Formel 1:Puzzle aus 3000 Teilen

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Michael Schumacher fährt auch in Hockenheim hinterher, sein Ferrari bleibt ein Bausatz mit viel zu vielen Schwachstellen.

Von René Hofmann

Die Formel 1 ist eine gemeine Welt. Da hat sich eine Mobilfunkfirma viel Mühe gegeben, eine gewaltige Fläche im Industriegebiet gemietet, mit einem hohen Zaun abgesperrt, ein großes Zelt und eine große Bar aufgebaut, Einladungen auf Hochglanzpapier gedruckt, ein Dutzend hübsche Hostessen in hautenge Hosenanzüge gepresst und viele teure Köpfe damit beschäftigt, sich etwas ganz Tolles auszudenken, um vor dem Großen Preis von Deutschland (Sonntag, 14 Uhr) ein wenig Aufmerksamkeit für den Ferrari-Sponsor zu erregen.

Herausgekommen ist die Idee, Michael Schumacher und Rubens Barrichello auf Vierrädern, mit denen sonst Halbstarke durch die Provinz brettern, über eine Leinwand durch Farbkleckse rutschen zu lassen. Dabei soll Kunst entstehen. "Michael Schumacher und Rubens Barrichello bekennen Farbe", nennt sich die Aktion. Wie die beiden das finden, steht schon vorher fest: "Schön" (Schumacher) und "spaßig" (Barrichello).

Die Zitate werden bereits eine Stunde vor ihrer Ankunft als Pressenotiz verteilt. Als die Protagonisten kommen, lächeln sie wacker. RTL-Mann Kai Ebel gibt als Conférencier alles. So ganz springt der Funke aber nicht über. Es liegt am Hintergrund. Hinter dem Zaun ragt das Kapital der Firma "Indra Recycling Metallaufbereitung" in die Höhe: ein Berg Altmetall. Ferrari auf dem Schrottplatz - das ist das Bild, das bleibt.

"Es liegt nicht an mir"

Im vergangenen Jahr kam Michael Schumacher als WM-Führender zum Heimspiel. Von elf Wettfahrten hatte er zehn gewonnen. Dieses Mal kommt er als WM-Dritter mit dem Rückstand von 34 Punkten. Gerade einen Grand Prix hat er 2005 gewonnen, und das war noch ein ziemlich lächerlicher - beim großen Reifen-Streik von Indianapolis musste er sich lediglich mit fünf chronischen Hinterherfahrern messen. 43 Punkte stehen auf seinem Konto.

Im Vorjahr waren es zur gleichen Zeit 100. Die Zahlen schildern, wie tief die Scuderia gefallen ist. Besserung ist nicht in Sicht. Nach der abgrundtiefen Enttäuschung über Platz sechs in Silverstone hat Schumacher seine Contenance zwar wiedergefunden, aber seine Einschätzungen klingen nicht besser, nur weil er sie nun wieder gelassen vorträgt. "Das wird ein schwieriges Wochenende", glaubt er: "Siege kann ich keine in Aussicht stellen."

Mehr als 45 000 Testkilometer hat das Team abgespult, am Mittwoch brachte Schumacher in Mugello noch einmal 400 hinter sich. Doch er ahnt schon: Auch die jüngsten Änderungen "werden den Rückstand nicht wettmachen". Zuletzt fehlte Schumacher in der Statistik der schnellsten Rennrunde mehr als eine Sekunde auf Kimi Räikkönen im McLaren. In der Formel-1-Zeitrechnung ist das eine Ewigkeit. "Seit dem vergangenen Jahr sind uns zwei Sekunden verloren gegangen. Warum, wissen wir auch nicht genau", sagt Schumacher.

Nur in einem Punkt hat er Gewissheit: "Ich mache das jetzt schon so lange, um zu wissen, dass ich nicht an mir zweifeln muss. Ich weiß, dass es an mir nicht liegt." Den Ferraris mangelt es schlicht an Haftung, ihre Reifen geraten leichter ins Rutschen als die der Konkurrenz. Das liegt zum einen daran, dass die Italiener ihre Pneus von Bridgestone beziehen, alle ernstzunehmenden Gegner setzten auf Michelin. Vor der Saison wurde das Reglement geändert. Ein Satz Gummiwalzen muss nun ein ganzes Rennen überstehen. Die französische Firma hat für diese Herausforderung die bessere Lösung gefunden.

Hinzu kommt, dass der F 2005 eine Reifendiva ist. Mal passen der ehemaligen Göttin die Galoschen, die sie aufgezogen bekommt, mal kommt sie partout nicht mit ihnen zurecht. In Silverstone schlitterte Schumacher auf Startplatz sechs, weil sein Reifendruck in der entscheidenden Runde plötzlich nicht mehr stimmte. Im heißen Bahrain klebten die Pneus hingegen überraschend so gut wie im kühlen Imola, in Magny-Cours hingegen klebten sie kaum.

Zu Saisonbeginn hatten die roten Wagen in der Qualifikation Probleme, wenn es wichtig ist, die Pneus schnell auf Betriebstemperatur zu bringen; im Rennen wahrten die Gummis dann vorbildlich die Haltung. Seit einigen Rennen hat sich der Trend umgekehrt. Plötzlich läuft es in der Qualifikation, aber nicht mehr im Rennen. Räikkönen fuhr die schnellste Zeit in Silverstone in der letzten Runde. Davon konnte Michael Schumacher nur träumen. Nach dem ersten Boxenstopp, als er mit viel Benzin und damit Ballast wieder loszog, war an Bestzeiten nicht mehr zu denken.

Kuriose Schwierigkeiten

Die Probleme sind so kurios, dass auch kuriose Theorien als Erklärungen herhalten müssen. Eine lautet: Die Spuren, welche die 14 Michelin-bereiften Autos hinterlassen, könnten den Bridgestone-Gummi bremsen. "Der Erfolg hängt nicht an einem oder an zwei Details, sondern an vielen", sagt Schumacher: "Bei uns muss einiges besser zusammenpassen. Aber was genau? Das ist die große Frage."

Alleine bei den Reifen lässt sich schon mit der Mischung von 200 Materialien experimentieren. Styrol-Butadien bringen Haftung, Polybutadien Haltbarkeit. Für das Netz aus Stahl, Nylon und Polyester, das die Reifenschulter formt, gibt es mehr mögliche Muster als für Pullover Strickvorlagen. Für jede Strecke werden neue Modelle versucht, die mit den Möglichkeiten, die das Auto bietet, dann noch abgestimmt werden müssen. Ein Formel-1-Wagen besteht aus rund 3000 größeren Teilen. An so gut wie jedem lässt sich drehen. Spur, Sturz, Federn, Dämpfer, Flügel, Gewichtsverteilung, Reifendruck... Es ist ein ziemlich großes Puzzle, vor dem Michael Schumacher gerade sitzt.

© SZ vom 23.7.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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