Fechten:Gedanken wie Klingen

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Noch bevor die frühere Weltklassefechterin Anja Fichtel über ein Comeback entschieden hat, steht sie vor hohen Erwartungen.

Von Volker Kreisl

Mit Worten kann man auch Treffer setzen, exakt wie mit der Klingenspitze. Man kann große Wirkung erzielen, sogar dann, wenn sie einem eher versehentlich entgleiten, nur in einer Art Abwehrreflex, etwa bei einer Pressekonferenz.

Ein Strauß zum Abschied: 1998 beendete Anja Fichtel ihre Karriere. Jetzt naht ihr Comeback. (Foto: Foto: dpa)

Zur Deutschen Meisterschaft hatten sich mal wieder Journalisten versammelt im Fechtzentrum Tauberbischofsheim, man wollte eigentlich über den Wettkampf plaudern, eine Standard-Sportpressekonferenz eben.

Aber dann saß da auch noch Anja Fichtel, die beste deutsche Florettfechterin aller Zeiten, die eigentlich seit sieben Jahren nicht mehr ficht, höchstens mit ein paar Schülern.

Jemand fragte Fichtel, er habe da etwas von einem Comeback gehört, und Fichtel antwortete etwas. Ein anderer bohrte nach und noch einer und noch einer, und jedes Mal antwortete Fichtel ein bisschen mehr.

Das ungewöhnlichste Comeback der deutschen Sportgeschichte

Und als die Pressekonferenz dann vorbei war, schrieb fast keiner mehr über die Deutsche Meisterschaft, sondern nur noch über das bevorstehende Comeback der berühmten Florettfechterin Anja Fichtel, 35. Es könnte das vielleicht außergewöhnlichste Comeback in der deutschen Sportgeschichte werden, und darüber erschraken die Beteiligten dann doch etwas.

Frauenflorett-Bundestrainer Lajos Somodi sagt: "Ich war überrascht." Die Veranstalter der Fecht-WM 2005 in Leipzig nutzten die Gunst des Augenblicks und nahmen den großen Namen Fichtel ihrerseits gleich bei einer Pressekonferenz am nächsten Tag auf. So eine Persönlichkeit steht ja für Erfolg. Und Anja Fichtel sah große Bilder mit ihrem Gesicht in den örtlichen Zeitungen und fragte sich, ob sie das so gewollt hatte: "Die Reaktionen waren außergewöhnlich."

Ein Comeback garantiert spannenden Stoff. Es gibt nicht viele Themen, die noch aus der täglichen Berichterstattung hervorstechen. Es gibt den Juniorensportler, der die Welt-Elite düpiert, oder das verarmte Talent, das es zum Millionär schafft.

Oder ein Comeback. Die Kanutin und Olympiasiegerin Birgit Fischer hatte es angekündigt, auch die Eisschnellläuferin Gunda Niemann-Stirnemann, doch keiner dieser Fälle ähnelt dem von Anja Fichtel.

Fechten ist wie Fahrradfahren

Denn die ist vor sieben Jahren komplett aus dem Training ausgestiegen, hat ein komplett anderes Leben geführt und würde wohl auch als andere Persönlichkeit zurückkehren. Es ist ein Vorhaben voller Unwägbarkeiten.

Fechten ist wie Fahrradfahren, sagt Trainer Somodi. Man verlernt es nicht, der Kopf hat die Abläufe gespeichert. Spannend sei ausschließlich, was im Körper geschieht. Grundsätzlich hat Fichtel gute Voraussetzungen. Fechten ist anstrengend, aber nicht so sehr, dass ein 35-Jähriger automatisch bei den Altherren antreten müsste.

Andere hatten noch mit 40 in der Weltspitze gefochten, und Somodi sagt: "Anja hat kein Gramm Übergewicht." Fahren könnte sie also, doch das Rad, auf das sie sich zunächst setzen muss, hat keine gute Gangschaltung. Die ersten Wettkämpfe werden schwer, die Gegnerinnen aggressiv auftreten und keine Zeit zum Taktieren lassen, prophezeit Somodi.

Das Training wird schmerzen, und der Sport hat sich verändert. Früher entschied der achte Treffer, heute geht es bis 15. Es gibt keine Hoffnungsrunden mehr, wer in die Weltspitze will, muss jedes Gefecht gewinnen.

Die besten Sechzehn sind gesetzt, eine Rückkehrerin muss sich aber durch Qualifikationen quälen. Es ist wie eine Wand, sagt Somodi, "der Durchbruch ist schwer". Andererseits entscheiden im Fechten auch Erfahrung und Ruhe, und da hätte Fichtel Vorteile. Nicht nur, weil sie zweimal Olympiasiegerin war und fünf WM-Titel hat, auch weil sie sieben Jahre lang etwas ganz anderes tat.

Wieder mal eine neue Phase in ihrem Leben

Fichtel hat geheiratet, sich früh vom Übervater Emil Beck gelöst, ist nach Österreich gezogen, hat einen Sohn und eine Tochter bekommen, nun eine Trennung hinter sich und wieder eine neue Lebensphase begonnen.

Sie hat immer wieder Brüche in der Lebensplanung überwunden, und das lässt Menschen reifen. Die Aufregung dürfte sich in Grenzen halten, auch wenn man durch eine Gittermaske guckt und es gerade besonders spannend wird. Es gibt also wie bei jedem Comeback viele Bedenken, aber auch viele Vorteile - und natürlich jenen Reiz, etwas zu tun, was noch niemand getan hat.

Somodi sagt, Fichtel habe gute Chancen, er würde ihr "auf keinen Fall abraten". Fichtel sagt, es gehe ihr nicht um die Show. Sie denke eigentlich nur darüber nach, ob die Kinder nun alt genug sind.

Dass ihr das Fechten immer noch Spaß mache. Dass sie dem Florett wieder zu altem Glanz verhelfen wolle. Und dass Glanz nicht gute Leistungen bedeute, sondern ganz konkret Medaillen: "Wenn, dann will ich zurück in die Weltspitze." Früher, sagt Fichtel, habe man ihre Nervenstärke bewundert. Dabei sei sie nur so unbekümmert aufgetreten, weil sie nichts zu verlieren hatte.

Noch immer weckt ihr Name hohe Erwartungen

Heute hat sie einen großen Namen, und wie hoch die Erwartungen sind, haben die ersten Reaktionen auf ihre Gedankenspiele gezeigt. Nach der Pressekonferenz, sagt Fichtel, "hab' ich mich gar nicht getraut zu joggen, sonst meinen die Leute, jetzt fängt die wirklich an." Noch will sie etwas überlegen und testen, doch selbst wenn sie die Mauer durchbricht, werden die Erwartungen unvermindert hoch bleiben, und vielleicht hilft dagegen gar nichts.

Höchstens der Gedanke, dass Fichtels Vorhaben gar kein Comeback ist. Nach sieben Jahren kehrt man nicht mehr zurück in die alte Rolle, man beginnt etwas Neues.

© SZ vom 22.4.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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