Formel-1-Auftakt in Melbourne:Attacke und Parade

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Lewis Hamilton und Nico Rosberg spielen in der am Sonntag startenden Saison erneut Schlüsselrollen - die Teamkollegen betonen dabei demonstrativ, dass sie viel mehr trennt als verbindet.

Von René Hofmann, Melbourne

Der eine kommt, wenn der andere geht. In Melbourne werden zum Saisonstart offizielle Fotos von allen Formel- 1-Fahrern aufgenommen. Dafür steht am Ende des Fahrerlagers eine provisorische Bühne; zwei Stationen, an denen sich die waghalsigen Männer vor einem neutralen Hintergrund den Bilderjägern aus aller Welt stellen. Die Teams sind nacheinander dran, und eigentlich ist die Bühne groß genug, dass die zwei Vertreter jedes Rennstalls zur gleichen Zeit antreten können. Bei vielen läuft das auch so. Nicht aber bei den Platzhirschen von Mercedes. Lewis Hamilton tritt erst auf, als sein Teamkollege Nico Rosberg schon abgetreten ist. Bloß keinen Raum für den Rivalen lassen! Dem Herausforderer nicht noch zusätzliche Beachtung schenken! Besser kein Blickkontakt! Die Szene lässt sich vielfach deuten. Vor allem, weil die beiden das Spielchen nicht zum ersten Mal aufführen. In der vergangenen Woche lief es schon genauso.

Darum geht es: Wer ist die Nummer eins bei Mercedes? Wer führt den Kampf gegen Vettel an?

Vor dem Abflug zum ersten von 21 Formel-1-Rennen, die es in diesem Jahr geben soll, lud Mercedes in seine Rennwagensammlung in Fellbach bei Stuttgart ein. Es war eine der wenigen Gelegenheiten, bei denen Hamilton und Rosberg gemeinsam zu erleben waren. Seit die beiden im Sommer 2014 beim Rennen in Belgien kollidierten, treten sie - wenn möglich - lieber getrennt auf. Rosberg erschien pünktlich zu dem Duell. Artig wartete er im grauen Pullover neben Teamchef Toto Wolff auf seinen Einsatz. Hamilton musste erst ausgerufen werden. Als er schließlich - mit überbreiter Schildkappe, goldener Schmuckbrille und unübersehbarem Halsschmuck - erschien, grüßte er die versammelten knapp hundert Journalisten wie Groupies: "Hey, flippt nicht aus! Hier bin ich." Und das war erst der Beginn des bemerkenswerten Auftritts.

Lieber keinen Blickkontakt: Motorsportchef Toto Wolff (Mitte) dient als Puffer zwischen Lewis Hamilton (links) und Nico Rosberg. (Foto: Alexander Hassenstein/Getty Images)

Lewis Hamilton/Großbritannien gegen Nico Rosberg/Deutschland: So lautete in den vergangenen zwei Jahren das Titelduell. Und in diesem Jahr - daran zweifelt niemand im Fahrerlager - werden die beiden Mercedes-Männer wieder Schlüsselrollen spielen. Es gibt zwei Theorien, was passiert, wenn am Sonntag um 6 Uhr deutscher Zeit zum ersten Mal in diesem Jahr die Start-Ampel erlischt. Die erste lautet: Mercedes ist mindestens so dominant wie 2014 und 2015; dann spitzt sich das Titelrennen erneut auf den Zweikampf Hamilton gegen Rosberg zu. Die zweite Theorie: Ferrari ist in diesem Jahr näher dran, und Sebastian Vettel kann das Duo häufiger sprengen. Aber auch dann wird es darum gehen: Wer ist die Nummer eins bei Mercedes? Wer führt den Kampf gegen Vettel an? Egal, wie man auf die Saison schaut, die Frage Hamilton, 31, oder Rosberg, 30, spielt eine zentrale Rolle. Das wissen die Kombattanten auch selbst.

Als Titelverteidiger und nun dreimaliger Champion gehen die ersten Fragen an Hamilton: Wie das sei, im Februar, nach fast drei Monaten Pause, bei den Testfahrten wieder ins Formel-1-Auto zu klettern? Toll, antwortet Hamilton, aber es sei auch nicht einfach: Ein Auto mit mehr als 750 PS am Limit zu bewegen, sei schließlich eine Anstrengung - und die werde mit dem Alter nicht leichter. Der Satz ist noch nicht verklungen, da hat Rosberg schon das Mikrofon an seinen Mund geführt: "Wirst Du vielleicht alt?", stichelt er gegen den Rivalen, was dieser natürlich nicht auf sich sitzen lassen will: "Hey, bei dir habe ich doch ein paar graue Haare entdeckt", gibt Hamilton zurück. Attacke und Parade: Würden die beiden ihr Kräftemessen mit Säbeln statt mit Autos austragen, es gäbe wohl bald echte Verletzungen. Die beiden trennt schon seit langem mehr als sie verbindet. Aber so demonstrativ wie jetzt haben sie das noch nie betont.

Der Titelverteidiger pflegt ein aufregendes Single-Dasein, der Herausforderer das Familienleben

Hamilton ist im Winter um die Welt gejagt, im Internet hat er es stolz dokumentiert. Seit dem Jahreswechsel gab es unter anderem Bilder, die ihn in New York zeigten, in Paris, an den Niagara-Fällen. Und gerne präsentierte er sich in prominenter Gesellschaft: Kate Hudson ("My friend"), Naomi Campbell ("My big sis"), Vivienne Westwood, Stella McCartney, Eva Longoria. Dazwischen noch ein kurzer Ausflug ins Büro von George Lucas und eine Filmpremiere an der Seite von Ben Stiller. Die Gerüchte, die behaupten, die Ski-Größe Lindsey Vonn sei vielleicht mehr als eine "big sis" und Pop-Größe Rihanna vielleicht mehr als nur eine flüchtige Freundin, kommentiert Hamilton auf Twitter, Snapchat oder Instagram nicht wirklich. Was er einem Lifestyle-Magazin verraten hat, klingt aber nach einem Freibrief, den er sich selbst ausgestellt hat: Aktuell sei er sehr gerne Single, er sei es schließlich lange genug nicht gewesen.

Auf der Bühne neben Rosberg bleibt Hamilton allgemeiner: "Endlich ist mein Leben jenseits der Formel 1 so aufregend wie in der Formel 1", sagt er. Was aber wieder einen hübschen Gegensatz ergibt, weil Rosberg auf die erste Frage, die an ihn geht, prompt die tolle Zeit mit seiner kleinen Familie im Winter preist; seine Frau und er bekamen im vergangenen Jahr eine Tochter. Auf der Reise zum Australian-Grand-Prix besuchte Hamilton in Auckland das Casino und brummte auf einem schweren Motorrad durch Neuseeland (wovon es im Internet ein Video gibt, das aussieht, als habe er es in voller Fahrt selbst aufgenommen). Rosberg setzte sich nach seiner Ankunft in Melbourne erst einmal kontemplativ in ein Café direkt am Meer (was ein ziemlich langweiliges Video ergeben hätte).

Den anderen stets belauern, jede kleine Schwäche nutzen, die eigenen Stärken herausstreichen - das Gegeneinander verspricht spannend zu bleiben. Rosberg hat die finalen drei Rennen 2015 gewonnen. Der Titel sei ihm wichtiger gewesen, behauptet Hamilton. Zweimal nacheinander hat er in der Gesamtwertung nun schon über Rosberg triumphiert. "Ich liebe die Herausforderung, mich mit dem Besten zu messen und ihn zu bezwingen", behauptet dieser. Selbstbewusst geben sich beide. Am Sonntag können sie sich nicht mehr aus dem Weg gehen.

© SZ vom 18.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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