Europaspiele:Mit der Kraft der vier Finger

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Trotz lädierter Hand gewinnt Hambüchen Gold am Reck - erster internationaler Titel seit 2010.

Es ist im Turnen eine schöne Tradition, dass derjenige, der eine Figur als erstes geturnt hat, der Figur seinen Namen geben darf. Da gibt es zum Beispiel den Gienger-Salto (rückwärts gebückt mit einer halben Längsachsendrehung), benannt nach Eberhard Gienger, der nun für die CDU im Bundestag sitzt. Oder den Bretschneider (Doppelsalto mit Doppelschraube über die Stange), seit kurzem das schwierigste Element überhaupt, erfunden von Andreas Bretschneider im vergangen Jahr vor der Turn-WM in Stuttgart.

Fabian Hambüchen turnte am Samstag bei den Europaspielen in Baku einen doppelten Hambüchen, genauer gesagt einen doppelten Hambüchen-Finger. Ziemlich erfolgreich. Aber, sagte er direkt danach auf Sport1, "der soll sich bitte nicht etablieren". Er hielt dabei seine linke Hand hoch. Sein Mittelfinger und sein Zeigefinger waren mit weißem Tape eng zusammengebunden. Mit nur vier gesunden Fingern an der Hand hat dieser Fabian Hambüchen übrigens Gold gewonnen. Am Reck. Wo fünf gesunde Finger eigentlich ganz hilfreich sind. Es störte den 27-Jährigen aus Wetzlar aber nicht. "Ich habe schon lange wieder auf diesen Moment gewartet, alleine und dann auch noch am Reck", sagte er ziemlich emotional.

Baku 2015: Ein Titel mehr in der an Erfolgen reichen Vita von Fabian Hambüchen. (Foto: Kai Pfaffenbach/Reuters)

Am Donerstag hieß es noch Eisbeutel statt Medaille

Beim Aufwärmen am Pauschenpferd hatte er sich am Donnerstag verletzt. Was genau er hatte, teilte er nicht mit, er sagte nur: "Das wird ein paar Tage wehtun. Wir werden das behandeln. Ultraschall, Eis, Salben, Verbände." Im folgenden Mehrkampf tat der Finger noch ziemlich weh. Hambüchen wurde nur Fünfter und statt mit einer Medaille stapfte er mit einem dicken Eisbeutel in der Hand aus der Halle.

Eis half schon immer bei fast allen Sportverletzungen, so auch diesmal. Im Reck-Finale wählte er den höchsten Schwierigkeitsgrad aller Teilnehmer (7,00). Kraftvolle und sichere Ausführung. Keine Wackler, keine Fehler. Der Abgang sicher, kein Schritt nach vorne, keiner zur Seite. Hambüchen stand akkurat da, um direkt durch die ganze Halle zu schreien und in die Luft zu boxen. Vermutlich wusste er zu dem Zeitpunkt schon ganz genau, dass es zum Sieg vor dem Griechen Vlasios Maras und dem Russen Nikita Ignatyev reichen würde. "Es war einfach ein Super-Gefühl, ich hab es echt vermisst und es ist schön, dass ich das seit langem mal wieder hatte." Sein Dauerkonkurrent Epke Zonderland aus den Niederlanden war nicht am Start.

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(Foto: Matthias Hangst/Getty Images)

Der doppelte Hambüchen - eine "Figur", die zumindest Hambüchen selbst nicht mehr "turnen" möchte.

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(Foto: Kai Pfaffenbach/Reuters)

Endlich wieder einmal nicht zu schlagen in seiner Paradedisziplin: Hambüchen gewinnt...

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(Foto: Robert Ghement/dpa)

...bei den Europaspielen in Baku, Aserbaidschan, Gold am Reck. Es ist sein erster internationaler Titel seit rund fünf Jahren.

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(Foto: Kirill Kudryavtsev/AFP)

Und der Deutsche hinterlässt dabei Spuren: Mit den Füßen auf der Matte...

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(Foto: Bernd Thissen/dpa)

...und mit den Zähnen mutmaßlich in seiner Medaille.

Der erste Reck-Triumph seit sieben Jahren

Man mag es ja kaum glauben, aber wenn man in die Statistik schaut, dann war dieses Gold an seinem Paradegerät wirklich der erste internationale Titel seit dem Gold mit der Mannschaft im Mehrkampf bei den Europameisterschaften 2010. Eine Einzelmedaille auf internationalem Niveau ist schon sechs Jahre her, ein Sieg am Reck sogar sieben Jahre. "Es ist der Hammer, unglaublich. Es bedeutet mir echt viel", sagte er, der sich 2009 das Außenband und 2011 die Achillessehne riss. "Ich bin überglücklich, dass das geklappt hat. Dass es heute hier so hinhaut, hätte ich nie erwartet", sagte Hambüchen.

Denn nur Stunden zuvor holte er sich auf dem Boden die Silbermedaille (natürlich auch mit lädiertem Finger) und schon beim Mehrkampf-Wettbewerb am Donnerstag turnte er am Reck starke 15,500 Punkte. Nur auf das Ringe-Finale verzichtet er wegen seines Fingers, aber an diesem Gerät hatte er sowieso noch nie eine Medaille geholt.

Wach um vier Uhr morgens

Als er dann alles mitgenommen hatte, was man als Goldmedaillen-Gewinner so mitnehmen kann (Nationalhymne laut mitgesungen, in die die Medaille gebissen, den beeindruckenden Bizeps gespannt), gab er noch einen seltenen Einblick, wie man denn als Turner vor so einem Finale eigentlich schläft. "Ich war um vier Uhr wach", sagte er. "Dann war die Nacht vorbei." Warum das? "Ich hatte im Traum schon alle Übungen durchgeturnt. Es hätte früher losgehen können." Wahrscheinlich ist die nächste Nacht ähnlich verlaufen. Nur mit dem Schlafdefizit an anderer Stelle. Als sein Vater und Trainer Wolfgang Hambüchen gefragt wurde, wie lange denn nun gefeiert werde, sagte der nur. "Der ist 27 der junge Mann, der wird seinen Vadder bestimmt nicht fragen."

© SZ vom 21.06.2015 / sz, sid, dpa - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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