FSV Mainz:Schuldenfrei in Existenznot

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Mainzer Kapital für die Zukunft: Stürmer Jean-Philippe Mateta hat einen Marktwert von 22 Millionen Euro aber gelten solche Summen noch? (Foto: Torsten Silz/dpa)

Mainz hat sich mit cleveren Transfers als finanziell gesunder Mittelklasse-Klub etabliert. Doch sollten hohe Erlöse im Sommer fehlen, könnte das gefährlich werden.

Von Frank Hellmann, Mainz

Im Normalfall ist die Arbeit gut aufgeteilt: Alles was mit Öffentlichkeitsarbeit beim Bundesligisten FSV Mainz 05 zu tun hat, landet entweder bei Mediendirektor Tobias Sparwasser oder bei Pressesprecherin Silke Bannick. Sparwasser leitet die Kommunikation für den Vorstand, Bannick ordnet den Kontakt zu Trainern und Spielern - und sitzt bei Pressekonferenzen auf dem Podium. Doch die Corona-Krise verändert auch ihren Alltag massiv. Seit Monatsanfang arbeitet das Mainzer Duo aus Containerbauten vor dem alten Bruchwegstadion im Schichtbetrieb: In der ersten April-Woche hat Sparwasser die Pressearbeit erledigt, die zweite Woche bis Ostern übernimmt Bannick.

Selbst der Dienstbereich "Medien und Kommunikation" ist beim Bundesligisten aus Rheinhessen von drastischen Einschnitten betroffen: Neun der zwölf Mitarbeiter aus dieser Abteilung sind in Kurzarbeit gegangen. Insgesamt hat es beim Verein drei Viertel der Festangestellten getroffen, für die seit 1. April Kurzarbeit gilt. Die einschneidenden Maßnahmen seien zur Vermeidung von Liquiditätsengpässen unerlässlich, hieß es. Vereinschef Stefan Hofmann spricht von einem "echten Stresstest", wegen der Einnahmeausfälle müsse der Klub "komplett auf links" gekrempelt werden. Überall wurde der Rotstift angesetzt, auch der Bau einer neuen Geschäftsstelle ist bis auf weiteres verschoben.

13 von 36 Klubs der DFL sollen bis Juni in Insolvenzgefahr sein, falls die Saison nicht weitergeht

Mainz 05 ist nur ein Beispiel von vielen Klubs der Bundesliga, die gerade streng zu sparen versuchen. Die jüngsten Meldungen dazu kamen aus dem Westen: Fortuna Düsseldorf, berichtete Bild, erzielte eine Einigung mit den Spielern, 25 Prozent ihrer Gehälter einzusparen. Die Kölnische Rundschau meldete am selben Tag, dass der 1. FC Köln rund 70 Mitarbeiter in Kurzarbeit schickt. Doch für manche Liga-Standorte wird es offenbar trotz aller Sparmaßnahmen schon in Kürze eng: Laut Kicker droht 13 von 36 Profiklubs noch in dieser Saison, also bis Ende Juni, die Insolvenz, falls nicht bald wieder gespielt wird. Ein Bundesligist, hieß es, sei sogar akut bedroht und könne seinen Verpflichtungen nur noch bis Mai nachkommen. Das Blatt bezieht sich auf die Video-Mitgliederkonferenz der Deutschen Fußball Liga, Namen der Vereine wurden nicht genannt.

In Mainz können mehr als zehn Millionen Euro eingespart werden, weil Spieler, Trainer und die sportliche und kaufmännische Führungsebene bis Juni auf bis zu 25 Prozent Gehalt verzichten - und auch die ehrenamtlichen Aufsichtsratsmitglieder auf ihre Aufwandsentschädigungen. Diese Summe hat der kaufmännische Vorstand Jan Lehmann errechnet. Er versichert: "Die Liquidität ist über den Sommer hinaus gesichert." Der 49-Jährige war früher bei der DFL für Unternehmensentwicklung zuständig und begleitete auch die Medienrechte-Ausschreibung. Diese Erfahrung hilft dem promovierten Wirtschaftswissenschaftler nun ebenso wie seine frühere Arbeit als Unternehmensberater.

Grundsätzlich seien die Nullfünfer ein Klub, sagt Lehmann, "der nahezu schuldenfrei" ist. Aber der selbst ernannte Karnevalsverein Mainz steht finanziell auch nicht so gut da, wie das vielleicht immer angenommen wurde. 05 spielt das elfte Jahr in der Bundesliga und galt bisher als kerngesundes Vorzeigebeispiel dafür, dass sich auch kleinere Standorte - die Landeshauptstadt von Rheinland-Pfalz hat 210 000 Einwohner - im Haifischbecken der deutschen Beletage behaupten.

Heimspiele finden längst nicht mehr wie noch unter Trainer Jürgen Klopp in der "Blechbüchse" statt, wie der ehemalige Präsident Harald Strutz die mit Stahlwänden geschützte alte Spielstätte am Bruchweg nannte. Die 2011 eröffnete Nachfolge-Arena mit fast 34 000 Plätzen wurde mit Eigenmitteln gebaut; fünf Jahre nach dem Einzug wurden hier sogar Europa-League-Spiele ausgetragen. Und doch ist 2020 auch Mainz wirtschaftlich mehr auf Kante genäht als allgemein vermutet wurde. Denn in der bisher letzten prächtigen Jahresbilanz - mit einem Rekordumsatz von 145,4 Millionen Euro - steckten fast 56 Millionen Euro an Transfererlösen.

Auf eine ähnliche Summe beläuft sich das Eigenkapital, erklärt Lehmann. Mainz ist aber Sonderfall und Sorgenkind zugleich, weil das Geld größtenteils nicht auf einem Girokonto und erst recht nicht auf einem Festgeldkonto liegt, sondern sich zum Großteil in den aktivierten Spielerwerten versteckt. Die Mainzer haben in jüngerer Vergangenheit gerne für sechs, sieben, acht Millionen Euro Ablöse vorzugsweise junge Franzosen, Spanier oder Niederländer verpflichtet, um diese später gewinnbringend weiterzuverkaufen: "Die Spieler sind unser Kapital", heißt es.

Sportvorstand Schröder soll weitere Spieler verkaufen - notfalls auch unter Marktwert

Dieses Prinzip funktionierte in jüngerer Vergangenheit prächtig: Erst vergangenen Sommer brachte der nach Everton transferierte Jean-Philippe Gbamin 25 Millionen ein, 2018 spülte der Verkauf von Abdou Diallo nach Dortmund sogar 28 Millionen in die Kasse. Aktuell würden unter normalen Verhältnissen Mittelstürmer Jean-Philippe Mateta (22 Jahre/Marktwert laut transfermarkt.de 22 Millionen Euro), Torjäger Robin Quaison (26 Jahre/13 Millionen) oder Verteidiger Moussa Niakhaté (24 Jahre/ 14 Millionen) als nächste Verkaufskandidaten die höchsten Werte abbilden.

Problematisch jedoch werden die in den Büchern stehenden Zahlen - die Ablösesummen müssen über die Vertragslaufzeit abgeschrieben werden - für solche Spieler, wenn der Transfermarkt bald quasi zum Erliegen käme. Jene Drohkulisse musste Finanzvorstand Lehmann in seine Erwägungen einspeisen. In dem von der DFL angeforderten "Worst-Case-Szenario" für den Fall eines kompletten Saisonabbruchs kämen die Mainzer auf einen Fehlbetrag von mehr als 25 Millionen Euro - allein 16 Millionen stehen noch aus Medienerlösen aus. Auch deshalb wird mit aller Hartnäckigkeit für eine Fortsetzung der Saison ohne Zuschauer plädiert. Dass die Spielzeit mit einem kräftigen Minus endet, ist ohnehin nicht mehr zu vermeiden.

Wenn es irgendwie geht, soll der Mainzer Sportvorstand Rouven Schröder im Sommer wieder Verkäufe tätigen, selbst wenn einige der besten Spieler dann unter Marktwert fortzögen. Die Hoffnung ruht, so ist in Mainz zu hören, auf der Premier League, weil auf dem englischen Markt immer noch genug Geld vorhanden sein sollte, um sich bei einem deutschen Mittelklasseklub zu bedienen. Existenzbedrohend könnte es aber für das gesamte Mainzer Geschäftsmodell werden, wenn sich über mehrere Transferperioden keine ordentlichen Erlöse erzielen ließen. Immerhin sind sich die Verantwortlichen sicher, dass sie dank ihres Maßnahmenkatalogs nicht der erste Erstligist sein werden, der in die Knie geht, falls die Krise sich noch ausweitet.

© SZ vom 06.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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