French Open:Anastasia Myschkina: Die Eiskönigin

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Es war das erste rein russische Damen-Finale auf dem Court Centrale in Roland Garros und Anasatsia Myschkina hat in einem wenig unterhaltsamen Finale die French Open gegen ihre Club-Partnerin Jelena Dementjewa gewonnen.

Von Milan Pavlovic

Es dauerte immerhin 40 Minuten, bis das aufrührerische Publikum in Paris rebellierte. "Amélie!" rief einer der 16 000 Menschen, die am Bois de Boulogne Zeugen einer verpatzten Premiere wurden: zwei Russinnen im Finale der French Open, eine Aufführung, die in dieser Form nicht nach einer Wiederholung ruft. Jelena Dementjewa, eine der Finalistinnen, hatte im Viertelfinale die heimische Favoritin Amélie Mauresmo nach Hause geschickt, und nun war es Dementjewa, die für den fragwürdigen Unterhaltungswert des Endspiels sorgte: indem sie der Gegnerin Anastasia Myschkina mit Fehlern Punkt um Punkt schenkte, am Ende hatte sie der Freundin aus gemeinsamen Moskauer Tennis-Kinder- tagen ungewollt 50 von 62 Punkten serviert, Endstand 1:6, 2:6.

Myschkina war keine aufregende Siegerin, aber eine kluge. Beide Spielerinnen waren vor der Partie nervös, Myschkina heulte sich schon in der Kabine aus. "Ich weiß auch nicht, was los war", sagte sie später, "wenn man zwei Wochen seine Emotionen zurückhält, müssen sie irgendwann raus." Bei ihr passierte es vor dem Finale, so dass sie auf dem Platz relativ unbeschwert wirkte.

"Das war nicht ich"

Bei Dementjewa ging es erst hinterher los, als sie über ihren Aufschlag sprach. Was sie für einen ellenlangen russischen Fluch nach ihrem achten Doppelfehler ausgestoßen habe, wurde sie gefragt, worauf die 22-Jährige etwas verkürzend antwortete: "Ich sagte: ,Ich hasse meinen Aufschlag", was ja auch stimmt."

Dann wurde gefragt, wie gut sie denn mit einem passablen Service sein könnte, und nachdem Dementjewa gesagt hatte: "Wenn ich ohne Aufschlag das Finale eines Grand-Slam-Turniers erreichen kann...", brach sie in Tränen aus. Erklärungen folgten: "Ich war so nervös, ich sah den Ball nicht mehr klar und konnte gar nicht richtig atmen. Ich wurde viel zu ungeduldig, vor allem beim Aufschlag." Sie sei mit dem Druck nicht klar gekommen, das Finale gewinnen zu können, "für mich ist es besser, etwas Angst zu haben. Auf dem Platz war ich unfähig, etwas zu ändern", sagte Dementjewa, "das war nicht ich auf dem Platz heute."

Nicht nur deshalb war es gut, dass Myschkina das Spiel und das Turnier gewann. Nachdem die dunkelhaarige Frau jahrelang ein unberechenbarer Heißsporn gewesen war, wurde sie in Paris zur Eiskönigin, die ihre Gefühle und ihre Ungeduld zu kontrollieren lernte. Diese Entwicklung war verblüffend, da sie in den ersten Runden unbeherrscht aufgetreten war, sie hatte geflucht und getobt und Schläger geschmissen. "Dann habe ich endlich begriffen, dass es niemandem hilft, wenn ich herumschreie - am wenigsten mir", sagte Myschkina, "mein Trainer hat mir in dieser Hinsicht am meisten geholfen."

Jens Gerlach ist ihr Trainer seit dem Frühjahr 2002, und er litt am meisten unter Myschkinas Temperament. "Irgendwo musste ihr Zorn darüber, dass sie nicht perfekt sein kann, ja hin", erzählte Gerlach, "und da diente ich als Ventil." Die beiden waren bis vor sieben Monaten auch privat ein Paar, "dann haben wir gemerkt, dass es zu hart ist, 24 Stunden zusammen zu sein", sagte der Trainer, "sportlich geht es seitdem besser denn je. Unsere Beziehung ist einmalig. Seit Jahresbeginn hat Myschkina zu jener Gefasstheit gefunden, die zum Erfolg führt.

Am Ende von Paris war sie so eisig, dass sie sich nicht einmal nach dem Matchball richtig freute. "Das war ja auch seltsam", rechtfertigte sie sich, "Jelenas Ball war im Aus, aber alle waren still, selbst die Schiedsrichterin sagte nichts, und ich selbst konnte nicht glauben, dass es das jetzt war."

Aber das war es, und bald entschuldigte sie sich öffentlich bei Gerlach: "Ich bin hart und nicht immer einfach, sorry dafür." Noch wichtiger für ihren Erfolg waren Gerlachs taktische Schulungen: "Sie hat begriffen", sagte Gerlach, ¸¸dass ein eigener Punkt genauso viel zählt wie ein Fehler der Gegnerin."

In Paris zum Profi

Sie habe Dementjewas Schwächen ausgenutzt, erläuterte Myschkina ihre Endspiel-Taktik: ¸¸Ich weiß, dass sie gerne mit hohem Tempo spielt, also habe ich es etwas rausgenommen." Auf ähnliche Weise hatte sie Venus Williams und Jennifer Capriati vorgeführt. Insofern klingt es glaubwürdig, wenn Myschkina sagt, der Schlüssel zu ihrem Turniersieg habe nicht in den Erfolgen gegen Williams und Capriati gelegen oder im abgewehrten Matchball im Achtelfinale gegen Swetlana Kusnetsowa (eine weitere Russin), sondern im Überstehen der ersten Runde. "Da habe ich Alicia Molik bezwungen, eine Angstgegnerin von mir, und das hat mir das Selbstvertrauen verliehen, dass ich hier jedes Spiel gewinnen kann."

Myschkina bringt das Geheimnis ihres ersten Grand-Slam-Erfolgs auf einen Nenner: "Ich bin in Paris zum Profi geworden." Und ein Profi weiß auch, dass er seine Enttäuschung halbwegs diplomatisch verkaufen muss. ¸¸Wenn Wladimir Putin Tennis nicht so gerne mag wie Skirennen, dann ist das seine Sache", sagte Myschkina angesichts der Tatsache, dass der russische Staatspräsident nicht zum Finale in Paris vorbeischaute.

"Mir ist das egal, ich repräsentiere dennoch gerne unser Land." Gerlach präzisierte: "Nichts ist Anastasia so wichtig, wie die beste russische Spielerin zu sein." "Aber deshalb", sagte der Trainer mit Hinweis auf die Weltrangliste, in der Dementjewa ab heute auf Platz sechs geführt wird und Myschkina knapp vor ihr auf Platz drei, "bleibt ihr bald nicht mehr viel übrig, als die Nummer eins der Welt zu werden."

© SZ vom 6.7.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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