Entscheidung in der MotoGP:"Schlimm, peinlich"

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Kragen geplatzt: Valentino Rossi, der Unterlegene im Saisonfinale, zetert über das aus seiner Sicht abgekartete Spiel der spanischen Sieger. (Foto: Imago/Hochzwei)

Italiens Motorrad-Heros Valentino Rossi sieht sich durch eine spanische Verschwörung um den Weltmeister-Titel gebracht.

Von PHILIPP Schneider, Valencia/München

Am Sonntagabend hat Valentino Rossi eine Party verpasst. Dazu muss einer wissen, dass Valentino Rossi in der Regel keine Partys auslässt. Erst Recht nicht die große Sause am Ende einer Motorradsaison, jene traditionelle Gala, auf der die besten Fahrer gewürdigt werden. Für Rossi gibt es wenige Orte, die besser geeignet sind, sein schillerndes Selbst ins Rampenlicht zu rücken und schöne Sprüche zu klopfen wie diesen hier: "Frauen sind wie Journalisten: Wenn du gewinnst, kommen sie von allein."

Am Sonntagabend, als Valentino Rossi die Gala schwänzte, hatte er zumindest keine Lust mehr auf Journalisten. Mit Dutzenden von ihnen hatte er ja zu diesem Zeitpunkt längst geredet. Sie waren von allein zu ihm gekommen, obwohl er nicht einmal gewonnen hatte. Die Journalisten ahnten, dass von Rossi knackigere Sätze einzuholen waren als von Jorge Lorenzo, dem Gewinner des Rennens von Valencia, dem neuem Weltmeister der MotoGP. Valentino Rossi war am Sonntag nur Vierter geworden, aber aus der Sicht nicht weniger Journalisten stand er jetzt für etwas weitaus Größeres als ein Gewinner: Rossi war ein um den Sieg betrogener Verlierer.

"Ich wusste bereits am Donnerstag, dass meine WM verloren ist. Ich war mir sicher, dass Marc Márquez sein Werk vollenden würde."

"Diese Meisterschaft wurde nicht auf der Strecke gewonnen", klagte der neunmalige Weltmeister auf Italienisch und Englisch in jedes Mikrofon, das vor seinen Mund gehalten wurde: "Hier in Valencia wusste ich bereits am Donnerstag, dass meine WM verloren ist. Ich war mir sicher, dass Marc Márquez sein Werk vollenden und auch hier Lorenzo schützen würde."

Tatsächlich hatten sich erstaunliche Szenen abgespielt in den letzten Runden des letzten Rennens des Jahres: Der zweitplatzierte Marc Márquez und vor allem der drittplatzierte Dani Pedrosa waren zu diesem Zeitpunkt auf ihren Hondas sichtlich schneller unterwegs als der führende Yamaha-Pilot und spätere Sieger Lorenzo. Doch während Pedrosa zumindest eine beherzte Attacke fuhr und glaubhaft versuchte, Márquez zu überholen, wirkte es so, als schmiege sich Márquez genügsam in Lorenzos Windschatten. Entgegen der Vorliebe seines brausenden Rennfahrernaturells, setzte er zu keinem Überholmanöver in der Schlussrunde an. Rossi wiederum, der mit sieben Punkten Vorsprung in der WM-Gesamtwertung ins Rennen gestartet war, hätte als späterer Vierter nur dann Weltmeister werden können, wenn sowohl Márquez als auch Pedrosa noch an seinem Yamaha-Kollegen Lorenzo vorbeigefahren wären. Rossi wittert eine Verschwörung seines Intimfeindes Márquez und nennt ihn "Lorenzos Bodyguard". Die Rundenzeiten und TV-Bilder dienen ihm als Belege.

Es bedarf jedenfalls einiger Fantasie, um Márquez passives Fahrverhalten anders zu deuten, als mit verloren gegangener Lust am Überholen. "Die Situation war schon schlimm, aber heute war es für alle einfach peinlich. Es war unglaublich", klagte der 36-jährige Italiener in Richtung seines 14 Jahre jüngeren spanischen Rivalen. Und mit viel Ironie schoss er in Richtung von Honda. "Unglaublich gute Arbeit von Honda, nicht wahr?", fragte Rossi. "Es erwartet niemand, dass ein Honda-Fahrer einem Yamaha-Fahrer zum Sieg verhilft." Genau das habe Márquez getan. "Sehr, sehr schlimme Nachrichten", seien das, sagte Rossi. Und wenn einer wie Rossi einen Hersteller angreift, also zu einer Systemkritik in der MotoGP ansetzt und indirekt unterstellt, dass die Spanier Lorenzo, Pedrosa und Márquez einen Pakt geschlossen hatten, der die Grenzen zwischen den Teams verwischt, wächst das Thema weiter.

"Es gibt keinen Beweis für diese Anschuldigungen", antwortete Shuhei Nakamoto, Vizepräsident bei HRC-Honda. Der Vorwurf, Márquez habe nicht versucht, Lorenzo zu überholen, sei nicht haltbar. Lorenzo "hatte eine tolle Pace über das gesamte Wochenende, was er auch mit seiner tollen Pole Position im Qualifying bewiesen hat". Márquez habe in der letzten Runde überholen wollen, das sei aber nicht mehr möglich gewesen, nachdem er eine Attacke von Pedrosa abwehren musste. "Das ist Racing", sagte Nakamoto lapidar.

Rossi liefert sich schon seit Monaten einen Kleinkrieg mit dem zweimaligen MotoGP-Weltmeister Márquez, der spätestens seit dieser Saison als einer gehandelt wird, der ebenso viel erreichen kann wie Rossi. Der hatte in Valencia aus der letzten Reihe starten müssen, weil er beim Grand Prix in Malaysia Márquez von der Strecke gedrängt - und möglicherweise sogar mit einem Tritt zum Stürzen gebracht hatte. Die Videobilder lieferten keinen eindeutigen Beweis. Die Kommissare, die Rossi bestraften, räumten ein, Márquez habe den Italiener absichtlich ausgebremst bei seiner Jagd auf Lorenzo, der das Feld in Sepang anführte. Allerdings habe Márquez damit gegen keine Regel verstoßen, urteilten die Kommissare. Genau wie in Valencia. Kein Wunder, dass die italienische Presse unsportliches Verhalten kritisierte, keine Regelverstöße. "Gegen das unkorrekte und unloyale Spiel der Spanier war Rossi machtlos", stand in Il Messaggero. Und Repubblica schrieb: "Die schönste WM in der Geschichte des Motorsports, ausgewogen und umkämpft, ist zu einem spanischen Absprachegeschäft geworden."

Rossi sieht das ähnlich. "Aber was soll ich tun?", fragte er. "Aufhören, weil ich Angst habe?" Dann hat er gelacht.

© SZ vom 10.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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