Fernando Alonso in Le Mans:Don Quijote in der Nacht

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Formel-1-Weltmeister Fernando Alonso geht wieder fremd und startet erstmals beim 24-Stunden-Rennen in Le Mans. So verhält sich ein Mann, der glaubt, dass er statt seines Berufsalltags etwas Besseres verdient hat.

Von Philipp Schneider, Le Mans/München

Viel sieht man nicht. Das Kamerabild säuft ab im tiefen Schwarz. Nur draußen, auf der anderen Seite des Fensters, fliegen zwischendurch die erleuchteten Dinge vorbei. Eine Leitplanke. Ein paar Bäume, die von Scheinwerfern angestrahlt werden, ein anderer Rennwagen, der überholt wird. Und hin und wieder, für Bruchteile einer Sekunde, fällt das Licht durch das Visier auf zwei braune Augen. Braune Augen, die schon immer sehr groß waren. Nun aber sind sie weit aufgerissen. Ein Rennfahrer rast mit 330 km/h in Le Mans durch die Nacht. Das ist es, was er jetzt braucht. Fernando Alonso, zweimaliger Weltmeister in der Formel 1, kultiviert in der Königsklasse des Motorsport, dort, wo Autos keine Fenster haben, erst Recht kein Dach, und wo die Sonne scheint während der Rennen.

Alonso hat das Video der ersten Nachtfahrt seiner Karriere in dieser Woche ins Internet gestellt. Er ist stolz darauf. "Ganz ehrlich", sagt Alonso. "Ich fahre mit McLaren in der Formel 1 ja nicht um die Weltmeisterschaft. Deshalb sind die 24 Stunden von Le Mans für mich die Priorität in diesem Jahr." Die Priorität? Fremd geht er.

Wie schon im Vorjahr, als er sogar das Formel-1-Rennen in Monaco sausen ließ, um bei den legendären 500 Meilen in Indianapolis in der amerikanischen Indycar-Serie mitzufahren. Alonso geht fremd aus Langeweile, aus Unterforderung - und aus Eitelkeit. Es ist das Fremdgehen eines Mannes, der denkt, dass er Besseres verdient hat als das, was er täglich sieht. Es geht ihm um Bestätigung.

Mal wieder in einem Rennwagen, der wettbewerbsfähig ist: Fernando Alonso beim Training in Le Mans. (Foto: Jean-Francois Monier/AFP)

Fernando Alonso Díaz, vor 36 Jahren geboren in Asturiens Hauptstadt Oviedo, weiß, dass er nicht mehr viel Zeit hat. Er spürt, dass es längst um sein Vermächtnis als Rennfahrer geht. Der Motorsport ist wie kaum ein anderer Sport geprägt von Statistiken. Hinter dem Namen Alonso stehen: 32 Siege, 22 Poles, zwei Weltmeisterschaften aus den Jahren 2005 und 2006 - und seit einer Woche: 300 Rennstarts. Es sind Zahlen, auf die Alonso stolz sein könnte. Nur drei Fahrer in der Geschichte sind mehr Rennen gefahren als er: Rubens Barrichello (326), Jenson Button (309) und Michael Schumacher (308). Und doch sind es Zahlen, die seinem Talent spotten, aus Alonsos Sicht sind diese Zahlen eine Farce. "Das letzte wettbewerbsfähige Auto, in dem ich saß, war das von 2007." Da hat er sogar Recht. Auch weil er Fehler begangen hat, weil er sich verzockte.

Als er im Spätsommer 2014 und zwei Jahre vor Vertragsende seinen Abschied von Ferrari bekanntgab, spekulierte er möglicherweise darauf, das Cockpit von Sebastian Vettel bei Red Bull zu erben. Daraus wurde nichts. Genauso wenig wie aus einem Engagement bei Mercedes. Ob er etwas bereut? "Ich wäre noch unglücklicher, wenn ich viele Trophäen zuhause hätte, die ich nicht verdient hätte", sagt Alonso.

Viele Experten halten Alonso für den Fahrer mit der höchsten Rennintelligenz. Noch immer. Nachdem Alonso im Vorjahr mit seinem Gezeter und Gemobbe McLarens Motorenpartner Honda vom Hof gejagt und den Wechsel zu Renault forciert hatte, ist zwar Besserung in Sicht, aber noch lange keine siegfähiges Auto. Kein Problem, angeblich. "Es gibt Fahrer hier, deren Talent offensichtlich ist und die trotzdem noch nie auf dem Podium standen: Mein Teamkollege Stoffel Vandoorne, Nico Hülkenberg, Carlos Sainz." Die Formel 1, sagt Alonso, sei "eben eine Konstrukteurs-WM, keine Fahrer-WM."

Fernando Alonso. (Foto: Jean-Francois Monier/AFP)

Fernando Alonso weiß um die Macht der Bilder. Und er weiß genau, welche Botschaften welche Pose, welche Geste sendet. Vor drei Jahren, sein McLaren hatte nach dem Einrollen bei der Qualifikation mal wieder gestreikt, setzte er sich auf den Klappstuhl eines Streckenposten und ließ sich die Sonne ins Gesicht scheinen. Alonso sah aus wie ein Camper auf einem Festival, der darauf wartet, dass die Kumpels ein neues selbstkühlende Bierfass anstechen. Alonso hatte keine Lust mehr, die ganze Welt sollte das sehen. Und nun sollen alle sehen, dass er lieber in Le Mans startet, als darum zu trauern, dass ihm kein Spitzenteam in der Formel 1 jemals mehr ein Cockpit geben wird. Alonso jagt nur noch das, was ihm bleibt. Die "Triple Crown", die derjenige erhält, der Siege beim Grand Prix von Monaco, bei den Indy 500 und eben in Le Mans feierte. Das gelang bislang nur dem Briten Graham Hill.

Alonsos Chancen in dem Rennen von Samstag auf Sonntag (Rennstart 15 Uhr) sind gut. Nach den Ausstiegen von Audi und Porsche ist sein Toyota-Team das einzige Werksteam in Le Mans. Am Freitag fuhr er mit seinen Kollegen Kazuki Nakajima und Sebastien Buemi auf die Pole Position. Auf der Pressekonferenz gab es nicht genug Stühle, um auch noch jene Reporter aufzunehmen, die nur wegen Alonso gekommen waren - dem Don Quijote des Motorsports. Einem Spanier, der auf einem alten Klepper um die Welt zieht und ein kurioses Abenteuer nach dem anderen erlebt.

© SZ vom 16.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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