Formel 1:Wirbelbrüche und weitere Erschütterungen

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Eine reine Kopfsache wird es nicht werden, den Unfall vom letzen Grand-Prix in den USA zu verarbeiten: Ralf Schumacher hat sich in Indianapolis schwerer verletzt als angenommen - nun bangt er um seine Karriere.

Von Elmar Brümmer

Mit dem Kopf, das war Ralf Schumacher nach seinem schweren Rennunfall in Indianapolis anschließend immer das Wichtigste, habe alles gar nichts zu tun. Einen Knacks in der Seele diagnostiziert zu bekommen, hätte dem Kerpener Rennfahrer, seit gestern 29, nach dem ganzen sportlichen und vertraglichen Frust in dieser Saison noch gefehlt.

Das Ende einer rasanten Dienstfahrt - bei dem Unfall in Indiananapoilis hat sich BMW-Williams-Pilot Ralf Schumacher schwerer verletzt, als zuerst angenommen. (Foto: Foto: dpa)

Fürs Selbstbewusstsein, das Image und den Stellenwert ist die Diagnose, die am Mittwoch nach der Untersuchung in der Sportklinik Bad Nauheim durch Manager Willi Weber verlautete, aber eher noch schlimmer: Der Pilot von BMW-Williams muss nicht nur den Großen Preis von Frankreich am Wochenende absagen, sondern darüber hinaus acht bis zwölf Wochen Zwangspause einlegen.

Keine reine Kopfsache

Es ist keine reine Kopfsache, die Ursache liegt tiefer: Das Attest zur Vorlage beim Arbeitgeber bescheinigt über den bisher bekannten starken Bluterguss am Rücken eine doppelte Wirbelfraktur, verursacht durch die enormen Kräfte, die beim Aufprall des Rennwagens in die Begrenzungsmauer der Steilkurve wirkten - mit geschätzten sieben g, also das Siebenfachen des eigenen Körpergewichts.

Warum die Wirbelverletzungen den auf Rennfahrerunfälle spezialisierten Ärzten im Methodist Hospital von Indianapolis nicht gleich auffielen, bleibt unklar. Wurde die Schwere der zunächst als Prellungen geschilderten Unfallfolgen nur unterschätzt oder heruntergespielt? Die Mutmaßungen auf dem Boulevard ("Haarscharf am Rollstuhl vorbei", "Nie wieder Formel 1?") verlagern das Problem über den Genesungsprozess hinaus wieder in Richtung Kopf. Zweieinhalb Monate Pause bedeutet sechs Rennen auszusetzen, demnach könnte Schumacher erst zu den letzten drei WM-Läufen in Übersee wieder antreten.

Zur leichten Gehirnerschütterung kommt nun die heftige Erschütterung der Karriere. Ralf Schumacher kann noch nicht sagen, wo er in den nächsten Jahren fahren wird. Sein Vertrag mit dem Williams-Rennstall läuft aus, nur von atmosphärischen Störungen zwischen den Parteien zu sprechen, wäre untertrieben. Das Vertrauensverhältnis ist zerrüttet. Angeblich soll sich Schumacher-Manager Weber längst mit Toyota einig sein. Radio Fahrerlager meldete jedoch, dass es Diskussionen um die Entlohnung gebe.

Bei den Briten zu bleiben oder zu den Japanern zu wechseln sind die einzigen Möglichkeiten auf einen adäquaten Job für 2005. Aussetzen zu müssen, während das Transfer-Karussell die entscheidenden Runden geht, passt zum verkorksten Rennjahr, das eigentlich den Durchbruch für den Wahl-Salzburger bringen sollte.

In seinem Internet-Tagebuch lässt der Patient zu der neuen Diagnose verlauten: "Was passiert ist, ist passiert. Die Verletzung ist schlimmer als befürchtet, da muss ich jetzt durch. An der Tatsache, dass ich Ruhe brauche und weiter behandelt werde, hat sich ja nix geändert. Nur dauert es halt jetzt länger, bis ich wieder vollkommen fit werde. Auch wenn ich natürlich den Augenblick herbeisehne, wo ich wieder im Auto sitze, so zählt im Moment für mich nur, wieder gesund zu werden. Und dafür nehme ich mir genau die Zeit, die es auch braucht."

Eine voreilige Rückkehr ins Cockpit war im vergangenen Herbst schon schief gegangen, als Ralf Schumacher nach einem Testunfall bei ähnlichem Tempo und mit ähnlichen Symptomen in der Woche drauf beim Training zum Großen Preis von Italien schon wieder startete. Damals musste er samstagmorgens mit starken Kopfschmerzen den Selbstversuch aufgeben.

Ersatzmann Marc Gené

Der Mann, der vor einem Dreivierteljahr das Steuer übernahm, soll auch in Magny-Cours das Double sein: Marc Gené, 30, Test- und Ersatzfahrer von BMW-Williams. Der Katalane schaffte es bei seinem kurzfristigen Einsatz auf einen sensationellen fünften Platz, ehe er wieder ins zweite Glied rückte. Daraus schöpft er sein Selbstvertrauen: "Wer glaubt, wir Testfahrer seien keine guten Rennfahrer, hat eine falsche Meinung. Wenn man das Glück hat, eine Chance wie diese zu bekommen, muss man das Beste daraus machen."

Angesichts der Langzeit-Krankmeldung von Schumacher weiß Gené, dass die Bewährung von Magny-Cours ein größeres Sprungbrett für seine Karriere sein könnte. Zumal in dieser oder der nächsten Woche erstmals der neue Wagen von BMW-Williams an den Start geht, den Gené maßgeblich mitentwickelt hat. Der Analytiker hat letzte Woche vorsichtshalber schon mal ausgiebig Boxenstopps trainiert.

Konkurrenz könnte dem Ersatzfahrer höchstens durch eine Rückkehr des derzeit arbeitslosen Jacques Villeneuve erwachsen, der mit einem Sitz bei seinem alten Team liebäugelt und für den die große Erfahrung spricht. Unter Ralf Schumachers Augen könnte es zu einem Ausscheidungsfahren kommen. Sollte sich der Deutsche zwischenzeitlich mit Toyota auf einen Wechsel verständigen, wird er wohl gar nicht mehr in den weiß-blauen Renner zurückkehren. Dem Rekonvaleszenten Schumacher wurde einstweilen Ruhe verordnet. Es gibt da Einiges, dass er sich in Ruhe durch den Kopf gehen lassen muss.

© SZ vom 1.7.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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