FC Bayern:Ideen von allen Seiten

Lesezeit: 4 min

Nach Ballacks Weggang muss Trainer Felix Magath erstmals seine eigene Mannschaft bilden. Für den FC Bayern beginnt so eine Zeit der Experimente.

Felix Magath hat Pfefferminztee bestellt, es sind frische Blätter, nicht dieses geraspelte Zeug im Beutel.

Felix Magath ist gut gelaunt, und das, obwohl er zum ersten Mal in seiner Münchner Amtszeit gezwungen ist, kreative Lösungen zu finden. (Foto: Foto: ddp)

Er legt die Blätter in das heiße Wasser und lässt sie sehr lange ziehen. Frische Pfefferminzblätter müssen sehr lange ziehen, Magath weiß das, also wartet er geduldig.

Geduld ist eine seiner Eigenschaften. Geduldig hat er gewartet, ob Ruud van Nistelrooy zum FC Bayern kommt, so wie er in seinen beiden vorhergehenden Jahren als Trainer geduldig die Entwicklung des Kaders betrachtet hat.

Spieler kamen, Spieler gingen, und Magath sagte immer wieder einmal: "Ich arbeite mit denen, die da sind."

Er stellte keine Forderungen, bis auf die eine Ausnahme, als er als Einziger im Verein Ali Karimi verpflichten wollte; der Wunsch wurde ihm erfüllt. Geduldig ertrug er, dass lange unklar blieb, ob Michael Ballack den Verein verlassen würde. Er gewann zweimal das Double aus Meisterschaft und Pokal, scheiterte zweimal in der Champions League, und nun, am Beginn seiner dritten Saison beim FC Bayern, kann er endlich das tun, worauf er geduldig gewartet hat: Er kann aus denen, die da sind, eine Mannschaft bauen, die seine sein wird: Magaths Mannschaft.

Zeit der Experimente

Er ist zum ersten Mal seit Jahren gezwungen, kreative Lösungen zu finden, was natürlich am Weggang Ballacks liegt. Ballack hinterlässt ein großes Loch in der Mitte der Mannschaft, und aus diesem Loch in der Mitte entspringt nun Magaths Chance, die Mannschaft zu gestalten und eine neue Spielidee zu entwickeln. "Wir waren vorher sehr ausrechenbar", sagt er, "das wird sich künftig ändern." Das Problem ist einstweilen, dass die Mannschaft nicht nur für die Gegner schwer ausrechenbar ist, sondern auch für den Trainer, vermutlich sogar für sich selbst. Es beginnt nun beim FC Bayern eine Zeit der Experimente.

Auch beim VfB Stuttgart hat Magath ohne zentrale Figur in der Mitte gearbeitet. Er hat eine Art Erfindung gemacht, indem er die Lenkung des Spiels auf zwei Männer verteilte, auf den jungen Aliaksandr Hleb und den erfahrenen Horst Heldt. Es war eine verblüffende Lösung, die bestens funktionierte: Der VfB spielte schönen und erfolgreichen Fußball. Nun hat Magath einen ähnlichen Plan, er wird die Spielmacherei auf mehrere Schultern verteilen. Auf welche? "Das muss man jetzt einfach ausprobieren. Ich weiß es wirklich noch nicht", sagt er.

Chance statt Schwächung

Einige Ideen hat er natürlich durchaus. Während allgemein lediglich die Folgen des Fehlen Ballacks erörtert werden, weist Magath ausdrücklich darauf hin, was der Weggang Ze Robertos bedeutet: "Das bedeutet, dass Bastian Schweinsteiger auf links öfter zum Zuge kommt. Und er soll nicht nur auf der linken Seite spielen, sondern auch Aufgaben aus der Mitte übernehmen." Was also passiert beim FC Bayern, ist eine Umdeutung der Weggänge: Sie werden nicht als Schwächung bezeichnet, sondern als Chance.

Zu beachten ist allerdings, dass die um Ballack herumgebaute Mannschaft vielleicht nicht sehr aufregend, aber doch so solide war, dass eher die Sonne zwei Stunden zu spät aufgegangen wäre als dass diese Auswahl nicht unter die ersten Drei in der Liga kam. Was die neue Mannschaft nun zu leisten imstande ist, lässt sich derzeit allenfalls als Möglichkeit, oder, wie im Falle Magaths, als Hoffnung formulieren.

Die Hoffnung ist im Wesentlichen, dass jetzt alle besser werden und dass diese kollektive Verbesserung mehr wert ist als das Können Ballacks - was bedeutet, dass man darauf hofft, dass die Mannschaft ohne Ballack besser spielt als mit ihm. Die Hoffnungen im Detail: Erstens: Die Stürmer sollen mehr Tore schießen. Magath findet die schöne Formulierung, Ballack habe die Angreifer beim "Toreschießen ja sehr unterstützt". Er lächelt, als er das sagt. Er möchte nichts Schlechtes über Ballack sagen und auch nichts Falsches.

Ballacks Weggang: Verlust und Befreiung in einem

Mit der Formulierung von der Unterstützung ist es ihm gelungen, recht elegant zu sagen, dass Ballack zwar viele Tore erzielt hat, das aber um den Preis, dass er den Stürmern den Raum nahm. Zweitens: Das Mittelfeld soll ein kreativeres Offensivspiel aufziehen. Da Ballack so kopfballstark ist, sah das Spiel der Bayern oft so aus, dass er den Ball bekam, auf außen spielte, umgehend in den Strafraum eilte, wo er auf die Flanke wartete. Nun sollen die Ideen von allen Seiten kommen. "Wir haben die Chance, attraktiveren Fußball zu spielen", sagt er.

Manchmal, wenn man mit Offiziellen des FC Bayern über die Zeit nach Ballack spricht, könnte man glauben, dass alle ziemlich froh sind, dass er weg ist, weil jetzt endlich wieder Fußball gespielt werden kann; man ist sogar geneigt, sich die Frage zu stellen, wie man mit Ballack überhaupt Fußball spielen konnte in Anbetracht der Hoffnungen, die sich mit seinem Weggang verknüpfen. Das ist natürlich übertrieben, und sie sagen auch nicht Schlechtes über Ballack im Klub, es ist jedoch interessant zu hören, dass es manchmal so klingt, als habe der Klub seine dominante Figur nicht verloren, sondern als sei er von ihr befreit worden. "Ballack war unsere Stärke", sagt Magath, "aber weil wir so ausrechenbar waren, hatten wir eben zugleich eine Schwäche." So gesehen ist der Weggang beides: Verlust und Befreiung in einem.

Magath ist ein ruhiger und sachlicher Erzähler, doch als es nun darum geht, dass es für als Trainer recht spannend sein könnte, eine anders spielende Mannschaft zu bauen, richtet er sich auf und sagt bestimmt: "Das ist nicht bloß spannend. Es ist eine Herausforderung und eine kreative Aufgabe für einen Trainer. Die ganze Idee wird sich verändern."

Zum Beispiel Arsenal

Fast klingt es, als sei es ihm in den vergangenen beiden Jahren zu einfach gewesen, oder, anders gesagt: als wäre sein Handlungsspielraum zu klein gewesen. Auf die Frage, ob er denn mit der Mannschaft trotz der Neuausrichtung internationale Ziele habe, sagt Magath: "Ja, klar. Schauen Sie sich Arsenal London an. Die haben im vergangenen Jahr auch einen Umbruch vollzogen. Erst sind sie schlecht gestartet, aber dann haben sie sich gefangen, und am Ende standen sie im Finale der Champions League."

Würde der FC Bayern etwas Ähnliches vollbringen, dann wäre es zu einem Großteil der Erfolg des Trainers Magath. Diese Chance ist allerdings auch eine Chance zu scheitern - gelingt es Magath nicht, eine Lösung für das Loch in der Mitte zu entwickeln, hat er persönlich die ihm gestellte kreative Aufgabe nicht erfüllt. "Ich weiß", sagt er, "aber nach sechs Wochen Urlaub bin ich so entspannt, dass ich mit dieser Sorge leben kann." Dann nimmt er einen Schluck des Pfefferminztees, den er wirklich sehr lange hat ziehen lassen.

© SZ vom 29.07.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: