Ferraris enttäuschende Saison:Angst und Druck in Italiens liebster Garage

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Bauchschmerzen in der Box: Ferrari-Pilot Sebastian Vettel und sein Team können vor dem Rennen in Austin kaum zufrieden sein. (Foto: Srdjan Suki/dpa)

Nur Platz 3 in der Konstrukteurs-WM, Kritik an Ex-Weltmeister Sebastian Vettel, seltsame Sätze des angeschlagenen Teamchefs: Bei der Scuderia liegen die Nerven blank.

Von Elmar Brümmer, Austin

Falls Maurizio Arrivabene in seiner braunen Ledertasche nicht gerade Backsteine ins Fahrerlager schmuggelt, dann muss der leicht gebeugte Gang des Ferrari-Teamchefs wohl andere Ursachen haben. Und es ist fraglich, ob die vier verbleibenden Formel-1-Rennen in dieser Saison den 59-Jährigen wieder aufrichten können. Vor dem Großen Preis der USA liegt die Scuderia 50 Punkte hinter Red Bull Racing auf Platz drei der Konstrukteurweltmeisterschaft. Der Abstand zu Mercedes bleibt zwar stabil, aber das ist alles andere als eine gute Nachricht.

Proportional dazu wächst die Unruhe im italienischen Rennstall. Am vergangenen Rennwochenende legte sich Arrivabene dann auch noch öffentlich mit Sebastian Vettel an. Der Heppenheimer mische sich in zu viele Dinge ein, über eine Vertragsverlängerung habe man noch nicht nachgedacht, er müsse sich wie jeder andere seinen Platz verdienen. Ein Missverständnis, versuchte der Ferrari-Medienaufseher zu beschwichtigen. Da mag er Recht haben, aber die Antwort ist interpretierbar: Handelt es sich bei Vettel und Ferrari um ein Missverständnis? Oder bei Arrivabene und Ferrari? Ein kleiner Konflikt, der als Vorbote für einen größeren dienen kann. Und momentan kann keiner in Maranello eine Prognose abgeben, wie dieser ausgehen könnte.

Brundle über Vettel: "Nicht mehr allzu lange Teil der Formel 1"

Sebastian Vettel, der ein seismographisches Gespür dafür besitzt, wenn es in einem Rennstall nicht richtig läuft, müsste demnach beben. Doch er versucht es mit Entspannungspolitik. Er glaube nur, was Arrivabene ihm direkt gesagt habe. Beim Gespräch unter Männern war von Kritik wohl keine Rede: "Wir stehen auf der gleichen Seite, und wir geben jeder in seinem Bereich das Beste." Natürlich würde er aber alles dafür tun, auch außerhalb des Autos etwas zu bewegen. Dafür hatten ihn die Italiener in der Tradition von Michael Schumacher geholt, dafür war er nach Maranello gegangen - als Mannschaftskapitän. Der ehemalige Formel-1-Pilot Martin Brundle sieht die Lust bei Sebastian Vettel schwinden: "Ich glaube, dass er nicht mehr allzu lange Teil der Formel 1 sein wird. Er hat so jung begonnen, so viele Rekorde gebrochen. Wenn ich ihm aber jetzt bei der Arbeit zuschaue, muss ich sagen: Er hat seine Strahlkraft verloren."

Auch Im Qualifying von Auston ist Vettel hinter seinem Teamkollegen Kimi Räikkönen geblieben, die beiden Ferrari starten am Sonntag aus der dritten Reihe hinter dem Mercedes-Duo und den beiden Red-Bull-Fahrern. Während sich die meisten Rennställe schon auf den Reglementwechsel 2017 einstellen und an der aktuellen Fahrzeuggeneration nur noch marginal etwas verändern, produziert die Ferrari-Technikabteilung immer noch Upgrades. Für die vage Hoffnung auf einen Sieg in dieser Saison? "Das ist schon lange geplant. Wir wollen die letzten vier Rennen dazu nutzen, mehr über das Auto zu erfahren und nutzen jede Runde, um zu lernen. Das hilft uns dann auch für das kommende Jahr." Nachsatz: "Ich vertraue darauf, dass wir das Richtige tun." Angesichts der zuletzt fehlerhaften Rennstrategien von Ferrari ein frommer Wunsch. Das Team ist gefangen zwischen Vergangenheit (glorreich), Gegenwart (eher trostlos) und Zukunft (hoffnungsvoll).

Der Druck auf das Team sei unmenschlich, wird aus Ferrari-Kreisen berichtet, Konzernchef Sergio Marchionne wolle den Erfolg auf brachiale Art durchsetzen. Technikchef James Allison war das erste Opfer. Der Brite wurde durch den Motorenmann Mattia Binotti ersetzt, eine Interimslösung. In der gestione sportiva fehlt es an starken Händen und Charakteren, das ist der Hauptunterschied zur glorreichen Schumacher-Ära. Genüsslich lässt Luca di Montezemolo, Ferrari-Präsident von 1991 bis 2014 einen Merksatz ausrichten: "In der Formel 1 brauchst du die Demut, zu wissen, dass man nicht von heute auf morgen zum Sieger wird. Man sollte keine Siege ankündigen, wenn man nicht die Gewissheit hat, dazu in der Lage zu sein."

Arrivabene vergleicht Ferrari mit Italiens Fußball-Nationalmannschaft

Andere klagen noch heftiger. Der Corriere dello Sport titelte vor dem 18. WM-Lauf plakativ "Ferrari in Angst", denn in Italiens liebster Garage herrsche ein "Terrorklima". Eine Feststellung, die vom ehemaligen Renningenieur Luca Baldisseri stammt: "Das ist kein Team mehr, sondern eine Gruppe ängstlicher Menschen." Maurizio Arrivabene widerspricht: "Mit Ferrari verhält es sich wie mit der italienischen Fußball-Nationalmannschaft: Kritik ist normal, und auch, dass diese manchmal zu weit geht. Wenn man sich entschließt, für Ferrari zu arbeiten, weiß man das vorher. Aber die Atmosphäre innerhalb des Teams ist eine komplett andere, als die Menschen von außen denken."

Aber die gewünschte Ruhe kommt nur mit guten Ergebnissen. "Wir sind mit großen Erwartungen in dieses Jahr gestartet, aber wir können nicht erfüllen, was wir uns vorgenommen haben", weiß auch Sebastian Vettel. Mit 29 und noch einem Jahr Vertrag muss sich der vierfache Weltmeister über seine Zukunftsplanung klarwerden. Es geht auch um seine Reputation. "Ich glaube, es ist im Augenblick nicht wichtig, sich mit Details wie meinem Vertrag zu beschäftigen", wiegelt Vettel am Circuit of the Americas ab. Generell aber stelle sich dennoch die Frage, ob sich Vettel und Ferrari tatsächlich in die richtige Richtung bewegen. Der Wille ist da, aber das verlangt auch Durchhaltewillen. "Wir bleiben unserem Weg treu ", sagt Vettel trotzig. Wo immer der hinführt, vor allem aber: wie schnell er bewältigt werden kann. Der Mann mit der Ledertasche hat offenbar schwer daran zu tragen.

© SZ vom 23.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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