Finale der Damen:Besser als Hollywood

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Von der Nummer 957 der Rangliste zur US-Open-Siegerin: der märchenhafte Aufstieg von Sloane Stephens, die noch vor ein paar Monaten nicht laufen - geschweige denn ans Tennisspielen denken - konnte.

Von Jürgen Schmieder, New York

Brustschweiß. Ja, richtig gelesen: Brustschweiß. Über solche Sachen denkt eine junge Frau nach, die mit Selfies und sozialen Netzwerken aufgewachsen ist und die gerade zum ersten Mal ein Grand-Slam-Turnier gewonnen hat. Sie formuliert dann keine Floskeln aus dem Sportlerhandbuch, sondern heitere Erzählungen wie eben jene auf die Frage, woran sie gedacht habe, als sie die Trophäe als US-Open-Siegerin überreicht bekam: "Ich habe mir ernsthaft Sorgen um meinen Brustschweiß gemacht", sagte Sloane Stephens. "Ich habe die Fotos von früheren Siegerinnen gesehen, die sehen alle so toll aus. Ich hatte wirklich Angst, dass mein Bild schrecklich werden würde."

Natürlich sah Stephens großartig aus, als sie den Pokal präsentierte. Sie sah ein bisschen aus wie eine Hollywood-Diva, wie Gloria Swanson in Sunset Boulevard vielleicht. Stephens' Geschichte bei diesem Turnier hört sich ja ohnehin an wie ein Drehbuch aus dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten, in dem einer eben nicht nur vom Tellerwäscher zum Millionär werden, sondern auch ein paar Wochen nach dem Absturz auf Platz 957 der Weltrangliste in New York gewinnen kann.

Stephens musste diese Geschichte immer wieder erzählen, denn wer die US Open gewinnt, der darf nicht einfach nach Manhattan fahren und Champagner in diesen doch eher hässlichen Kübel kippen. Es gibt Fototermine und Interviews, stundenlang, die Siegerin wird wie ein Häftling durch die Katakomben des Arthur Ashe Stadiums geführt, immer wieder vorbei an den Siegerfotos und dem Platz an der Wand zwischen Venus Williams und Arantxa Sanchez Vicario, wo bald ihr Bild hängen wird. Es half freilich, dass Stephens gerade ein Preisgeld von 3,7 Millionen Dollar gewonnen hatte. Das lässt einen geduldig werden und Sachen sagen wie: "Habt ihr den Scheck gesehen, den mir diese Frau gegeben hat? Um Gottes Willen, ist das viel Geld. Wenn man da nicht Tennis spielen will, dann weiß ich auch nicht mehr."

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(Foto: Jewel Samad/AFP)

Toller Pokal - und dann erst der Scheck! Die erfrischend unbekümmerte Sloane Stephens.

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(Foto: Jewel Samad/AFP)

Gegen ihre Konkurrentin Madison Keys gewinnt sie in einem atemberaubenden Tempo mit 6:3, 6:0, Stephens hat ihr kaum etwas entgegen zu setzen.

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(Foto: AFP)

Zwei Freundinnen, getrennt durch ein Tennisnetz: Sloane Stephens nimmt Madison Keys, die vor der Kulisse nie zu ihrem Spiel fand, lange in den Arm.

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(Foto: AFP)

Danach plaudern sie vor der Siegerehrung auf der Bank.

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(Foto: Nick Didlick/AP)

Sloane Stephens ist die Siegerin mit der schlechtesten Weltranglistenposition (83) in der US-Open-Geschichte. Bei solch großer Freude kann man schon mal den Pokaldeckel wegschleudern.

Diese Geschichte begann vor viereinhalb Jahren, als Stephens gegen Serena Williams gewann und das Halbfinale bei den Australian Open erreichte. 19 Jahre alt war sie damals, und weil im Tennis jede Spielerin nach dem ersten Sieg gegen eine namhafte Gegnerin als künftige Grand-Slam-Siegerin gefeiert wird, wurde auch Stephens eine großartige Zukunft prognostiziert. Warum auch nicht? Sie war fit und flink, nervte Gegnerinnen mit außerordentlicher Defensive und war in kniffligen Momenten viel zu überzeugt von sich selbst, um nervös zu werden.

Eine erfahrene Gegnerin wusste jedoch alsbald: Wenn sie selbst kaum Fehler machte, hatte sie gute Chancen auf einen Sieg gegen Stephens. Die verlor häufig, oft schon in den ersten Runden bedeutsamer Turniere. Sie wurde ziemlich erbost darüber, in der Weltrangliste am Ende einer Saison drei Jahre lang um Platz 35 herum geführt zu werden, wo ihr doch alle einen raschen Aufstieg versprochen hatten. Stephens war plötzlich nicht mehr erfrischend lässig, sondern genervt hochnäsig - so wie jeder, dem der Aufstieg zum Millionär versprochen wird und der dann doch erst einmal nur Tellerwäscher bleibt.

Es kam noch schlimmer: Sie verletzte sich schwer am Fuß, aufgrund zahlreicher Komplikationen musste sie elf Monate pausieren. In der Weltrangliste rutschte sie weiter ab, im vorigen Monat wurde sie auf Platz 957 geführt. Über ihr Comeback redet sie deshalb nicht wie Swanson in Sunset Boulevard ("Es ist eine Rückkehr zu den Millionen von Fans"), sondern so: "Ich habe an die falschen Dinge im Leben gedacht. Ich habe gelernt, die Dinge lockerer zu sehen. Was passiert, das passiert."

Wahrscheinlich hat Stephens all die Niederlagen und vielleicht auch diese Verletzung gebaucht, um im Alter von 24 Jahren noch zum unbeschwerten Teenager zu werden. Ein paar Beispiele? Darüber, dass sie sich beim 6:3, 6:0 im Finale gegen Madison Keys gerade mal sechs leichte Fehler erlaubt hatte: "Halt die Klappe! Das habe ich noch nie geschafft. Läuft bei mir!" Darüber, ob sie nun Mitleid mit Keys habe, die ja ihre beste Freundin auf der Tour ist: "Sie war doch auch im Finale! Habt ihr den Scheck gesehen, den sie bekommen hat? Die wird das schon überleben. Aber ich werde ihr später einen Haufen Drinks spendieren, wir werden nämlich gemeinsam feiern." Über ihre Nervosität vor dem Finale: "Ich wollte niemanden sehen. Dann war ich aber so gelangweilt, dass ich Bewertungen von Autos im Internet gelesen habe."

Stephens ist die Antithese zu Vorjahressiegerin Angelique Kerber, die ihren Aufstieg zur weltbesten Spielerin eher gleichmütig registriert hatte und nach dem US-Open-Sieg erst einmal Schinkenbrote und saure Gummipfirsichringe von der Mama wollte und keine Party in Manhattan. Stephens ist da anders, mehr Rampensau und eben: Hollywood-Diva. "Die haben meinen Namen bereits in die Umkleidekabine graviert. Ich meine: Hallo? Das ist schon ziemlich cool. Wer kann schon von sich behaupten, dass er die US Open gewonnen hat?"

Stephens hat dieses wahrlich nicht hochklassige Finale gewonnen, weil sie weniger Fehler gemacht und mit ihrem mittlerweile harten und präzisen Vorhand-Topspin selbst attackiert hatte. Mehr brauchte es nicht gegen die beinahe zitternde Madison Keys. Es gewinnt eben nicht immer die Spielerin mit der aufregenden Vorhand, sondern gerade in bedeutsamen Partien die mit den stabileren Nerven. Die Coolere. "Ich war supernervös, sie war supernervös. Aber es hilft ja nicht, wir müssen trotzdem antreten. Ich bin einfach rausgegangen und bin hinter jedem Ball her gerannt", sagte Stephens danach: "Ich sollte jetzt meine Karriere beenden. Ich habe vorhin schon zu Madison gesagt: Besser kann es eigentlich nicht werden."

So was hören sie gern in den Vereinigten Staaten: Wenn die zuvor hochnäsige Heldin nach Demütigungen und Verletzungen geläutert zurückkehrt und den Erfolg dann bescheiden und dankbar hinnimmt - ein paar unterhaltsame Nichtigkeiten sind freilich erlaubt. Wenn sich die Siegerin nicht selbst lobpreist, sondern unbeschwerte Antworten gibt und sich tatsächlich völlig naiv darum sorgt, dass die Siegerfotos schrecklich aussehen könnten.

© SZ vom 11.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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