Ismaik vorbei eine Entscheidung zu treffen. Auch aus Sorge, dass Ismaik seine Darlehen aufkündigen könnte. Zumindest eines der zwischenzeitlich in Genussscheine umgewandelte Darlehen Ismaiks läuft zum Jahresende aus. Der Klub hätte mindestens sechs Millionen Euro an liquiden Mitteln auftreiben müssen, um einer Strafe durch die DFL zu entgehen - oder gar insolvent zu werden.

Auch der Verwaltungsrat verzichtet nun vorerst darauf, sich auf die 50 + 1-Regulaien zu beziehen und Poschner zu entlassen. Wohl aus denselben Motiven wie zuvor das Präsidium - und um Ismaik nicht zu brüskieren.

Müsste die DFL nicht eingreifen?

Nicht, solange Verein und Investor die Satzung befolgen. Das Präsidium ist freiwillig zurückgetreten. Bei den Gesprächen mit Ismaik ging es nicht nur um die Causa Poschner, sondern auch um einen möglichen Verkauf von Ismaiks Anteilen an ein bislang anonymes Konsortium. Aber: Keiner kann Ismaik zwingen, seine Anteile zu verkaufen. Das vorläufige Scheitern der Verhandlungen widerspricht nicht 50+1. Klar ist aber: Vereinsvertreter und Ismaik haben die sicher gut gemeinte Regel der DFL in der gelebten Realität nicht zum ersten Mal ad absurdum geführt.

Vorläufig gescheitert ist nun zumindest die Option, Felix Magath zum neuen starken Mann bei 1860 zu machen. Der Meistertrainer des FC Bayern und VfL Wolfsburg war der Wunschkandidat des zurückgetretenen Präsidiums und des Verwaltungsrates. Außerdem soll auch das nicht näher bekannte Konsortium, das Ismaiks Anteile übernehmen möchte, hinter Magath zu stehen. Mit mindestens einem Mitglied des Konsortiums soll Magath auch geschäftlich verbunden sein.

© SZ vom 21.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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