Fecht-WM:Chopin auf der Planche

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Leonie Ebert (Foto: Anke Wälischmiller/Sven Simon/Imago)

Die Florettfechterin Leonie Ebert hatte in ihrer Jugend etliche Leidenschaften ausprobiert - in Mailand könnte die Europameisterin von 2022 mit dem Team ihre erste WM-Medaille erringen.

Von Volker Kreisl

Das Gefühl von Freiheit kann man auf verschiedene Weise erleben. Klar, über Unabhängigkeit im Leben, oder auch über genügend Geld auf dem Konto. Aber das ist es nicht, was Leonie Ebert meint. Sie denkt bei "totaler Freiheit" eher an Jazz. Nämlich wenn sie am Klavier sitzt und improvisiert, wenn die Finger plötzlich wie von selbst spielen, oder auch, wenn sie auf der Fechtbahn steht und die Hand mit dem Florett ganz von selber das Richtige tut.

Leonie Ebert vom Fechtclub Tauberbischofsheim ist zurzeit die erfolgreichste Athletin beim Deutschen Fechterbund, am Mittwoch bei der WM in Mailand hatte sie aber eine jener schwierigen Gegnerinnen vor sich, wie sie auch alle guten Zweikämpfer im Sport kennen. Ebert schaffte es nur unter die besten 32, ihre Gegnerin hatte immer wieder den Weg durch Eberts Deckung gefunden. Besser in Form war Teamkollegin Anne Sauer (DFC Düsseldorf), die am Ende auf Platz sieben landete, vor ihr befanden sich vor allem Fechterinnen des Gastgebers Italien. Man kann sagen, dieses Team hat den Heimvorteil genutzt: Vier Italienerinnen kamen unter die Top Ten, einmal wurde es nur Platz sechs, der Rest stand aber auf dem Podest - Gold: Alice Volpi, Silber: Arianna Errigo, Bronze: Martina Favaretto.

Ebert hat ihre Schwäche zur Stärke gemacht. Sie gleicht geringe Reichweite mit Schnellkraft aus

Weil aber Sauer durchaus ein Erfolgserlebnis hatte, weil auch Ebert, die Europameisterin von 2022, ebenfalls sonst eher nicht im 32er-Tableau rausfliegt und auch am Ende auf Platz 19 stand, und auch weil schließlich Leandra Behr Rang 16 belegte, bietet der Teamwettkampf am Samstag durchaus noch eine Medaillenchance.

Die beiden sind nicht unbedingt dieselbe Generation. Sauer ist 32, Ebert 23. Das ist schon fast eine andere Generation, jedoch gilt das nicht für den Fechtsport. Denn damit hatte Ebert schon mit 15 Jahren begonnen. Besser gesagt, damals hatte sie mit allem Möglichen begonnen, mit Tennis und weiteren Sportarten und eben Hobbys, die ins Künstlerisch-Athletische lappen, Tanz, Ballett und schließlich auch die Musik, und zwar am Klavier in verschiedenen Stilrichtungen.

Ebert gab Konzerte, offenbar hatte sie durchaus Talent und entschied sich dann doch für diesen scheinbar komplizierten Sport, das Florett, in dem man eine Klinge auf eine begrenzte Fläche, nämlich nur den Oberkörper, ausgenommen die Arme, platzieren muss. Das braucht viel Geschick und Koordination, vor allem, wenn eine Fechterin eher von kleiner Statur ist, aber das war für Ebert nie ein Problem. Anders als beim Klavierspiel, bei dem sie wegen ihrer etwas zu kleinen Hände Probleme mit den anspruchsvollen Griffen eines ihrer Lieblingskomponisten, Chopin, hatte.

Im Sport ist das anders, da kann auch eine kleine Hand gegen hochgewachsene Gegnerinnen viel bewirken, und das im Lieblingssport, nicht etwa im Tennis, oder all dem anderen, was sie früher ausprobiert hatte, sondern im Florett. Ebert hat ihre vermeintliche Schwäche zur Stärke gemacht. Sie gleicht ihre geringere Reichweite aus, indem sie ihre Schnellkraft einsetzt, vieles "über die Beine löst", wie sie sagt. Ihre Stärke ortet sie in "reaktionsschnellen Entscheidungen" und der Fähigkeit, sich auf Gegner richtig einzustellen: Sie duckt sich flinker als die Gegnerin und greift dann an, um die Aktion zu vollenden, mit einem Treffer, wie, ja, vielleicht ein gelungener Akkord auf der Tastatur.

Sechs Jahre hat sie durchgearbeitet, seitdem muss sie mit den Kräften haushalten

Bis Ebert auf dieses Leistungsniveau kam, waren auch einzelne Gefechte im Leben neben der Fechtbahn nötig, die ja gedanklich für die Akteure ein Tunnel ist. Draußen aber spielt das andere Leben, und manche Sportler und Sportlerinnen im Teenageralter, die auf dem Sprung in die Weltklasse von einer Pandemie ausgebremst werden, haben ihren Schwung ganz verloren. Ebert indes zog durchaus Nutzen aus dieser Zeit, letztlich hat sie sogar davon profitiert: "Nach den sechs Jahren, in denen ich durchgearbeitet hatte, musste ich mit den Kräften haushalten." Ebert gönnte sich mehr Erholung, zudem auch mehr "Pausen im Kopf", und dass sie diese Entscheidungen ganz selbständig traf, hängt auch mit der Vergangenheit zusammen.

Die Reife von Athleten hängt oft davon ab, wie gut sie sich vom Diktat ihres Coachs lösen können. Gerade im Fechten gibt es Trainer, die nahezu alle Aktionen ihrer Fechter dirigieren, die ihrem Schützling permanent zur Seite stehen wollen, die per Handzeichen oder Zuruf eine bessere Verteidigung auf der rechten Seite oder eine angeblich geschicktere Attacke über links zurufen, bis manche nur noch mit leerem Blick durch die Hallenluft starren. Von ihrem ersten Coach hatte Ebert viel gelernt, aber erst seit sie vom zurückhaltenden Giovanni Bortolaso betreut wird, hat sie den nächsten Schritt geschafft: Sie musste nun Initiative ergreifen und wurde eine eigenständige Fechterin, die das Team aber dringend braucht.

Am Samstag können sich die vier Florettfechterinnen also noch einmal beweisen. Bei der WM fechten starke und erfahrene Teams, eine Medaille zu erringen ist schwer, wenn auch machbar. Der eigentliche Weg ist jedoch länger, alle vier Fechterinnen führt er zunächst zu den Olympischen Spielen nach Paris, was danach kommt, daran wird normalerweise nicht gedacht. Leonie Ebert jedenfalls dürfte einige Jahre noch auf der Fechtbahn schwitzen - und sich am Klavier entspannen.

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