FC Schalke 04:Schönheit ohne Siege

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Schalkes Trainer Ralf Rangnick verzweifelt an der brotlosen Kunst seines Teams. Dabei ist gerade am Mittwoch gegen den PSV Eindhoven Effizienz gefragt. Von Christoph Biermann

Am vergangenen Samstag musste man den Eindruck gewinnen, dass sich der im Grunde eher liberale Schwabe Ralf Rangnick unversehens in ein Mitglied der fußballerischen Stahlhelmfraktion verwandelt hatte. Beim 2:2 in Köln vermisste Schalkes Trainer bei seiner Elf nämlich nicht nur den "Killerinstinkt".

Der Trainer und sein Stürmer: Kevin Kuranyi ist noch nicht treffsicher genug. (Foto: Foto: dpa)

Angesichts einer dramatischen Überlegenheit in der ersten Halbzeit gegen einen verunsicherten Gegner forderte er: "Da muss man die Brutalität haben, dem am Boden liegenden Gegner den Garaus zu machen." Wutschnaubend kam er zu dem Schluss: "So ein Spiel muss man auch mal totmachen." Derlei Wortwahl kannte man von Rangnick bislang gar nicht, aber auch mit einigen Tagen Abstand ist sie ihm keineswegs peinlich. "Gegenüber der Mannschaft bin ich sogar noch deutlicher geworden", sagt er.

Der Ausbruch des Trainers vor einer für Schalke richtungsweisenden Woche zielt auf ein Problem, das in dieser Spielzeit chronisch geworden ist. Vor der heutigen Partie in der Champions League gegen den PSV Eindhoven (20.45 Uhr, live in Premiere und Sat 1) und dem Spitzenspiel der Bundesliga am Samstag gegen Werder Bremen hadert Schalke mit der Übersetzung von spielerischer Überlegenheit in Siege.

"Von sieben Unentschieden in der Bundesliga hätten fünf Siege sein können, wenn wir entschlossener gewesen wären", sagt Rangnick. Auch das 3:3 bei Fenerbahçe Istanbul gehört unbedingt in diese Kategorie, und mit einem Sieg dort hätte sich Schalke durch einen Erfolg über den holländischen Meister fast schon sicher für die nächste Runde der Champions League qualifiziert. So ist alles noch offen, und in der Bundesliga ist der FC Schalke 04 von seinen Zielen schon weit entfernt.

Wo es klemmt, zeigt relativ klar die Statistik. So hat das Schalker Team in den bisherigen 13 Partien der Bundesliga 82 Torchancen herausgespielt, wie das Fachblatt kicker ermittelt hat. Dieser Wert wird von sechs anderen Bundesligisten übertroffen. Erster in dieser Kategorie ist Werder Bremen mit 129 Torchancen, also im Schnitt fast zehn pro Spiel. Noch bedenklicher aus Sicht der Schalker ist aber, dass sogar zwölf Teams in der Bundesliga mehr Tore erzielt haben. Das führt dazu, dass sie bei der Chancenverwertung auf dem vorletzten Platz liegen, nur der 1.FC Nürnberg geht vor dem gegnerischen Tor noch schlechter mit seinen Gelegenheiten um.

Ein Torjäger fehlt

"Wir tun uns zweifellos schwer, Tore zu schießen", gibt Rangnick zu, "uns geht ein Goalgetter ab." In der Liga haben die besten Schützen, Kevin Kuranyi und Sören Larsen, je fünf Treffer erzielt, das ist, verglichen mit den Spezialisten der anderen Spitzenteams, zu wenig. In der Champions League sieht es bei sieben Toren in vier Spielen und je zwei Treffern von Kuranyi und Lincoln etwas besser aus, doch Schalkes Trainer trimmt seine Spieler auf mehr Tore.

"Im Training und im Spiel werden sie massiv aufgefordert, den Ball ins Tor zu schießen", sagt er. Das klingt fast absurd, weil das Erzielen von Toren schließlich die Spielidee von Fußball ist. Aber Rangnick weiß, dass sich seine Spieler mitunter "am eigenen Ballbesitz ergötzen". Dann zirkuliert der Ball zwar hübsch, landet aber oft nicht mal in der Nähe des Tores.

Gibt es dann auch noch ernsthaften Gegenwind vom Gegner, "weicht die Selbstsicherheit mitunter Hektik und Panik", hat der Trainer beobachtet. Und weil das alles eben chronisch ist, stellt sich die Frage, ob der Kader richtig besetzt ist oder sich das Gewicht nicht zu sehr zugunsten des Spielerischen verschoben hat. Man könnte fast von einer Bayer-Leverkusenisierung in Schalke sprechen; schließlich waren die Konzernkicker in den letzten Jahren das Musterbeispiel für schönes Spiel ohne den letzten Erfolg.

Zweifel über die Erreichbarkeit der Ziele

Hier wie da spielen Brasilianer eine große Rolle, und zweifellos ist Schalke in sehr großem Maße abhängig von der Befindlichkeit des in seinen Stimmungen schwankenden Lincoln. "Das finde ich auch ein Stück weit in Ordnung", sagt Rangnick, "das ist bei allen Mannschaften mit brasilianischen Spielmachern so." Mit Herthas Trainer Falko Götz, der Marcelinho bei Laune halten muss, könnte Rangnick in dieser Frage eine Selbsthilfegruppe aufmachen.

Doch sind mit einem dermaßen besetzten Team die hohen Schalker Ziele überhaupt zu erreichen? "Darüber reden wir auch", gibt Rangnick zu, doch im Laufe dieser Saison wird sich das Gesicht der Mannschaft nicht mehr ändern. So hofft der Trainer, dass seine Appelle zum Abschluss erhört werden, dass sich die vielen Neuen im Laufe der Saison noch besser einspielen und dass sich die Umstellung auf das 4-2-3-1-System mit einer Spitze weiter bewährt. Denn bei der Drastik der Wortwahl ist nicht mehr viel Spielraum.

© SZ vom 23.11.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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