FC Bayern in Mailand:Nervenprobe für Rensing

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Gegen das Vorbild Kahn, gegen die Zweifler: Bayerns junger Ersatzkeeper spielt in Mailand um seine Zukunft.

Andreas Burkert

Oliver Kahn sah aus, als habe ihn jemand vermöbelt. Eine rote Bayern-Socke, gefüllt mit Eiswürfeln, hielt er sich auf sein blutunterlaufenes rechtes Auge, es war wegen der Schwellung fast geschlossen.

So saß Kahn auf der Tribüne und sah mit seinem linken Auge, wie derjenige, der ihm den Brummschädel zugefügt hatte, für 90 Minuten seinen Arbeitsplatz ausfüllte. Michael Rensing spielte gegen Bielefeld im Münchner Tor, im Gegensatz zu Kahn fiel er aber nicht auf: 2:0, kaum etwas zu halten.

Ein Jahr ist das nun her; Rensing, die Nummer zwei im Tor des FC Bayern, hatte Kahn, die Nummer eins, beim Warmschießen abgeschossen.

Keine Absicht, versicherten hinterher alle, natürlich nicht. Doch ein wenig Frust ist wohl immer dabei, wenn Rensing auf Anordnung des Lehrmeisters kräftig abzieht, auf dass es Kahn ordentlich warm werde. Denn Kahn ist schließlich derjenige, der Rensings Karriere immerzu blockiert.

Kahn wird im Juni 38, kürzlich, vor dem Europacup-Hinspiel in Madrid wurde er von der ungehobelten spanischen Sportpresse als ,,Torhütergreis'' bezeichnet. Michael Rensing ist 22 und würde so etwas nie sagen. Denn Kahn ist sein Idol.

An diesem Dienstag fehlt Kahn den Bayern im ersten Champions-League-Viertelfinale beim AC Mailand; er hat nach dem Rückspiel gegen Madrid einen gefüllten Urinbecher durch den Dopingkontrollraum gefeuert und ist deshalb gesperrt. Für Rensing ist es wohl mehr als ein Spiel, das er ,,sehr, sehr weit oben'' in seiner Karriere-Skala einordnet.

Zwei Sporttaschen als Gepäck

Denn es dürfte sogar über den weiteren Verlauf seiner Laufbahn entscheiden. ,,Der Michael steht in Mailand ganz sicher vor einer großen Bewährungsprobe'', sagt Werner Kern. Denn dass Rensing irgendwann automatisch Kahns Erbe zufalle, ergänzt er, ,,da kann man sich eben nicht wirklich sicher sein.''

Kern, 60, ist seit bald einem Jahrzehnt Leiter der Münchner Nachwuchsabteilung, in deren Internat Rensing vor sieben Jahren einzog. Der Bruder und sein bester Freund hatten Rensing damals die 800 Kilometer von seinem Heimatort Lingen im Emsland an die Säbener Straße gefahren. Zwei prallvolle Sporttaschen waren sein Gepäck. Und der Traum von Kahns sportlichem Erbe.

Die Münchner haben Rensing seitdem stets darin bestärkt, nur er werde irgendwann dem einstigen Welttorhüter nachfolgen. Rensing sei der talentierteste deutsche Keeper, hat Manager Uli Hoeneß versichert, und Torwarttrainer Sepp Maier beteuerte, niemals so viel Begabung bei einem solch jungen Kerl gesehen zu haben.

Also wartet Rensing. Bis 2006, hieß es zunächst. Bis Sommer 2007, lautete später die Ansage - ehe Kahn überraschend bis 2008 verlängerte. Noch gut ein Jahr.

Ob Rensing übernächsten Sommer, wenn Kahn 39-jährig abtreten will, wirklich regelmäßig bei den Bayern im Tor steht? Sicher sein könne er sich nicht, hat Kern also gesagt, und vermutlich kennt auch er die Stimmen derjenigen, die vorsichtig Zweifel äußern. Sie finden, Rensing habe etwas Geschmeidigkeit verloren, womöglich eifere er zu sehr dem Vorbild Kahn nach. Rensing reagiert sich gerne im Kraftraum ab. Dabei hatten sie ihm ja damals gesagt: Schau' dir einfach an, was der Olli macht.

Das Supertalent faucht

Nun haben sie allerdings auch seinem jüngsten Profieinsatz im Pokal bei Alemannia Aachen (2:4) zugesehen, wo zwar vor allem die Verteidigung versagte - wo aber auch Rensing bei dem einen oder anderen Gegentreffer passiv wirkte. Hermann Gerland hat den leisen Zweifel ebenfalls vernommen. ,,Aber seit dem letzten Spiel gegen den AC Mailand vor einem Jahr habe ich nichts mehr gehört'', sagt er, ,,das hat bei uns auch die Letzten überzeugt.'' Rensing vertrat Kahn damals fehlerfrei.

Dass man überhaupt zweifelt, ist wohl ohnehin etwas ungerecht. Denn Rensing hat ja sein Talent nur dann nachweisen dürfen, wenn Kahn mal unpässlich war: in zwölf Bundesligapartien seit 2003 und einer in der Champions League - im Februar 2006 gegen Mailand (1:1) -, dazu in mehreren Pokalspielen. Regelmäßige Einsätze hat er nur bei Gerlands Regionalliga-Talenten. ,,Aber das ist sicher ein anderes Spiel'', räumt der Ausbilder ein.

Michael Rensing indes könne das, davon sind Kern und Gerland ,,absolut überzeugt'': richtige Spiele. ,,Er hat das schon bewiesen'', findet Mitspieler Mark van Bommel, ,,wir vertrauen ihm.'' Rensing ahnt allerdings, dass ihm die Zeit enteilt. Manuel Neuer, 21, und René Adler, 22, haben in Schalke und Leverkusen nicht nur Vertrauen erhalten. Sondern den Stammplatz. Sie halten überragend, ihnen wird sogar eine Zukunft im Nationalteam zugetraut - sie haben Rensing, das einstige Supertalent, überholt.

,,In der U21 habe ich immer vor Adler gespielt'', sagt Rensing trotzig. Und Neuers gute Partie beim Schalker 0:2 in München möchte er lieber nicht kommentieren. Er sagt nur: ,,Bayern ist nicht Leverkusen oder Schalke.'' Wieder klingt er trotzig. Aus Frust.

"Eine unbefriedigende Saison"

Warten möchte Rensing jetzt eigentlich nicht mehr. Im Sommer 2008 wird er 24 sein. Richtig jung ist er dann nicht mehr. Aber weiterhin unerfahren. Als Klubchef Rummenigge zuletzt äußerte, Kahn müsse sich nur melden, falls er erneut verlängern wolle - da ist aus ,,dem feinen Kerl'' (Gerland), der inzwischen auch mal nach Gegentoren den Ball wie der junge Kahn übers Feld tritt, für alle vernehmbar ein frustrierter Trotzkopf geworden.

Was Herrn Rummenigge in den Sinn gekommen sei, ,,dass er sich nicht an klare Absprachen halten will'', fauchte Rensing. Er sei jetzt offen für andere Klubs. Hoeneß dementierte Rummenigges Worte schnell als missverständlich.

,,Das ist alles eine unbefriedigende Situation'', sagt Rensing heute. Er hat einen Vertrag bis 2010 und ist doch mit dem Status quo nicht mehr einverstanden. Er wolle sich jedenfalls mit dem Klub ,,nach der Saison zusammensetzen und besprechen, wie sich das Ganze regeln lässt.'' Die U21 falle ja künftig weg, deshalb müsse er ,,zusehen, dass ich regelmäßiger spielen werde''. Trainer Hitzfeld indes hat vor der Abreise nach Mailand betont, auch zur nächsten Saison sei kein offener Wettbewerb vorgesehen.

,,So lange Oliver gut hält, bleibt er die Nummer eins. Gut halten, das werde für Michael Rensing auf Dauer nicht reichen, haben seine Weggefährten Kern und Gerland noch gesagt. ,,Durchschnitt genügt nicht'', ahnt Werner Kern, ,,als Nummer eins bei Bayern München musst du Spiele gewinnen.'' Spiele wie heute Abend in San Siro gegen Milan.

© SZ vom 3.4.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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