FA-Cup in England:Wackere Kobolde

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Das Märchen des Fünftligisten Lincoln City, das ganz England in seinen Bann zog, endet erst im Viertelfinale gegen Arsenal.

Von Sven Haist, London

Der steinreiche englische Fußball, dessen Spitzenvereine mehr denn je denken, dass sich mit Geld alles kaufen lässt, hatte sich gerade erst erholt vom Meisterwerk des letztjährigen Titelträgers Leicester City. Doch schon tanzt den Favoriten ein weiterer Emporkömmling auf der Nase herum: Wie ein Bruder im Geiste schrieb Lincoln City, Tabellenführer der fünften Liga, die Geschichte der Sonderlinge auf der Insel einfach fort. Zum ersten Mal seit über einem Jahrhundert hatte sich in Lincoln ein "nonleague" Team, also eine bessere Wald-und Wiesenmannschaft, die nicht in den vier Profiligen geführt wird, fürs Viertelfinale im FA-Cup qualifiziert. Eine solche Leistung im Vereinspokal hatte zuletzt Queens Park Rangers vor dem ersten Weltkrieg 1914 vollbracht.

Der Pfad zu Ruhm und Glanz führte Lincoln in den ersten Runden über die Provinzklubs Guiseley, Altrincham und Oldham, bis Anfang Januar die Vereine aus der Premier League in den Wettbewerb einstiegen. Weiterführende Erfolge in den Duellen mit Ipswich und Brighton ermöglichten erst das 1:0 gegen Erstligist Burnley - der größte Coup in der 133-jährigen Vereinshistorie.

Ein Spiel noch bis Wembley, schrieb die Times, aber die Auswärtsfahrt am Samstagabend zum FC Arsenal war letztlich ein Spiel zu viel für die Himmelsstürmer aus Lincoln. Die Spielansetzung hätte ja günstiger kaum sein können nach Arsenals Selbstaufgabe in der Champions League. Beim 2:10 gegen den FC Bayern in 180 Minuten schien mit jedem Treffer der Münchner die Chance auf das eigentlich Unvorstellbare zu steigen. Doch die schwer angeschlagenen Gunners um ihren noch angeschlageneren Trainer Arsène Wenger gingen in Hab-Acht-Stellung.

Zwischen den Kontrahenten liegen 88 Tabellenplätze

Das kunstlose 5:0 (1:0), in dem die Torlawine erst in der Nachspielzeit vor der Pause begann (Walcott), bevor Giroud (53.), Waterfall (58./Eigentor), Alexis Sanchez (72.) und Ramsey (75.) für die standesgemäße Höhe des Ergebnisses sorgten, beruhigt den Klub zumindest für ein Wochenende - und gleichzeitig auch die Buchmacher. Nach dem finanziellen Verlust durch Leicesters sensationellen Titelgewinn, für den die Wettanbieter vor der vergangenen Saison eine Quote von 500:1 ausgelobt hatten, wäre nun ein Sieg Lincolns im FA-Cup der nächste Gau gewesen. Für den Verein ist das Ausscheiden leicht zu verkraften, etwa 2,5 Millionen Euro erhält der Klub für seine Anstrengungen. Mit der Geldspritze wird die marode Trainingsanlage saniert und die Wettbewerbsfähigkeit des Kaders weiter ausgebaut.

Die Begeisterung um den jüngsten Aufschwung hat sich auf die hunderttausend Einwohner in Lincoln übertragen. Gut 10 000 Menschen begleiteten den Klub auf seinem Abenteuer nach London, organisiert unter dem Hashtag #impvasion. Der Spitzname "The Imps" stammt aus einer Legende im 14. Jahrhundert, wonach verschmitzte Kreaturen - sogenannte Kobolde - vom Himmel nach Lincoln gesandt wurden und dort für ein Chaos sorgten. Wie Kobolde benahmen sich die Fans auch bei Arsenal: Sie neckten ihre Gegner, richteten aber keinen bleibenden Schaden an.

Ein Brüder-Paar inspiriert den Verein

Zwischen den beiden Vereinen liegen 88 Tabellenplätze. Arsenals Kader hat mit schätzungsweise 450 Millionen Euro den 500-fachen Marktwert seines Kontrahenten, der ganze Klub ist mit einer Milliarde Euro um den Faktor 1000 wertvoller als Lincoln. Die Sun rechnete vor, dass der Bentley von Arsenals Stürmerstar Alexis Sanchez einen höheren Erlös garantieren würde als alle Autos der Lincoln-Spieler zusammen gerechnet. Ganz klar war es trotzdem nicht, dass die Gunners die Partie gewinnen würden: Der Fußballgeist richtet sich beim Spielverlauf mitunter nicht nach Wahrscheinlichkeiten, sondern folgt der Kraft des Moments. Und der lag vor Anpfiff bei Lincoln.

Ein Musiker hatte einen seiner Songs extra auf das Pokalspiel abgewandelt. Zu hören war das auf den lokalen Radiosendern; die englischen Zeitungen sind sowieso seit Tagen gefüllt mit Geschichten zu Lincoln City. Denn Geschichten hat dieser stolze Verein, der es nie in die erste Liga geschafft hat, nun wirklich ausreichend zu bieten. Die neueste handelt von einem Gönner und zwei Brüdern, die den Verein inspirieren.

Der Klub stand kurz vor der Insolvenz

Der südafrikanische Geschäftsmann Clive Nates füttert Lincoln City seit anderthalb Jahren kontinuierlich mit sechsstelligen Geldbeträgen. Der neue finanzielle Spielraum half vor Saisonstart, die begehrten Trainer Danny und Nicky Cowley für sich zu gewinnen. Die Cowley-Brüder sind seit jeher kaum voneinander zu trennen. Beide sind lebenslange Fans von West Ham United, beide waren Mittelfeldspieler auf Amateurniveau, und beide arbeiteten bis zum Sommer als Sportlehrer an derselben Schule. Das Angebot Lincolns bot ihnen nun die Gelegenheit, den Beruf des Fußballtrainers hauptamtlich auszuüben. Mit Fleiß und kreativen Ideen führten sie den Klub an die Tabellenspitze.

An eine Rückkehr ins Profitum war nach dem Sturz 2011 in die fünfte Spielklasse bisher nicht zu denken. Lincoln City war damals gar vom Aussterben bedroht. Eine halbe Million Euro aus dem Privatvermögen des Vorsitzenden Bob Dorrian bewahrten den Verein schließlich vor der Insolvenz. Verhindern konnte aber auch Dorrian nicht, dass der Verein fortan vor sich hin darbte (die beste Platzierung war ein 13. Platz), ohne Aussicht darauf, den Amateursport bald wieder nach oben zu verlassen. Lincoln rutschte ab in die Bedeutungslosigkeit - bis die Cowley-Brüder den Klub jetzt mit dem Pokallauf ins Viertelfinale zurückholten auf Englands Fußballkarte.

© SZ vom 12.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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