Französischer Fußball:"Ich bin kein Gesindel"

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Der französische Innenminister Nicolas Sarkozy hat die randalierenden Jugendlichen in den Vorstädten als "Ganoven" und "Gesindel" beschimpft. Der französische Fußball-Star Lilian Thuram widerspricht: "Die Gewalt kommt nicht von ungefähr."

Gerd Kroencke

Die Mannschaft der Franzosen spielt wie immer in Blau, aber jene Männer, die am Mittwoch in Martinique ein Freundschaftsspiel gegen Costa Rica absolvierten, versteht sich noch immer als "Black-Blanc-Beur". Die Farben stehen für Schwarz und Weiß und Maghrebinisch, eine imaginäre Trikolore. Seit dem WM-Titelgewinn 1998 sind dies gleichsam die Farben Frankreichs als Fußballnation. Als Frankreich dann auch noch Europameister wurde, gab es die Hoffnung, die "Black-Blanc-Beur"-Harmonie könnte das Bewusstsein der Nation verändern. "In unserer Auswahl", sagte Torjäger Thierry Henry vor dem Costa-Rica-Spiel, "sind Spieler jeglicher Herkunft vertreten."

Und doch liegt ein Rest von Spannung über dem Spiel gegen die Deutschen am kommenden Samstag, die mit Fußball nichts zu tun hat. Die Unruhen, die nach zwei Wochen abzuklingen scheinen, werfen einen Schatten auf die Begegnung im Stade de France. Lilian Thuram, Welt- und Europameister, gehört zu den Besonnenen im Team. Deshalb hat sein Wort Gewicht und wenn der Verteidiger einen Politiker angreift, dann horchen nicht nur die Fans auf.

Thuram, der Intellektuelle

Thuram ist, wie Bixente Lizarazu sagt, "ein Intellektueller, der alles dreimal hinterfragt". Nun hat Thuram Innenminister Nicolas Sarkozy angegriffen. Der hatte die Randalierer in den Städten als "Ganoven" und "Gesindel" beschimpft und gedroht, die Vorstädte mit dem Kärcher, einem Hochdruckreiniger, zu säubern. Thuram fühlt sich "persönlich angesprochen". Man merkte ihm deutlich an, wie tief gekränkt er ist. "Mir hat man einst auch gesagt, ich gehöre zu dem Gesocks. Aber ich bin kein Gesindel. Was ich wollte, war arbeiten." Da war nichts mehr von seiner Gelassenheit. Dabei hat der von den Antillen stammende Spieler oft rassistische Kränkungen hinnehmen müssen.

Für Sarkozy hat er keine Sympathie. "Ich bin auch in den Vorstädten aufgewachsen. Wenn jemand sagt, man müsse sie mit dem Hochdruckreiniger säubern, dann weiß er nicht, wovon er redet." Nach Zinedine Zidane gehört WM-Veteran Thuram als Dienstältester mit seinen 33 Jahren noch immer zu den beliebtesten Spielern der Equipe, das gibt seinen Worten Gewicht. "Gewalt kommt nicht von ungefähr", richtete er dem Minister übers das Fernsehen aus. Man müsse den Menschen eine Chance geben.

Spiel gegen Deutschland nicht gefährdet

Die Begegnung in dem kleinen Stadion von Fort-de-France auf Martinique war ein Benefizspiel für die Hinterbliebenen der Opfer einer Flugzeugkatastrophe sein, für Thuram ein Heimspiel. Gegen Deutschland kommt es für beide Teams nur darauf an, eine gute Vorstellung abzuliefern. Die bange Frage ist, wie stellt sich das Land an diesem Samstag dar. Da, wo die historische Bischofsstadt Saint Denis mit ihrer prächtigen Kathedrale ausfranst, ist sie auch typische banlieue. Der Fußballtempel Stade de France liegt aber abseits, isoliert durch den Autobahnzubringer und einen Kanal. Der typische Pariser passiert den Ort nur, wenn er zum Flughafen Charles de Gaulle hinaus fährt.

Von der Revolte der Jugendlichen ist Saint Denis zwar nicht verschont geblieben, sie gehörte aber nicht zu den gefährlichen Brennpunkten. Deshalb hat die Stadt darauf verzichtet, eine Ausgangssperre für Minderjährige zu verhängen. Zudem hat sich die Situation seit Dienstagnacht in den Gemeinden nahe Paris zunehmend entspannt.

Das Spiel dürfte nach jetzigen Erkenntnissen nicht gefährdet sein. Andererseits ist es die erste große Menschenansammlung in einem Problemgebiet. Es wird ein bedeutendes Polizeiaufgebot geben, bei dem es darauf ankommt, dass die Sicherheit nicht als Konfrontationskurs empfunden wird. SaintDenis, als sozialer Brennpunkt, gehört zu den armen Gemeinden im Land mit hoher Arbeitslosigkeit. Lilian Thurams finale Frage an die Politiker: "Wie kann man zusammen leben, wie kann man den Menschen Arbeit geben?"

© SZ vom 10.11.05 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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