French Open:Der Mann mit den Daumenschrauben

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Roger Federer steht im Halbfinale von Paris eine entscheidende Prüfung für den Rest seiner Karriere bevor.

Von Claudio Catuogno

Noch ist es vermutlich zu früh, an Boris Becker zu denken, an seine Tennis-Karriere, die am Ende nur einen Makel aufwies: nie die French Open gewonnen zu haben. Oder an Pete Sampras, die langjährige Nummer eins, der sich doch stets vergeblich mühte auf dem roten Sand von Roland Garros.

"Habe Vertrauen in mein Spiel": Roger Federer (Foto: Foto: Reuters)

Der Schweizer Roger Federer jedenfalls sagt: "Ich habe Vertrauen in mein Spiel." Drei der vier Grand-Slam-Turniere hat Federer im Jahr 2004 gewonnen, er führt die Weltrangliste an, nun steht er auch in Paris zum ersten Mal im Halbfinale.

Sein Vorteil: Er ist erst 23, er hat noch Zeit, er spielt noch nicht gegen einen Fluch der Vergangenheit an. Sein Problem: Auf der anderen Seite des Netzes steht ihm bereits die Zukunft gegenüber. Die hat am heutigen Freitag Geburtstag, wird 19 Jahre alt und heißt Rafael Nadal.

Alles spricht dafür, dass die kommenden drei Tage zu einer entscheidenden Wegmarke in der Karriere des Schweizers Roger Federer werden. Gewinnt er die French Open, geht er als einer der besten Spieler in die Tennis-Geschichte ein; zuletzt holte Andre Agassi auf jedem der vier Untergründe einen Grand-Slam-Titel.

Gewinnt Federer nicht, dann scheitert er auf Sand ausgerechnet zu einer Zeit, in der er dort im Grunde sein bestes Tennis spielt. Nur drei Partien hat Federer in den letzten zwölf Monaten verloren, zuletzt gewann er das Sandplatzturnier in Hamburg, er ist mittlerweile das Maß aller Dinge.

Roger Federer hat dem Männer-Tennis Daumenschrauben angelegt mit seiner Dominanz, Rafael Nadal darf man zutrauen, sie wieder zu lösen. Und das, obwohl er zum ersten Mal bei den French Open spielt.

Virtuose mit variablem Spiel

Aber er hat die rote Asche als seine bevorzugte Spielwiese entdeckt, hat zuletzt drei Sandplatzturniere in Serie gewonnen, hat in Paris erst einen Satz abgegeben, hat dabei unter anderem die starken Franzosen Richard Gasquet und Sebastien Grosjean bezwungen, beide ausgewiesene Sandplatzspezialisten, und schließlich noch ohne Probleme den Spanier David Ferrer besiegt.

Nadal hat flinke Beine, er bringt die schwierigsten Bälle zurück, vor allem hat er die auf Sand besonders wichtige Fähigkeit, selbst Druck auszuüben. Zuletzt haben die beiden im Finale von Miami gegeneinander gespielt.

Da schoss der Spanier dem Schweizer die Bälle um die Ohren, holte sich die ersten zwei Sätze, doch am Ende siegte die Routine - Federer gewann in fünf Sätzen. Das war auf dem Hartplatz. Auch auf Sand, sagt sein Trainer Tony Roach, "muss Roger aggressiv bleiben und die Ballwechsel selbst zu einem erfolgreichen Ende bringen".

Federer, daran besteht kein Zweifel, ist der bessere Techniker, der Virtuose, er verfügt über mehr spielerische Mittel und größere Variationsmöglichkeiten. Die Frage ist nur: Wie viel wird ihm das nützen, wenn Nadal versucht, ihn hin und her zu scheuchen, ihn seiner spielerischen Identität zu berauben, zwei Meter hinter der Grundlinie, im taktischen Niemandsland?

"Mein Spiel", sagt Federer, "ändert sich von Match zu Match, je nachdem, gegen wen ich spiele." Bisher hat auch er in Paris stets die richtigen Antworten gefunden. Federer zog sogar ganz ohne Satzverlust ins Halbfinale ein. Für beide wird das Spiel am heutigen Freitag die erste echte Prüfung dieses Turniers.

Vorweggenommenes Finale

Am Donnerstag sind sich Federer und Nadal schon mal sehr nahe gekommen. Bei einem Fotoshooting. Es war ein großes Spektakel, besonders für die beiden, Federer musste lachen, und Nadal schaute mit großen ungläubigen Augen in der Gegend herum.

Die Fotografen steckten ihre Kameras durch die Hecken, sie kletterten auf Bäume und auf die Mauern der umliegenden Stadien, sie drängelten und brüllten. Sie taten, als stünden da nicht nur zwei Halbfinalisten. Damit gaben sie dem Halbfinale die Bedeutung eines vorweggenommenen Endspiels.

Für die anderen zwei Halbfinalisten interessierte sich kaum jemand, weder für den Russen Nikolai Dawidenko, der sich am Mittwochabend 3:6, 6:1, 6:2, 4:6, 6:4 gegen den Spanier Tommy Robredo durchgesetzt hatte, noch für den Argentinier Mariano Puerta, der 6:2, 3:6, 1:6, 6:3, 6:4 gegen seinen Landsmann Guillermo Cañas gewann.

Immerhin: Beide sind zähe Grundlinienspieler, die sich nicht ohne weiteres besiegen lassen werden. Aber sind sie nicht zwangsläufig müde, nachdem beide fünf Sätze in den Knochen haben? Ganz sicher, glaubt man in Roland Garros. Also: Federer oder Nadal? Da will sich lieber niemand festlegen.

Boris Becker jedenfalls hält Rafael Nadal für ein ganz seltenes Ausnahmetalent. "Er ist weiter, als ich es in diesem Alter war", teilte Becker mit, "sein erster Grand-Slam-Sieg scheint nur eine Frage der Zeit zu sein." Roger Federer hat das nicht gerne gehört, so kurz vor der Entscheidung. Jetzt aber bloß nicht daran denken.

© SZ vom 3.6.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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