Frauen-Fußball-WM:Deutsche Entwicklungshilfe

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Nach dem Gewinn des ersten WM-Titels gegen Schweden hoffen die DFB-Fußballerinnen auf Anerkennung.

Von Kathrin Steinbichler

(SZ vom 14.10.2003) - In den Sekunden nach ihrem Siegtor legte Nia Künzer beide Hände an den Kopf, als wenn sie ihn zusammen halten wollte. Alle Anspannung, alle Gefühle und der unbedingte Wille, sich in diesem Spiel durchzusetzen, explodierten auf einmal. Noch bevor die 23-Jährige zu Sinnen kam, begruben ihre schreienden Mitspielerinnen sie unter sich. "Es war ein unbeschreiblicher Moment", sagt Künzer, "ich musste zusehen, dass ich aus dem Haufen heil herauskomme."

In der achten Minute der Verlängerung des WM-Endspiels zwischen Deutschland und Schweden hatte Mittelfeldspielerin Renate Lingor gemacht, was sie am besten kann: einen ruhenden Ball nach einem Freistoßpfiff mit viel Effet in den Strafraum schlagen. Nia Künzer, nur zehn Minuten zuvor eingewechselt, sprang daraufhin höher als Gegenspielerin Kristin Bengtsson und drückte den Ball mit der Stirn unter die Latte. Ihr Goldenes Tor zum 2:1 (1:1, 0:1) für Deutschland beendete das spannende Finale mit einem Schlag - Deutschland ist im zweiten Anlauf nach 1995 zum ersten Mal Frauenfußball-Weltmeister.

Dass ausgerechnet Künzer der entscheidende Treffer zum WM-Titel gelang, hätte sie selbst bis vor einem Jahr für unmöglich gehalten. Vor 15 Monaten hatte sich die Defensivspielerin vom Deutschen Meister und Pokalsieger 1. FFC Frankfurt das Kreuzband im Knie gerissen - das dritte Mal in sieben Jahren. Andere beenden nach solchen Verletzungen die Karriere. Künzer verbrachte Monate beim Physiotherapeuten und im Kraftraum, weil Aufgeben ihr nicht liegt. Ihre Eltern, die vor 23 Jahren als Entwicklungshelfer in Afrika arbeiteten, tauften sie in Mochudi (Botswana) mit den einheimischen Namen Nia (Tswana für "Glück") und Tsholofelo (Kiswahili für "Hoffnung").

Ob ihr Fußballerfolg nun an den Namen liegt oder an der Bordbegleitung von Fußball-Trainer Berti Vogts, der beim Rückflug nach Deutschland im Flieger war, ist Künzer egal. Die Studentin hofft nur, dass "unserer Sportart jetzt der Respekt entgegen gebracht wird, den sie verdient".

In den 98 Finalminuten jedenfalls lieferten sich beide Mannschaften einen spannenden Schlagabtausch, bei dem bis zuletzt keine Mannschaft als klarer Sieger zu erkennen war. Sowohl Schweden, das bereits das jüngste EM-Finale 2001 gegen Deutschland durch ein Golden Goal verlor, als auch die Deutschen begannen mit taktisch diszipliniertem Fußball.

Im Mittelfeld jedoch hatten Spielführerin Bettina Wiegmann und Renate Lingor zunächst oft das Nachsehen gegenüber Schwedens Frida Östberg und Spielgestalterin Malin Moström. Die 28-Jährige vom Uefa-Cup-Sieger Umea IK dominierte die Zone um den Mittelkreis mit gutem Stellungsspiel und exakten Pässen. Prompt fand Assistenztrainerin Silvia Neid in der Halbzeitpause deutliche Worte: "Unser Aufbauspiel ist eine einzige Katastrophe", kritisierte die Weltmeisterschaftszweite von 1995.

Da lag Deutschland bereits durch ein Tor von Schwedens Hanna Ljungberg 0:1 zurück (41.). Die 24-jährige Stürmerin, die zu den besten Offensivspielerinnen der Welt gehört, hatte im Sommer ein Vertragsangebot des italienischen Serie-A-Klubs AC Perugia als unseriöse Showeinlage abgewiesen. Im WM-Finale bewies Ljungberg mit Schnelligkeit und Technik ihre sportliche Klasse. Kurz vor der Pause nahm sie einen Pass von Schwedens Anna Sjöström auf und schob den Ball aus vollem Lauf ins Tor.

Im Anschluss daran spielte die deutsche Mannschaft energischer, besann sich auf ihre Zweikampfstärke und ihr gelobtes Kombinationsspiel und erarbeitete sich die größeren Spielanteile. Nur 43 Sekunden nach Beginn der zweiten Halbzeit zeigte dann Stürmerin Maren Meinert ihre ganze Erfahrung und Abgeklärtheit. In der abgelaufenen Saison der US-Profiliga, die aus Finanzproblemen inzwischen aufgelöst wurde, war die Offensivspielerin nach dem zweiten Jahr bei den Boston Breakers zur wertvollsten Spielerin der Liga gewählt worden. Im WM-Endspiel nahm sie nun im Strafraum einen Pass von Birgit Prinz an, die nach dem Finale zur besten Torjägerin und besten Spielerin der WM geehrt wurde, und traf flach zum Ausgleich (46.).

Die folgenden 53 Minuten waren nichts für schwache Herzmuskel. "Es ging hin und her", sagte Bundestrainerin Tina Theune-Meyer. Am Ende "waren wir auch die etwas glücklichere Mannschaft", sagte Assistenztrainerin Neid. Umso trauriger waren die Schwedinnen, die sich wie im EM-Finale 2001 nur knapp geschlagen geben mussten. "Diese Niederlage ist viel schlimmer, da es schon das zweite Mal war", sagte Nationaltrainerin Marika Domanski-Lyfors, aber "wir haben gegen eine sehr gute deutsche Elf verloren".

Nach dem erstmaligen WM-Sieg steht Bundestrainerin Theune-Meyer nun ein Umbruch bevor. Spielmacherin Bettina Wiegmann, 31, beendet mit ihrem 154. Länderspiel als Rekord-Nationalspielerin die Karriere: "Es ist der richtige, ein großer Moment, um aufzuhören." Auch die 30-jährige Maren Meinert, kongeniale Offensivpartnerin von Prinz, tritt mit dem WM-Sieg zurück. Doch wenn die deutschen Fußballerinnen nun bald im eigenen Trikot mit eingesticktem WM-Stern antreten, glaubt Bundestrainerin Theune-Meyer, schönen Fußball gezeigt zu bekommen: "Wir haben gute Nachwuchsspielerinnen, mir ist nicht bange um die Zukunft."

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