Flügelflitzer: Bergfußball:Komm und spür es!

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Nach Brasiliens Niederlage gegen Bolivien auf 3650 Metern erlebt der Fußball mal wieder eine Höhendebatte - und einen Vorgeschmack auf die WM in Südafrika.

Thomas Hummel

Es ist nicht überliefert, welche Statur der unverschämte Fragesteller besaß. Ob er schlank war, muskulös und austrainiert oder eher rundlich, krummer Rücken, büromenschenartig. Jedenfalls besaß dieser Fragesteller die Unverfrorenheit, noch einmal nachzubohren, wie das nun war mit der Niederlage der Brasilianer hier in La Paz und warum die Seleção so viel schwächer spielte als zuletzt. Carlos Dungas hartes Gesicht verhärtete sich daraufhin fast zur Büste, Brasiliens Trainer wurde persönlich: "Lass uns aufs Feld gehen und vier, fünf Sprints machen, damit du den Unterschied spüren kannst."

Das wäre recht amüsant gewesen: Carlos Dunga und ein Reporter sprinten im Estadio Hernando Siles. Hopp, hopp, una mas, einer geht noch, hätte der strenge Trainer gerufen, bis der andere hechelnd in die Knie gegangen wäre. Na also, siehst du, hätte der 45-jährige dem Nachbohrer zugeraunt, Brasilianer können in diesem verteufelten La Paz eben nicht gut Fußball spielen.

Weil sie kaum atmen können, in dieser verwunschenen bolivianischen Hauptstadt, die auf völlig unbrasilianischen, sauerstoffarmen 3650 Höhenmetern liegt. Am Strand von Ipanema, ja, da können sie zaubern, vielleicht auch noch auf den 667 Höhenmetern von Madrid. Aber hier, da ist ein 1:2 doch ein ehrenhaftes Ergebnis. Das wollte Dunga sagen.

Da war sie also wieder, die Höhendebatte des Fußballs. Sie ist so alt wie der Plastikball als Spielgerät. Also mindestens 39 Jahre alt. Damals vergab die Fifa zum ersten Mal eine WM nach Mexiko, was bei den Fußballern zu großem Heulen und Jammern führte. Mexiko! 1970 war das von Europa aus gesehen ein Drittwelt-Gebiet mit Durchfall (Montezumas Rache!), mit Sahara-Hitze (die Spiele mussten wegen der europäischen Fernsehzuschauer um 12 Uhr mittags beginnen) und vor allem mit dünner Luft.

Die Spielorte lagen allesamt auf dem mexikanischen Hochlandblock zwischen 1600 und 2680 Metern Höhe. Kann man da Fußball spielen? England, damals noch für seinen Pioniergeist bekannt, schickte seine Titelverteidiger vorher wochenlang nach Kolumbien und Ecuador in die Anden, um sich an die ganz und gar unbritischen Bedingungen zu gewöhnen. Die Bulgaren kraxelten zu Hause auf die Berge und zogen dann bei der WM im Mannschaftsquartier mehrmals am Tag an der Sauerstoffflasche. Die Bulgaren mit ihren Atemmasken - das sah sehr lustig aus. Als wären sie in die Nähe des Monds geflogen.

Die Angst vor der Höhe geht auch diesmal um, vor der WM in Südafrika. Schließlich liegt der Finalort Johannesburg auf schwindelerregenden 1750 Metern. Da tut der DFB-Chefplaner Oliver Bierhoff gut daran, das Mannschaftsquartier in der hochgelegenen Provinz Gauteng zu verorten. Man will sich schließlich nichts vorwerfen lassen.

Morales' 15-Minuten-Demo

Südafrika-Fürsprecher Joseph Blatter hat mit der Johannesburger Luft offenkundig kein Problem. Dafür mit der in La Paz. Der Fifa-Chef hatte vor zwei Jahren ein Verbot für Spielorte über 2500 Metern Höhe verfügt, weil das die Gesundheit der Spieler gefährde. Und wenn ein Fifa-Chef - noch dazu ein Schweizer - so etwas sagt, hat das Gewicht.

Doch der bolivianische Präsident Evo Morales ließ sich kurzerhand mit dem Hubschrauber knapp unter den Gipfel des 6541 Meter hohen Sajama fliegen, schlüpfte in ein Fußballdress, und demonstrierte vor Kameraleuten und Fotografen, dass er im Schnee 15 Minuten lang gegen den Ball treten kann, ohne gleich der Höhenkrankheit zu verfallen. Dazu drohte er mit einer Klage wegen Diskriminierung vor der Uno und sagte: "Überall wo man Liebe machen kann, ist auch Sport möglich." Nein, Ersteres tat er zur Enttäuschung der Kameraleute und Fotografen nicht knapp unterm Gipfel des Sajama. Blatter aber gab nach.

Und so müssen die Brasilianer weiterhin hinauffliegen in die Anden und nach Luft schnappen wie Fische im trüben Wasser - und dürfen sich darüber freuen, dass vor ein paar Wochen die Argentinier mit ihrem heiligen Diego an gleicher Stelle, haha, 1:6 untergingen. Und jetzt sogar im ganz und gar auf Strandhöhe zu verortenden Montevideo in Uruguay die WM-Qualifikation verpassen können.

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