FC Herbstmeister:Gequältes Glück

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FC Bayerns 2:2 gegen den VfB Stuttgart: Von Bayern-Dusel, einer hochnotpeinlichen Untersuchung, die nicht stattfinden wird - und etwas Selbstbeweihräucherung.

Von Philipp Selldorf

Am Samstagabend hat die FC Bayern AG, wie jede ordentliche Firma, eine Weihnachtsfeier gegeben, die Ansprache hielt diesmal der Geschäftsführer Uli Hoeneß. Über die Gewinnerwartungen der Aktiengesellschaft wollte er aber ausdrücklich nicht reden, die ist sowieso von vornherein klar - alles gewinnen, was nicht niet- und nagelfest ist -, stattdessen kündigte er an: "Da werden keine Ziele ausgegeben, da philosophiere ich."

Doch noch Grund zu Jubeln: Michael Ballack und Roy Makaay. (Foto: Foto: Reuters)

Der Jahreszeit und den freudigen Umständen gemäß, war es Hoeneß feierlich zumute, weshalb er wie der Pastor Harmonie predigte und dazu riet, "in aller Ruhe Weihnachten zu feiern und besinnlich das neue Jahr anzugehen". Das war übrigens ganz ernst gemeint.

Gefährliche Zerreißprobe

Für den FC Bayern und damit für dessen leibhaftiges Ebenbild Uli Hoeneß endet ein Jahr voller Risiken erfolgreich. Im späten Frühjahr war die Klubführung noch radikal uneins über den Kurs: Treue und Anstand wahren und am Trainer festhalten? Oder in kalter Entschlossenheit die fällige Trennung von Ottmar Hitzfeld vollziehen? Nur die Dynamik des Geschehens bewahrte den Klub davor, in einen zähen Prozess und eine gefährliche Zerreißprobe einzutreten.

Das liegt zwar lange zurück, wirkt aber bis heute fort. "All die Dinge, die wir moniert haben letztes Jahr, die hat man heute gesehen: Fitness, Ordnung, Disziplin", erklärte Klubchef Karl-Heinz Rummenigge nach dem mühseligen 2:2 gegen den VfB Stuttgart mit besten Grüßen an Hitzfeld.

Dass der Herrschaftswechsel so rasch gelingen würde, das hatte keiner erwartet. Es war deshalb keine Koketterie, dass Felix Magath anklingen ließ, er habe nicht damit gerechnet, dass seine Mannschaft zur Winterpause Erster sein werde. "Mit drei, vier Punkten Rückstand wäre ich auch zufrieden gewesen", sagte er nebenbei, und das bezog sich aufs gedachte Ganze, nicht aufs Match, bei dem die Bayern fast bis zum Abpfiff drei Punkte Rückstand auf Schalke 04 hatten.

"Wir haben uns gequält"

Dass es doch noch anders kam, "war Glück", wie Hoeneß gestand, allerdings nicht ohne Kleingedrucktes: "Vielleicht auch das Glück des Tüchtigen." Magath gab zu, dass seine Elf "fast hilflos" gewesen sei, "wir haben uns gequält", räumte auch Michael Ballack ein.

Der Deutung der Münchner Wortführer, das späte 2:2 durch den eingewechselten Guerrero sei das Ergebnis eines "großen Charakters und guter Moral" (Rummenigge) beziehungsweise "totalen Aufbäumens" (Hoeneß), steht allerdings ein Haufen Indizien gegenüber, die das Remis eher auf den Faktor Bayern-Dusel zurückführen.

Der VfB hatte bis zum Schluss die bessere Leistung geboten, er zeigte mehr Einsatz, spielte aggressiver und entschlossener, hatte taktische Vorteile, mehr Chancen (vor allem durch Kuranyi), den besseren Spielgestalter (Hleb) und obendrein an diesem Tag auch den besseren Torhüter. Nur an diesem Tag? Das ist wiederum eine Frage, die auf wenig Gegenliebe traf bei den ansonsten für alle Einwände toleranten Bayern-Gewaltigen.

Hochnotpeinlicher Untersuchung entgangen

Oliver Kahn verabschiedete sich nach dem Schlusspfiff mit Handschlag von jedem Mitspieler, was immer das heißen mochte. Vermutlich drückte es Dankbarkeit aus, denn durch die späte Korrektur des Resultats bewahrten die Kollegen den (Noch-)Nationaltorwart davor, wieder in den Mittelpunkt einer hochnotpeinlichen Untersuchung zu geraten.

Außer den Gerontologen (die sich auch schon mit Kahns Widerpart Jens Lehmann beschäftigen) wären dann die Anatomen gefragt, denn es ist regelmäßig der eigene kräftige Brustkorb, der Kahn im Weg ist, wenn er einen Ball fangen will. So gesehen war das 2:0 für den VfB ein Klassiker: Cacau schießt, Kahns Brustkorb wehrt ab, während seine Arme daneben langen, und Kuranyi schießt den herrenlosen Ball ins Tor.

Sehr unangenehm für den Betroffenen, "vor allem der Zeitpunkt war ungünstig", tadelte Rummenigge milde, während Felix Magath eher angestrengt auf die Fehler der Deckung verwies ("Da müssen sich andere Gedanken machen, warum der Cacau so frei zum Schuss kommt").

Actioneinlagen der Stars

Weiteren, notwendig ungünstigen Analysen entging der Torwart nur, weil sich andere Stars durch Actioneinlagen in den Vordergrund drängten. Michael Ballack und Kevin Kuranyi lieferten sich infolge einer Regeldiskussion eine sehenswerte Rangelei, die vorübergehend die Ordnung im Nationalteam auf die Probe stellte. "Wenn ein Spieler mich am Hals packt, habe ich halt zurückgepackt", erklärte Kuranyi etwas stolprig, aber weil eben kein gewöhnlicher Spieler, sondern der Deutschlandkäpt'n Ballack zugegriffen hatte, war die Hierarchie schnell wiederhergestellt.

Im Bewusstsein seiner Stellung spielte Ballack seine Autorität aus ("Das steht ihm nicht zu, einem Mitspieler so an die Gurgel zu gehen"), und Kuranyi versprach, Abbitte zu leisten: "Ich glaube, dass ich zu ihm hingehe, weil ich noch ein junger Spieler bin."

Auch in der Bundesliga ist die übliche Rangfolge wiederhergestellt, und als Herbstwinterweihnachtsmeister wähnen sich die Bayern nun "psychologisch im Vorteil" vor Schalke und Stuttgart, wie Hoeneß meint. "Es ist nur ein symbolischer Titel", setzte Ballack fort, "aber man hat's ja gesehen bei Schalke: Sie haben das Ergebnis von uns gehört und noch den Ausgleich kassiert. Die scheinen jetzt schon Nerven zu zeigen."

Bei so vielen historischen, tiefseelenforschenden und soziologischen Erörterungen tat es dann gut, dass Uli Hoeneß noch eine ganz und gar weltliche Empfehlung abgab: "Jetzt ist es erlaubt, sich zurückzulehnen, bis die ersten Gänse verspeist sind."

© SZ vom 13.12.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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