FC Bayern München:Zerrissen im Dilemma

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Die Debatte um die Stellung von Trainer Hitzfeld bringt den FC Bayern gleich doppelt in die Zwangslage - und droht den Klub zu spalten

Von Philipp Selldorf

Beim FC Chelsea hat dieser Tage der italienische Trainer Claudio Ranieri den Wunsch geäußert, sein Klub möge den seit Monaten andauernden, zermürbenden Spekulationen der Medien um seine bevorstehende Entlassung entgegentreten.

Er glaube ja nicht an diesen Mist in den Zeitungen, sagte er, "aber es wäre gut, wenn der Klub mir sagen könnte: ,Das ist alles Mist. Arbeite weiter.'" Tatsächlich gab Klubchef Kenyon prompt ein langes Statement ab, mit dem Fazit, all die Spekulationen seien "wenig hilfreich für unseren Trainer und die Spieler". Was er jedoch partout nicht gesagt hat: Dass all das Gerede "Mist" ist.

Trainerschicksal

Aber könnte Ranieri daraus wirklich Vertrauen schöpfen? Es ist das Trainerschicksal, den Worten (und Taten) des Vorstands ausgeliefert zu sein. Wie Ranieri sieht sich auch Ottmar Hitzfeld beim FC Bayern ständig neuen Spekulationen ausgesetzt. Seine Stellung ist, ein Jahr vor dem Vertragsende, nach fast sechs, zumeist immens erfolgreichen Spielzeiten komplett ungewiss.

Und täglich wird sein Rückhalt beim Verein fraglicher. So zitiert Sport-Bild jetzt den Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge mit einer nebulösen, doch eindeutig bedrohlichen Bemerkung zu Hitzfelds Lage: "Weder Platz zwei sichert ihm den Job noch Platz drei bedeutet automatisch eine Trennung." Der Klub habe noch keine Entscheidung gefällt, sagte Rummenigge, und das ist offenkundig richtig.

Im Verein gibt es zu Hitzfeld mehrere Meinungen. Sie lassen sich recht sicher unterscheiden. Rummenigge ist zu Hitzfeld soweit auf Distanz gegangen, dass die beiden Männer sich kaum noch verständigen können. Manager Uli Hoeneß steht auf der Seite des Trainers. Franz Beckenbauer, der zwar keine unmittelbare Entscheidungsgewalt, aber viel Einfluss besitzt, hält es wie immer: Mal meint er dies, und mal dessen Gegenteil. Ein entschlossener Befürworter Hitzfelds ist er nicht.

Ihn nervt Hitzfelds ängstliches Naturell, aber er respektiert auch dessen Leistungen. Hitzfeld, der ein scharfsinniger Mensch ist, erkennt diese Strömungen - und er fürchtet sie. Misstrauen und Vorsicht bestimmen sein Handeln. Seine Entscheidungen als Coach und seine Äußerungen, sagen Kritiker, seien aus Angst vor der Konfrontation durchweg "politisch motiviert" und dienten nur noch der Absicherung gegen Konflikte. Aus seinem unsicheren, mutlosen Umgang mit den Spielern resultiert, unübersehbar, die Stagnation der Mannschaft.

Unehrenhafter Abschied

Wie im Herbst 2002, als die Münchner sich ziemlich unehrenhaft aus der Champions League verabschieden mussten, lautet auch diesmal der Vorwurf gegen Hitzfeld, dass viele Spieler unter seiner Regie ihre Fähigkeiten nicht ausschöpften. Damals hießen sie Zé Roberto, Pizarro, (Niko) Kovac oder Thiam. Heute sind es Ballack, Pizarro oder Santa Cruz, die sichtlich nicht vorankommen.

Hitzfeld deutete jetzt an, dass er sich dem Verkauf Santa Cruz', der eine schlechte Saison spielt und keinen Platz im Team findet, nicht widersetzen würde. Dagegen aber steht Hoeneß, der sagt: "Das kommt überhaupt nicht in Frage. Der wird nie verkauft. Das wäre ja eine Bankrotterklärung für den FC Bayern, wenn wir unser größtes Talent verkaufen würden."

Das Dilemma in der Trainerfrage ist offensichtlich. Doch steckt der FC Bayern gleich doppelt in der Zwangslage. Auf dem Spiel steht nicht nur die laufende Saison, in der es darum geht, den Champions-League-Platz gegen den VfB Stuttgart und Bayer Leverkusen zu verteidigen, was bei der derzeitigen Verfassung des Teams schwierig genug ist. In Frage steht auch die kommende Spielzeit, die Hitzfeld unter dem unguten Vorzeichen beginnen würde, dass es seine letzte in München ist.

An eine Vertragsverlängerung mit den Bayern glaubt niemand mehr, auch Hitzfeld nicht. Das macht ihn angreifbar in alle Richtungen. Mehr denn je wird er seinen Posten "politisch" verteidigen müssen. Andererseits: Wie will der Trainer in einem so gnadenlos öffentlichen Klub durchhalten, wenn er nicht ständig das Spiel der Kräfte ausbalanciert? Millionen Bayern-Fans sind mit den Nerven am Ende, wenn ihr Team nicht jedes Spiel gewinnt - von den Klubverantwortlichen ganz zu schweigen.

Heikle Sache

Was den FC Bayern mit dem FC Chelsea verbindet und Hitzfeld zum Schicksalsgenossen Ranieris werden lässt, ist die Größe des Unternehmens und die damit einhergehende Beschränkung bei der Wahl des geeigneten Trainers. Hitzfeld zu entlassen oder eine Trennung zum Saisonende zu erzwingen wäre eingedenk der Verdienste des Trainers eine brutale Entscheidung, die in der Öffentlichkeit sehr umstritten bliebe.

Aber die Sache ist umso heikler, weil es kaum eine Alternative gibt, die Hitzfelds Renommee entspricht. Für einen Verein wie den FC Bayern, der eine riesengroße Fußballfirma ist, kommen nur ein paar Kandidaten in Frage. Und letztlich bleibt nur Felix Magath übrig. Magath ist aber bis 2005 an Stuttgart gebunden. Die Bayern würden sich sehr unbeliebt machen, wenn sie versuchten, ihn aus dem Vertrag herauszukaufen. Über diesen Aspekt können sie sich nicht mehr, wie sie's früher getan haben, einfach hinwegsetzen.

So präsentiert sich der FC Bayern im März 2004 innerlich zerrissen wie selten zuvor, und kaum einer der Beteiligten glaubt, wenn er ehrlich ist, an ein gutes Ende.

© SZ v. 24.3.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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