Feierlaune in Deutschland:Oh, wie ist das schön!

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Deutschland im Ausnahmezustand - das 1:0 gegen Polen katapultiert Millionen Menschen in den Fußballhimmel. In Berlin feiern 500.000 auf der Fanmeile, auf der Münchner Leopoldstraße tanzt das Volk, in Hamburg wackelt die Reeperbahn. Die meisten Partys bleiben friedlich.

Berlin

In ganz Deutschland wurde der Sieg gegen die Polen euphorisch gefeiert. Und dabei ging es fast überall friedlich zu. (Foto: Foto: dpa)

Es sollte groß sein, sehr groß sogar, aber dass es so groß werden würde, damit haben wohl selbst die Organisatoren des Berliner Fan-Fests nicht gerechnet. 500.000 Menschen sollen es gewesen sein, die das Spiel Deutschland-Polen zwischen Brandenburger Tor und Siegessläule gesehen und vor allem gefeiert haben. Noch vor wenigen Wochen hatte man im Berliner Senat auf etwa 100.000 Menschen getippt, die bestenfalls zur Fan-Meile kommen würden. Doch nun ist die 2,4 Kilometer lange Strecke im Tiergarten wohl zu dem Party-Treffpunkt der Stadt geworden, und das, obwohl die Konkurrenz hart ist - schließlich gibt es im Stadtgebiet noch mehr als 20 andere Großbildleinwände.

Das Gedränge auf der Straße des 17. Juni ist zeitweilig so enorm, dass die zwölf Eingänge in das weiträumig abgesperrte Areal geschlossen werden müssen. Das Geschrei der Hunderttausenden ist noch bis tief in die Nacht auch in den angrenzenden Stadtbezirken zu hören. Eine fast noch größere Überraschung als der Ansturm der Massen ist allerdings für manchen, dass es trotz der Menschenmenge keine Zwischenfälle gibt.

Nur ein paar Kilometer weiter westlich, auf dem Kurfürstendamm, hat sich inzwischen ein weiteres Fan-Ritual etabliert. Man kann fast die Uhr danach stellen. 15 Minuten nach Spielschluss erreichen die ersten Autos mit Fahnen der jeweils siegreichen Nation den Boulevard. Die Fans fahren dann laut hupend ein paar Mal den Kudamm rauf und runter. Auch hier übertrifft der Mittwochabend alle bisherigen Tage. Nach dem Spiel gegen Polen sind so viele Autos unterwegs, dass der gesamte Verkehr in der West-berliner Innenstadt ins Stocken gerät. Die Nachtbuslinien müssen umgeleitet werden, so dass einige der vielen tausend Fußballfans, die auf dem Breitscheidplatz neben der Gedächtniskirche das Spiel verfolgt haben, nichts anderes übrig bleibt, als zu Fuß nach Hause zu gehen oder zum Bahnhof Zoo zu laufen und dort in eine S-Bahn zu steigen.

Tausende grölende Fans sitzen derweil in ihren Autos oder klammern sich mit einer Hand auf dem Dach oder an der Kühlerhaube fest und schwenken mit der anderen eine der Fahnen. Dabei sieht man allerdings nicht nur Schwarz-Rot-Gold, sondern auch türkische und sogar einige libanesische Flaggen. Der Auto-korso verwandelt sich wegen des großen Andrangs bald in einen kilometerlangen, euphorisiert lärmenden Dauerstau, der sich erst gegen halb zwei Uhr morgens auflöst.

Hamburg

Das Heiligengeistfeld rockt. Rund 65.000 Fußballbegeisterte haben sich auf dem Partygelände eingefunden, das eigentlich bereits eine Stunde vor Spielbeginn mit 50.000 Zuschauern restlos gefüllt war. Die Eingänge werden deshalb zeitweise geschlossen.

Angesichts dieser Zahl spricht die Polizei von nur sehr geringen Störungen, die sich im normalen Rahmen abspielten. Nach dem Schlusspfiff der Partie formieren sich Autokorsos auf der Reeperbahn. Die Rotlichtmeile wird für den Autoverkehr gesperrt. Es gibt eine Reihe von Festnahmen nach Körperverletzungen in Folge von Schlägereien. 42 alkoholisierte Personen werden nach Störungen und Pöbeleien vorläufig in Gewahrsam genommen.

München

Kurz vor Anpfiff ist die Stadt überall dort wie leergefegt, wo keine Leinwand steht. 91 Minuten lang dringt aus Biergärten, Kneipen und dem Fanpark auf dem Olympiagelände die immergleiche Tonspule: Hoffnungsschreie, gefolgt von Enttäuschungsstöhnen.

Die Siegessause, seit dem Sieg über Costa Rica fest eingeplant, scheint diesmal auszufallen. Und dann kommt Oliver Neuville, Beruf: Partymacher. Wie von einem einzigen gemeinsamen Rausch ergriffen feiert München nach Neuvilles Treffer bis in die frühen Morgenstunden. Im Olympiapark liegen sich etwa 28.000 Menschen in den Armen, auf dem Marienplatz, in Biergärten und Kneipen wird bis zum Schlusspfiff gefeiert. Zu Fuß, in Autos und auf Rädern strömen die Massen dann johlend, klingelnd und hupend sternförmig auf die Innenstadt zu: zum Siegestor auf der Leopoldstraße.

Die Polizei hat die obligatorische Feiermeile gleich für den Verkehr gesperrt, der Autokorso muss ausfallen. Die Straße ist bis vier Uhr früh nur für Fußgänger benutzbar. Laut Polizei waren etwa 25.000 Fans dort auf den Beinen. "Wir fahren nach Berlin", skandieren die Gruppen selig, und selbst die Polizei ist mit dem Verlauf des nächtlichen Treibens zufrieden: Wetter gut, Stimmung gut und nur minimale Störungen. "Ein wirkliches Fußballfest", freut sich ein Sprecher.

Leipzig

Rund 20000 Fans feiern den zweiten WM-Vorrundensieg ausgelassen und friedlich. Im Public-Viewing-Bereich auf dem Augustusplatz müssen wegen Überfüllung zeitweise die Zugänge geschlossen werden. Nach dem Spiel geht die Party in der City weiter, mit einem schwarz-rot-goldenen Fahnenmeer, Hupkonzerten und Feuerwerk. "Alles ist friedlich geblieben, es gab keine Festnahmen oder Verletzte", erklärt Polizeisprecher Jan Hentschel.

Fernsehdeutschland

Das zweite WM-Spiel der Deutschen hat der ARD eine Traumquote beschert. Die Zahl der Zuschauer lag am Mittwochabend laut Media Control um 3,7 Millionen über dem Wert des Auftaktspieles: 23,85 Millionen Zuschauer schalteten ein. Das entspricht einem Marktanteil von 72,5 Prozent. Das Auftaktmatch der Deutschen gegen Costa Rica am Freitag hatten im ZDF im Schnitt 20,13 Millionen Fußballfans verfolgt.

Den Spitzenwert hält laut Media Control derzeit weiterhin das WM-Endspiel 2002. Damals schalteten 27,09 Millionen Zuschauer ein, der Marktanteil betrug 88 Prozent.

© SZ vom 16.6.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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