Formel-1-Pilot Lance Stroll:Babyrosa Rückenwind

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Lance Stroll, 19. (Foto: Francois Lenoir/REUTERS)

Der Milliardärssohn hat Talent, aber an die Hochbegabten kommt er nicht heran - dafür fährt er bald in einem noch schnelleren Auto.

Von Philipp Schneider, Spa

Das Fahrerlager in Spa-Francorchamps liegt, wie es so schön heißt, eingebettet in den belgischen Wäldern. Wer den zentralen Weg entlang läuft, vorbei an den grauen Motorhomes von Red Bull und Mercedes, der kann den Blick schön schweifen lassen über die sattgrünen Wipfel der Tannen Walloniens, unweit des Hohen Venns in den Ardennen. Das Schweifenlassen funktioniert eine Weile ganz gut. Ziemlich genau bis zu der Stelle, an der links unvermittelt das Quartier des Rennstalls Force India aufragt. Untenrum ist es in zartem Babyrosa lackiert, oben befindet sich eine Sonnenterrasse mit Veranda und Dach. Farbe? Babyrosa. Die mutige Gestaltung setzt sich im Interieur fort, unterbrochen wird die Flut des Babyrosa nur vom Pink der Sitzbezüge für die flauschigen Hocker. Stünde diese plüschige Residenz neben dem Schloss von Cinderella in Disneyland, sie würde sich dort ebenso gut in die Landschaft fügen wie hier in die hoch technisierte Welt des Fahrerlagers von Spa.

Dieses Babyrosa ist ja eigentlich nur einem Sponsor geschuldet, passt nun aber erstmals auch zur Handlung. Der Rennstall Force India bietet die Bühne für ein unterhaltsames, vielleicht rührendes Familiendrama. Es handelt von einem sehr reichen Vater und seinem Sohn. Einem Sohn, von dem man noch nicht weiß, ob er ein Taugenichts ist, oder ein unterschätzter Geschmähter. Dieser Frage will der Vater offenbar endgültig auf den Grund gehen und hat dem Sohn den zweiten Rennstall gekauft, in dem er sich bald austoben darf.

Der Kanadier Lawrence Stroll, 59, reich geworden in der Modebranche, hatte vor einem Jahr Sohn Lance, 19, den Einstieg in die Formel 1 mit einer Millionen-Investition ermöglicht. Er hat ihm nicht nur einen Sitz in einem Rennauto gekauft, sondern gleich auch einen Teil des Williams-Rennstalls. 40 WM-Punkte sammelte der Sohn, das ist okay. Aber auf deutlich mehr Punkte kamen die Piloten von Force India, Sergio Perez (100) und Esteban Ocon (87), die die Saison als Siebter und Achter beschlossen und damit die Besten waren jenseits von Ferrari, Mercedes und Red Bull.

Als nun dieser beste aller Mittelklasse-Rennställe in finanzielle Schieflage geriet, griff Vater Stroll wieder zu. Gemeinsam mit Investoren übernahm er die Mehrheitsanteile, formal existiert Force India nicht mehr, es erhält während der Saison eine neue Identität und einen neuen Namen: "Racing Point Force India". Der neue Rennstall hat neun Rennen vor Saisonende null Konstrukteurspunkte, Sergio Perez und Esteban Ocon behalten ihre Fahrerpunkte.

Ein reicherer Fahrer dürfe keinen besseren Fahrer überspringen, sagt Weltmeister Lewis Hamilton

So. Und da drei Fahrer einer zu viel sind für einen Rennstall, stellt sich nun nicht die Frage, ob Sprössling Lance Stroll den dann sicher traurigen Esteban Ocon aus seinem Cockpit drängt. Sondern nur wann. In dieser Welt ist es nebensächlich, wenn jemand wie Ocon beim Qualifying Dritter wird, so wie am Samstag in Spa. Das finden nicht alle richtig, Mercedes-Pilot Lewis Hamilton sagt: "Du kannst nicht zulassen, dass jemand, der mehr Geld hat, einen besseren Fahrer überspringt. Das sollte nicht passieren." Tut es wohl doch.

Als Sohn Stroll in Spa vor die Presse trat, schlug er sich tapfer bei den Fragen zu einem Force-India-Wechsel. "Für den Moment hat sich nichts geändert. Ich habe noch immer einen Williams-Polo an, bin noch immer zu 100 Prozent fokussiert." Nun weiß jeder, wie schnell es sich aus einem Polohemd schälen lässt, wenn sich die Aussicht lohnt. Schon in Monza könnte Stroll ein babyrosa Modell tragen. "Wir werden sehen, was mein Vater entscheidet", sagte er und schob einen herrlichen Scherz nach: "Mein Vater ist ein netter Typ, hoffentlich nimmt er mich."

Humor ist Strolls Schild gegen die Häme, die im Internet über ihm ausgeschüttet wird. Möglicherweise zu unrecht. "Besser als ein Arbeiterjob", hat Stroll mal auf die Frage geantwortet, wie der Formel-1-Pilotenjob so sei. Das war ebenfalls lustig. Die Berufswelt eines Arbeiters dürfte Stroll kaum je näher betrachtet haben von den Anwesen seines Vaters in Genf und Montréal, wo dieser sich eine Tiefgarage in das Bergmassiv sprengen ließ, um seiner Kollektion von 20 Vintage-Ferraris ein angemessenes Zuhause zu bieten.

Lance Stroll hat durchaus Talent - aber an die Hochbegabten kommt er wohl nicht heran

Lance Stroll sitzt bei jedem Rennen in einem der langsamsten Rennwagen. Trotzdem hat er bewiesen, dass er schnell sein kann. Vor allem, wenn die Umstände widrig sind. Im Chaosrennen von Baku im Vorjahr wurde er Dritter, im vom Regen fast fortgespülten Monza-Qualifying Vierter. Wegen der Strafversetzungen beider Red Bulls durfte er in Italien sogar von Platz zwei starten - und so als jüngster Pilot in der Geschichte der Formel 1 aus der ersten Startreihe losrollen.

Strolls Dilemma ist, dass ihn jeder mit den drei anderen Jungpiloten vergleicht, die talentierter sind: Max Verstappen, 20, gewann mit 18 seinen ersten Grand Prix. Charles Leclerc, 20, bestätigt ständig im unterlegenen Sauber, dass er ein Kandidat für das andere Ferrari-Cockpit neben Sebastian Vettel wäre. Und dann gibt es noch den Wunderjungen aus der Formel 2, den 18-jährigen Lando Norris, der in Spa sein Debüt im Training der Königsklasse gab und im McLaren eine Zehntelsekunde schneller war als Stoffel Vandoorne.

Wer es in die Formel 1 schaffen möchte, benötigt Millionen, das gilt für alle. Vettel und Hamilton wurden früh in Nachwuchsprogrammen gefördert, Hamilton hatte dafür McLaren-Chef Ron Dennis frech von der Seite angequatscht. Auf einer Gala. Und auch der ehemalige Formel-1-Pilot Jos Verstappen schob die Karriere seines Sohns Max an, indem er Sponsoren suchte.

Lawrence Stroll hat nie Geldgeber gesucht. Er war ja selber einer. Geschätzter Kontostand: 2,5 Milliarden US-Dollar. Rund 80 Millionen Euro davon soll er investiert haben, um seinen Sohn in die Formel 1 zu katapultieren. Als Elfjähriger wurde dieser immerhin in die Ferrari Driver Academy aufgenommen, das Förderprogramm der Scuderia, später wechselte er in das von Williams. Doch immer wenn das Karrieretempo stockte, half der Vater nach.

Er kaufte das Formel-3-Team Prema, er investierte weiter, bis es so überlegen war, dass Lance 2016 jüngster Formel-3-Champion wurde. Sein Talent zeigte sich darin, dass er mit 507 zu 322 Punkten deutlich vor dem Teamkollegen lag. Als klar war, dass er in die Formel 1 wechseln würde, durfte er unter Ausschluss der Öffentlichkeit Testfahrten mit einem zwei Jahre alten Williams drehen, die Motoren wurden eigens für ihn zusammengeschraubt. Das war's aber noch nicht. Weil sein Sohn auch garantiert der am besten vorbereitete Debütant der Formel-1-Geschichte sein sollte, spendierte Papa Stroll dem Team Williams auch noch einen nagelneuen und sündhaft teuren Fahrsimulator. Wobei, für das Team war der nicht. Er war reserviert für Lance Stroll. Die Werksfahrer Valtteri Bottas und Felipe Massa durften zunächst nicht hinein in den Simulator.

Und jetzt? Jetzt wird man bald sehen, wie schnell der Rennfahrer Lance Stroll wirklich sein kann. Der geliebte Sohn trägt endlich Babyrosa.

© SZ vom 27.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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