Frankreichs Nationalmannschaft:Hunger und Frieden

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Trainer Santini hat die Franzosen wieder in Schwung gebracht. Doch ein Härtetest steht noch aus.

Christoph Biermann

(SZ vom 15./16.November 2003) Bochum - Erst ist es nur ein breites Grinsen, das über das Gesicht von Willy Sagnol huscht, dann bricht der Verteidiger des FC Bayern in ein leicht meckerndes Gelächter aus. Beseelt schaut Sagnol dabei in die Ferne, offensichtlich macht es glücklich, im französischen Nationalteam zu spielen. "Wenn man zusammen mit Zidane, Pires, Henry oder Trezeguet auf dem Platz steht, ist alles einfach", sagt er mit einem Das-könnt-ihr-euch-nicht-vorstellen-Gesichtsausdruck. "Es sind so tolle Spieler, dass man nie einen schlechten Pass zugespielt bekommt, sie sind immer perfekt."

Mit Überspanntheit oder Anflügen von Hysterie hat Sagnols kleiner Ausbruch nichts zu tun, die Ergebnisse bestätigen ihn. Nach der verpatzten Weltmeisterschaft hat der aktuelle Europameister 16 von 18 Spielen gewonnen, darunter die acht Qualifikationsbegegnungen zur Europameisterschaft in Portugal.

Nur im ersten Spiel nach der WM gab es ein Remis in Tunesien, und im Februar verlor Frankreich zu Hause gegen Tschechien mit 0:2. "Die ersten sechs Monate nach der Weltmeisterschaft waren sehr schwer", sagt Bixente Lizarazu, "aber jetzt können wir wieder eine der besten Mannschaften der Welt sein."

Sagnol: Die Jungen sorgen für mehr Konkurrenz

Viel geändert hat sich seit dem traumatischen Ausscheiden in der Vorrunde der WM in Fernost nicht. Den Kern des außergewöhnlich erfahrenen Teams bilden die Spieler, die 1998 den WM-Titel im eigenen Land gewannen. Zehn Spieler haben mehr als fünfzig Länderspiele, von denen in Gelsenkirchen nur Marcel Desailly und Patrick Vieira fehlen werden. Trotzdem glaubt Sagnol: "Wir haben junge Spieler, die für mehr Konkurrenz sorgen."

Entscheidende Rollen besetzen sie aber noch nicht, auch am Spielsystem hat Nationaltrainer Jacques Santini nicht viel geändert, seit er im Spätsommer letzten Jahres das Amt übernahm. "Er hat aber einen neuen Stil gebracht", sagt Sagnol. Spöttisch könnte man sagen, dass er die Redezeit verzehnfacht hat. Während sein Vorgänger Roger Lemerre eine schon fast pathologische Abneigung gegenüber der Presse hegte, liebt es Santini, ausschweifend zu schwatzen.

Dabei hört man schnell heraus, dass er seine Weltauswahl im Nationaltrikot vor allem bei Laune halten will. Viel spricht Santini von Zusammenhalt und Teamgeist. "Wir wollen das Niveau der Mannschaft im Bezug auf ihr Innenleben immer weiter verbessern", sagt er. Dabei half es ihm auch, dass sich der ein oder andere Spieler verletzte, der eine umstrittene Position im Team hätte beanspruchen können. So gibt es zwar Konkurrenz, aber bislang wenig Frustration.

Micoud - Opfer der guten Laune

Der Politik der guten Laune zum Opfer gefallen ist Johan Micoud. Als Santini seine Mannschaft im letzten Jahr neu zusammenfügte, war der brillante Mittelfeldspieler des SV Werder Bremen noch ohne Klub und wurde folglich nicht zur Nationalmannschaft eingeladen. Nun ist es zu spät. "Egal, was gesagt oder geschrieben worden ist, wir sind natürlich Profis und haben ihn beobachtet", sagt Santini. Der Coach stellt nicht in Abrede, dass Micoud gute Leistungen bringt. "Aber im Moment gibt es keinen Grund ihn zu nominieren, weil wir niemanden in Frage stellen, der auf den Positionen spielt, die Micoud besetzen könnte."

Eine Chance für den Bremer gäbe es nur nach Verletzungen, denn Santini will den wiedergefundenen Frieden im Team nicht stören. Dass dieser fehlte, war für ihn offenbar eine der Erklärungen für das Scheitern bei der Weltmeisterschaft. Überhaupt ist der dortige Misserfolg eine der Triebkräfte hinter den guten Leistungen der letzten Monate. "In der Tat ist es so, dass hier der Schlüssel liegt, inzwischen ist wieder Hunger auf Erfolg da", sagt Santini.

Wie gut die Franzosen wirklich sind, muss sich erst erweisen. "Wir haben in der Qualifikation nur gegen Zypern, Malta, Israel und Slowenien gespielt, das sind keine großen Mannschaften", sagt Sagnol. Nur drei Spiele gab es unter Santini gegen Mannschaften der ersten Kategorie, die Türkei und Kamerun wurden beim Konföderationen-Cup besiegt, gegen Tschechien gab es besagte Niederlage. Deshalb wurden zur Vorbereitung auf die EM starke Gegner ausgesucht, im kommenden Frühjahr tritt Frankreich in Belgien und Holland an und in Paris gegen Weltmeister Brasilien.

Sagnol: Die Deutschen haben ein großes Herz

Auch das Spiel in Gelsenkirchen gehört für Santini in die Kategorie ernsthafter Tests. "Wenn zwei so große Fußballnationen gegeneinander antreten, kann man nicht von einem Freundschaftsspiel reden", sagt er. Seiner Ansicht nach liegen die Stärken des deutschen Teams "im Kampf und der mentalen Stärke". Das klingt nach den üblichen Stereotypen, wie auch Sagnol findet: "Gegen Deutschland ist es immer schwer zu spielen, sie haben ein großes Herz."

Es gibt aber auch einen französischen Spieler, der spielerische Qualität erkannt hat. Thierry Henry verbringt einen großen Teil seiner Freizeit damit, sich über Fußball zu informieren, und war der Spieler, der bei einer Art Quiz der Sportzeitung L'Équipe zum deutschen Fußball die höchste Punktzahl bekam. Intern äußerte er sich zudem begeistert über Andreas Hinkel. Den jungen Stuttgarter Verteidiger hält Henry für einen der interessantesten jungen Spieler Europas.

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