Franziska van Almsick:Die Freiheit nach dem Ende

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Sie hat sich gequält, hat alles auf die Einzel-Goldmedaille gesetzt - jetzt bleibt ihr nur die Erkenntnis, dass eine Niederlage auch ein Anfang sein kann

Von Holger Gertz

Athen, 18. August - Manchmal versucht Franziska van Almsick, so auszusehen wie Oliver Kahn. Es liegt an diesem Blick: Wie sie, bei der ersten Pressekonferenz der deutschen Mannschaft in Athen, auf dem Podium sitzt, neben ihr reden die Funktionäre, aber ihr Blick verrät nicht, ob sie zuhört. Sie schaut an allen vorbei, an den Männern neben ihr auf dem Podium, an den Journalisten.

"Wenigstens war ich diesmal nicht zu fett" (Foto: Foto: dpa)

Ihr Blick sucht nirgendwo Halt, er ist so wenig greifbar wie der von Oliver Kahn, wenn er nach dem Spiel, unten auf dem Platz, etwas gefragt wird. Oliver Kahn, der Torwart, schaut Journalisten nie an, nie. Meistens guckt er auf den Boden, und während er antwortet, schaut er über seine Schulter so halb nach hinten, als wäre da hinten irgendetwas Wichtiges los.

Franziska van Almsick hat rote Badeschlappen an, es ist der Tag vor Beginn der Spiele, ihre Sonnenbrille trägt sie im Haar, man kann ihre Augen sehen, aber sie schauen nicht zurück. Die Blitzlichter der Fotoapparate hören sich an wie in der Ferne angeworfene Schnellfeuergewehre. Cool und entschlossen

Es sind spezielle Begriffe erfunden worden für die Art, in der Athleten in die Welt sehen, "nach innen gerichteter Blick", "Tunnelblick". Die Sportler sagen, ihr Blick sei Symbol und Resultat ihrer Konzentration, sie haben nichts im Blick als den Wettkampf. Natürlich ist dieser Blick auch Teil einer Inszenierung: In ihm sollen Coolness und Entschlossenheit liegen und eine zielgerichtete Arroganz, die Distanz zu allem schafft. Sportler am Beginn ihrer Karriere kriegen diesen Blick noch nicht hin, er entwickelt sich erst mit den Jahren, in denen man gewinnt und verliert, in denen man ein Held ist im Fernsehen, ein Depp in den Boulevardzeitungen; in denen man das Starsein genießt und verflucht.

Am Ende so einer Karriere steckt Trotz in diesem Blick, eine kindliche und sehr intensive Empfindung. Trotz. Ihr da draußen, sagt der Blick, der ein wütendes Versprechen ist: Ihr habt mich abgeschrieben. Aber ihr werdet mit den Ohren schlackern, wenn ihr seht, zu was ich noch fähig bin.

Franziska van Almsick hat das alles erlebt, sie hat praktisch alles gewonnen, aber nicht genug. Sie hat auch enttäuscht, manchmal ist sie schon im Vorlauf ausgeschieden. Sie ist keine taktische Schwimmerin, kein taktierender Mensch, und sie hält das Pokerface nur durch, solange sie nichts sagt.

Als das Wort an sie geht, wird aus Trotz Einsicht, und aus Einsicht wächst so etwas wie Furcht. Sie sagt: "Ich habe keine andere Möglichkeit mehr, als Gold zu wollen. Ich versuche es." Später sagt sie: "Aber ich bin froh, wenn das Rennen vorüber ist. Am liebsten würde ich schon heute nach Hause fahren." Es ist der Tag vor Beginn der Spiele, ihrer letzten Spiele.

Sie ist jetzt 26, als Schwimmer ist man in dem Alter beinahe schon ein Greis. Sie ist am Ende ihrer Karriere, sie hat noch nicht viel gesagt hier in Athen, aber man hat schon einen Eindruck, wie beschissen sie sich fühlt.

Franziska van Almsick ist der einzige Star im deutschen Team, das macht den Druck noch größer, als er ohnehin schon ist. Sie hat 1992 in Barcelona Silber geholt, für eine 14-Jährige ist Silber alles, aber wenn aus Silber kein Gold wird in den 12 Jahren danach, ist man irgendwie nicht fertig geworden in seiner Karriere.

Franziska van Almsick ist als Sportlerin wie Tom Cruise als Schauspieler. Sie haben alles geschafft in ihrem öffentlichen Beruf, aber Cruise fehlt noch immer der Oscar, obwohl er ein paar Mal nominiert worden ist und ihn mindestens einmal auch verdient hätte.

Überall Druck

Franziska van Almsick fehlt immer noch das Gold. Ohne Oscar, ohne Gold wird man als Unvollendeter in den Listen geführt, und für einen Sportler, dessen Leben sich in Wettbewerben abspielt, die einen Anfang haben und ein klar definiertes Ende, muss das ein Horrorgefühl sein, wenn die Karriere irgendwie zu Ende geht, ohne einen Kracher am Ende.

Tom Cruise ist nicht wie Franziska van Almsick. Ein Schauspieler kann Filme machen, bis er neunzig ist. Eine Schwimmerin hat auch noch die Zeit zum Gegner. Die Zeit, die ihr wegrennt, macht den Druck noch größer. Überall ist auf einmal Druck.

Er ist zu groß, man merkt das, draußen in der Schwimmhalle. Wenn man die Schwimmer so von Nahem im Wasser beobachtet, sieht alles nicht so elegant und lackiert aus wie im Fernsehen. Im Fernsehen wirken sie wie Delphine, in echt sind sie Menschen in einem fremden Element. Die Schwimmer gleiten nicht, sie ackern durch das Wasser.

Franziska van Almsick schwimmt nicht besonders in ihren ersten Wettbewerben, und wenn sie aus dem Becken klettert, muss sie gleich nach draußen weiter, wo die Journalisten warten. Es gibt zwar eine Absperrung, die die Reporter von den Schwimmern trennt, aber einen Schutzraum haben die Schwimmer trotzdem nicht. Sie stehen fast nackt vor einer Herde bekleideter Menschen, sie haben Druckstellen um die Augen von der Schwimmbrille, und mit Badekappe sieht jeder irgendwie albern aus.

Manche setzen die Kappe ab, wenn sie zu reden beginnen, Franziska van Almsick lässt ihre an. Sie sagt, dass sie jetzt zwei Jahre trainiert hat, und dann kommt dieser blöde Wind und macht alles kaputt. Sie sagt, sie ist nicht daran gewöhnt, im Freien zu schwimmen, eigentlich schwimmt sie lieber in der Halle.

Sie hat den Blick aus der ersten Pressekonferenz nicht mehr, sie steht im Badeanzug vor den Reportern, und wäre es nicht so warm, müsste man fürchten, sie könnte sich erkälten.

Die anderen Schwimmer, die vorbeikommen, sind kleiner und meistens jünger. Die Amerikanerinnen sind nass und plappern, die Australierinnen sind nass und plappern, die Chinesinnen sind nass und lächeln die ganze Zeit. Lauter Kinder, dazwischen Franziska van Almsick, eine Frau mit einer Badekappe, die silbern ist, nicht golden.

Die ihre Worte wägt, irgendwie soll es abgeklärt klingen, was sie sagt, oder wenigstens tapfer. Aber sie sagt dann doch manchmal "Scheiße."

Wenn sie zu Ende geredet hat und irgendwo verschwindet in diesem Labyrinth aus Wänden und Absperrbändern, machen ihre Füße auf dem Betonboden ein leicht schmatzendes Geräusch.

Hannah Stockbauer fliegt in ihrem Vorlauf raus. Antje Buschschulte gewinnt keine Medaille. Draußen, außerhalb des Beckens, blamieren sich die anderen Deutschen. Der Druck auf Franziska van Almsick, den Star des Teams, wird größer, er wächst hin auf den Tag des Rennens, ihres wichtigsten Rennens.

200 Meter Freistil, ihre "Paradedisziplin", wie die Reporter immer sagen. Die Auftritte, die sie danach noch haben wird in der Staffel, mit drei anderen zusammen, sind nicht so wichtig. Sie ist Einzelsportlerin, und richtiges Gold ist nur das, was man allein holt.

Bei ihrem Rennen wird auch Franz-Josef Wagner im Stadion sein. Er hat das jedenfalls angekündigt, in seiner Kolumne in der Bild-Zeitung. Vor vier Jahren, nachdem sie in Sydney verloren hatte, hat er geschrieben, als Chefredakteur der B .Z.: "Franzi van Speck, als Molch holt man kein Gold." Diesmal schreibt er: Wenn sie gewinnt, darf sie ihm, mit der "Original-Gold-Franzi-Hand", eine kleben.

Nur dann. "Wenn es Silber, Bronze oder vierter Platz wird, wünsche ich Ihnen viele Babys, die wahren Goldmedaillen einer Frau."

Wer so berühmt ist wie Franziska van Almsick, gerät auch ins Zielfernrohr von Wagner. Man muss damit klar kommen können. Man muss darüber hinweglesen, allerdings: Es gibt die Bild-Zeitung auch hier in Athen.

Man muss das irgendwie für sich auf die Reihe kriegen, auch die ganzen anderen Boulevardgeschichten, die Kameras vorm Haus. Erwachsen werden, pubertieren, rebellieren, sich von dem einen trennen und sich in den anderen verlieben.

Kunstfigur im Fernsehen

Die beliebteste Ossi-Frau im Westen sein, eine Kunstfigur im Werbefernsehen werden, Reklame machen für Milka, gemeinsam mit der lila Kuh. Reich werden. Die verhassteste Schwimmerin im eigenen Team sein, obwohl alle anderen Schwimmer von ihrer Berühmtheit natürlich auch etwas abbekommen haben. Trotzdem, es gab früher Sprüche aus der Mannschaft: Die lila Kuh hat Rinderwahnsinn.

Man muss dass alles wegdrücken, sonst kann man den letzten Schritt nicht gehen, aber Franziska van Almsick hat das Spiel immer auch mitgemacht. Mit jedem geredet, über alles, über Sex und über Hitler, das gab jedes Mal ein Geschrei. Das Fernsehen hat versucht, eine Talkshow mit ihr aufzuziehen, die floppte.

Dauernd Photos im Badeanzug in den Magazinen, sie sagte, sie sei Schwimmerin, aber wer sie so sah, konnte sie auch für ein Gesamtkunstwerk halten, dem es gefiel, sich ausstellen zu lassen. Der Sportwart Ralf Beckmann hat zu Beginn der Spiele gesagt, er werde einen Gürtel um sie legen, zu ihrem Schutz. Vielleicht wäre es gut gewesen, ihr Management hätte es vorher mal mit so einem Gürtel probiert.

Das Rennen fängt gleich an, Franziska van Almsick sitzt auf dem Startblock vor Bahn sieben. Sie hat einen Discman in der Hand und einen gewaltigen Kopfhörer über den Ohren. Sie sieht cool aus.

Die anderen sind schneller

Dann fährt die Kamera die Reihen der Schwimmerinnen ab, und als sie auf dem Großbildschirm im Stadion erscheint, winkt sie kurz, und da sieht sie sehr schüchtern aus. Das Rennen wird gestartet, vier Bahnen, nach der Hälfte ist sie vorn, aber dann bleibt sie fast stehen.

Die anderen sind schneller, die anderen lassen Franziska van Almsick zurück. Nach zwei Minuten ist es vorbei, das große Rennen. Sie ist nur Fünfte geworden, und nach Franz-Josef Wagners Vorgabe berechtigt dieser Platz nicht einmal zu dem Empfang von Babys, den wahren Goldmedaillen einer Frau.

"Das war einfach zu viel"

Dann das Ritual nach dem Rennen, hinter dem Schwimmbad, vor den Journalisten. Sie sagt: "Ist ja ganz schön, wenn ganz Deutschland vor der Glotze sitzt, aber das war einfach zu viel. Ich bin am Erwartungsdruck gescheitert."

Ihr Gefühl sei ganz gut gewesen, aber auf dem Startblock war alles anders. "Da habe ich nur gedacht, hoffentlich ist die ganze Scheiße bald vorbei. Dann bist du nicht mehr der Mittelpunkt der Welt."

Auf den Fernsehern, die überall an der Wand hängen, gehen die anderen Rennen los. Sie schwimmen einfach weiter. Das ist ja das Brutale an solchen Momenten, in denen man selber am Ende ist. Drumherum geht alles seinen Gang.

Irgendwann sagt sie: "Diesmal war ich wenigstens nicht zu fett." Sie hat wohl Wagner im Kopf, den Molch, das alles. Das war bestimmt auch ein Antrieb, es allen zeigen zu können, mit Gold. Gold kann eine große Genugtuung sein. Aber jetzt?

Jetzt kommen noch Staffelrennen. Wichtig für den Medaillenspiegel, aber nicht so für sie. Sie sagt: "Gold war mein Plan und mein großes Ziel. Das habe ich nicht geschafft, und das werde ich auch nicht mehr schaffen." Sie hat die Staffel gar nicht mehr auf der Rechnung. Irgendwann fängt sie zu weinen an, und dann ist sie verschwunden.

Abschiede von Sportlern haben immer etwas Berührendes. Man wird sentimental, auch als Zuschauer und gerade nach solchen Karrieren. Steffi Graf, die mindestens den Druck zu ertragen hatte, dem Franziska van Almsick nicht gewachsen war, gewann am Ende noch mal den Grand Slam in Paris. Es war ihr letzter Schritt, und dann kam der allerletzte: Steffi Graf ging nach Amerika und entzog sich der Öffentlichkeit.

So kann man es, als berühmter Mensch, denen da draußen am besten heimzahlen. Indem man sich verweigert. Und verweigern kann man sich sogar dann, wenn man seinen letzten großen Wettkampf nicht gewonnen hat.

© SZ vom 18.8.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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