FSV Mainz 05:Spätzünder mit Erfolgsgarantie

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Bundesliga-Aufsteiger Mainz 05 spezialisiert sich auf aufregende Rettungen in letzter Sekunde - so auch beim unfasslichen Endspurt gegen Meister Bremen.

Ulrich Hartmann

Bei Zorro war es immer so: Am Ende jeder Fernsehfolge hatten die Bösewichter den guten Mann mit der Peitsche im Schwitzkasten und drohten ihm die Maske vom Gesicht zu reißen. Man hat gedacht: Diesmal haben sie ihn. Und dann? Nichts. Zorro entkam, rettete sich irgendwie doch noch aus der Bredouille und ritt als moralischer Sieger von dannen, geradewegs hinein in die nächste Folge, in der ihm genau das Gleiche passieren würde. Gerettet in letzter Sekunde. Das Genre nannte man Cliffhanger.

Bei den Heimspielen des FSV Mainz 05 ist es meistens so: Zwischendurch stecken die Spieler vom Bundesliga-Aufsteiger ganz schön in Schwierigkeiten, dann droht ihnen die erste Heimniederlage in ihrer ersten Bundesliga-Saison. Man denkt dann immer: Diesmal erwischt es sie. Und dann? Nichts. Die Mainzer verlieren nicht, meistens drehen sie das Spiel sogar noch, tanzen als moralische Sieger vor ihren berauschten Fans und freuen sich strahlend auf das nächste Heimspiel, in dem ihnen das Gleiche widerfährt. Gerettet in letzter Sekunde.

In Mainz ist der Bundesliga-Fußball wie eine turbulente Fernsehserie, als schreibe da jedes Mal jemand ein wahnwitziges Drehbuch. In der vierten Folge der rheinhessischen Erfolgsserie hatten es die sympathischen Helden mit Werder Bremen zu, dem Pokalsieger und Deutschen Meister, und bis kurz vor Schluss sahen die Mainzer wie die sicheren Verlierer aus. 0:1 lagen sie zurück, weil Bremens Charisteas sein erstes Saisontor für Bremen erzielt hatte (56.).

Blendende Kondition und stählerne Nerven

Doch als eigentlich schon keiner mehr damit rechnete, erzielte der eingewechselte Niclas Weiland das 1:1-Ausgleichstor (83.), und in der 90. Minute erzielte Benjamin Auer sogar noch das 2:1. Er fasste sich wie von Sinnen an den Kopf, als könne er nicht glauben, dass das Unglaubliche schon wieder wahr geworden war. Trainer Jürgen Klopp, dem es wohl ähnlich ging, saß nachher in der Pressekonferenz und witzelte: "Ist doch schön, wenn ich nach jedem Heimspiel das Gleiche sagen kann."

Er sagt dann immer, dass er stolz sei auf seine Jungs, dass die Jungs das auch sein könnten, dass sie sensationell gespielt und Moral bewiesen hätten und so weiter. Und er hat ja Recht. Zum fünften Mal in dieser erst acht Spiele alten Saison haben die Mainzer ein 0:1 ausgeglichen, zum zweiten Mal haben sie ein 0:1 in einen 2:1-Sieg umgewandelt, und zum zweiten Mal hintereinander haben sie den Siegtreffer in der allerletzten Minute erzielt.

So etwas zeugt von Kampfgeist, von blendender Kondition und vor allem von stählernen Nerven, und wenn schon den Spielern und dem Trainer kein triftiger Grund einfällt für eine derartige mentale Schlüsselqualifikation, dann könnte es vielleicht noch von den knapp verpassten Bundesliga-Aufstiegen stammen. Zweimal hintereinander sind die Mainzer nur tragischer Vierter geworden in der Zweiten Liga und haben binnen Sekunden alles verloren, was ein Fußballer so verlieren kann.

Aber jetzt, in der Bundesliga, haben sie nichts mehr zu verlieren, deshalb rennen sie gegen Leverkusen, gegen Dortmund und gegen Bremen so lange sie nur können und schaffen es irgendwie immer, den Ball noch ins Tor zu zwingen. Elf ihrer zwölf Saisontreffer haben die Mainzer erst in der zweiten Halbzeit geschossen. Spätzünder mit Erfolgsgarantie. Jetzt sind sie jedenfalls Dritter in der Bundesliga-Tabelle.

Mainz steht vor München und Bremen, vor Dortmund und Schalke, und das hat nichts damit zu tun, dass die Mainzer technisch versierte Fußballer wären. Das sind sie nämlich nicht. Sie spielen viele Fehlpässe, legen sich die Bälle oft zu weit vor, sind langsamer als viele Kontrahenten und offenbaren weitere technische Mängel. Aber was sie ziemlich perfekt demonstrieren, sind Stellungsspiel, Raumaufteilung und Pressing. Die Gegner können sich nicht entfalten, finden wenig Lücken, haben kaum Raum zur Kreativität.

Auch den Bremern ging das am Samstag so, und weil sie nach dem 1:0 fälschlicherweise glaubten, sie könnten das Spiel nach Hause schaukeln, sind sie bestraft worden. Sie haben mit wenig Aufwand maximalen Ertrag gewittert, weil es am Mittwoch in der Champions League nach Anderlecht geht. "Natürlich will man so ein Spiel im Hinblick auf Mittwoch kontrollieren", hat Manager Klaus Allofs hinterher verständnisvoll gesagt, während der Trainer Thomas Schaaf von den Mainzern gelernt haben will, "dass man so ein Spiel gewinnen kann, wenn man mit Begeisterung bei der Sache ist".

In Bremen sind sie das zurzeit nicht so oft. Spielmacher Johan Micoud wirkt immer häufiger lustlos und trotzig. Am Samstag hat er nicht nachgesetzt und nur verärgert abgewinkt, als er vor der entscheidenden Szene zum 1:2 den Ball verloren hatte. In vier von sechs Bundesligaspielen waren die Bremer zuletzt unterlegen und müssen um den Anschluss an die Tabellenspitze fürchten. Die Erfolge der vergangenen Saison haben sie nachlässig werden lassen. Sie sollten sich unbedingt ein paar alte Folgen von Zorro ansehen.

© Süddeutsche Zeitung vom 18.10.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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