FC Chelsea:Auf verlorenem Posten

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"Setzt ihm eine Pappnase auf": Über Chelseas neuen Trainer Avram Grant ist das Urteil schon gesprochen, bevor er die Arbeit richtig begonnen hat.

Raphael Honigstein

Unheimlich düster sah Avram Grants Gesicht aus, das lag wohl auch an dem merkwürdig schummrigen Licht im Pressesaal von Old Trafford. Hausherr Sir Alex Ferguson, der Trainer von Manchester United, sieht sich ja schon seit ein paar Jahren nicht mehr genötigt, nach Partien Rede und Antwort zu stehen; vielleicht will man deswegen einfach ein bisschen Strom sparen. Sollen die Gästetrainer eben selber glänzen.

Düstere Miene: Trainer Grant verfolgt das Spiel Chelsea gegen Manchester United (Foto: Foto: AFP)

Grant, 52, aber saß mit geduckten Schultern tief hinter dem kleinen Podest; er sah aus wie ein Soldat im Schützenbunker, den seine Kompanie tief hinter feindlichen Linien zurück gelassen hatte. Die verbalen Attacken der Journalisten prasselten wie erwartet auf ihn nieder, er konnte nur ausweichen oder halbherzig parieren, für eine Gegenoffensive fehlte ihm Munition.

Chelsea hatte 0:2 verloren, unglücklich vielleicht, aber auch verdient. Die Blues hatten Ordnung im Spiel, aber nichts Zupackendes. Ohne Didier Drogba und Frank Lampard, die wichtigsten Torschützen, gelang kein einziger gefährlicher Angriffszug.

Die Erkenntnis des Nachmittags

Grant sprach die Fehler des Schiedsrichters an, "komisch" seien diese gewesen, grummelte er, sie hätten das Resultat beeinflusst. Das konnte man nach einem unberechtigten Elfmeter für United und einer zweifelhaften roten Karte für Chelseas Mittefeldspieler John Obi Mikel in der ersten Halbzeit so sehen. Aber die Diskussion vermochte nicht von der eigentlichen Erkenntnis des Nachmittags abzulenken.

Der schier fundamentalistische Glaube an die eigene Größe und der Erfolgsanspruch hat sich mit Grants gefeuertem Vorgänger José Mourinho aus der Chelsea-Kabine verabschiedet. Grant, auf und neben dem Platz ein vorsichtiger Taktierer, schraubte nach der Niederlage gegen den Meister sogleich subtil die Saisonziele herunter.

"Wir werden unser Bestes geben und können noch die Liga gewinnen", sagte er ohne Überzeugung in der Stimme. Chelsea steht auf Platz Sechs, hat fünf Punkte Rückstand auf Tabellenführer Arsenal und einen Trainer, den die eigenen Fans als Clown sehen. "Setzt ihm eine rote Pappnase auf", brüllte ein Anhänger der Blauen am Wochenende in die Kamera.

Nur ein frostiger Handschlag

Der Israeli steht mit seinem Touristenenglisch auf ziemlich verlorenem Posten, nach nur einer Partie. Die mitgereisten Fans ließen am Sonntag erst Mourinho und dann Co-Trainer Steve Clarke hochleben.

Die britischen Medien halten ihn nicht ganz zu Unrecht für unterqualifiziert für den Job; er gilt als Marionette von Eigentümer Roman Abramowitsch, der die Fäden jederzeit kappen kann. In Manchester saß der holländische Nationaltrainer Marco van Basten hinter Abramowitsch auf der VIP-Tribüne, prompt wird er als neuester Kandidat gehandelt.

Kapitän John Terrys Chancen, nach Ablauf seiner aktiven Karriere eines Tages auf der Chelsea-Bank zu sitzen, haben dagegen im Zuge von Mourinhos tränenreicher Demission Schaden genommen. Der 26-Jährige wollte sich ursprünglich eine Option auf das Traineramt in seinen neuen, mit 10 Millionen Euro dotierten Fünfjahres-Vertrag schreiben lassen, doch der Verein spielte nicht mit.

Am Donnerstag bekam der Verteidiger laut Observer wie Kollege Schewtschenko nur einen frostigen Handschlag von Mourinho zum Abschied. Der Portugiese war mit dem Engländer in der Halbzeit aneinandergeraten - der Verteidiger hatte beim 0:1 gepatzt - und hatte sich später hinter Terrys Rücken in der medizinischen Abteilung über dessen körperlichen Zustand erkundigt.

Abschiedskuss auf den Hals

Terry beschwerte sich bei Geschäftsführer Peter Kenyon, der wiederum petzte bei Abramowitsch' rechter Hand, Eugene Tenenbaum. Mourinho soll Terry nach seiner Entlassung sarkastisch für seine Gespräche mit den Vereinsbossen gedankt haben.

Englands Kapitän will in der Öffentlichkeit aber nicht als Verräter dastehen und erwägt eine Klage - zu der es jedoch kaum kommen wird. Unabhängige Quellen haben die Version des Observer bestätigt. Michael Ballack bekam von Mourinho übrigens einen Abschiedskuss auf den Hals und aufmunternde Textbotschaften aufs Handy-Display.

Spannend bleibt, ob Abramowitsch in Zukunft verstärkt Trainer spielen will. Es gibt Anzeichen dafür. Solange steht jede von Grants Entscheidungen unweigerlich unter Verdacht. "Wenn ich Schewtschenko spielen lasse, heißt es, der Eigentümer will es so. Wenn ich ihn auswechsle, heißt es, ich will meine Unabhängigkeit beweisen", sagte Grant. Aus dieser dialektischen Falle kommt er nur mit Ergebnissen hinaus.

Neue Trainer bringen in der Regel Schwung, Autorität und Optimismus mit, oft sind die ersten Jahre ihre besten. Grant aber steht sofort in der Defensive. Er hat noch keine Strategie, keinen Plan, man spürt das. ,,Alles ging ja so schnell'', sagte er. Wer so tief verteidigen muss, wird nicht viel gewinnen können.

© SZ vom 25.9.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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