Enthüllungen in den USA:Doping-Vorwürfe gegen vier Sotschi-Sieger

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Neue Betrugsvorwürfe gegen russische Athleten bringen das Internationale Olympische Komitee in Bedrängnis.

Von Thomas Kistner, München

In fieberhafter Eile und unter Nutzung aller kameradschaftlichen Drähte werkeln die Instanzen des Weltsports daran, Russlands Spitzenathleten für die Olympischen Spielen im August in Rio de Janeiro freizupauken - trotz der offenkundig systemisch angelegten Pharma-Probleme im russischen Sport. Doch wie das so ist mit Strukturproblemen: Rollt erst die Lawine, wird es schwierig, sie mit Regeltricks und frommen Versprechen aufzuhalten. Drei Monate vor Rio rückt der russische Sport nun erneut in den Fokus massiver Dopinganschuldigungen. Der US-Fernsehsender CBS kündigte für Sonntagabend (Ortszeit) Enthüllungen an, die sich auf angeblich vier gedopte Olympiasieger aus Russlands Team bei den Winterspielen 2014 im heimischen Sotschi beziehen.

Als Kronzeuge agiert Witali Stepanow, der einst für die (heute suspendierte) russische Anti-Doping-Agentur Rusada arbeitete. 2014 war Stepanow mit seiner Frau Julia, einer Spitzenläuferin, außer Landes geflohen, nachdem sie in einer ARD-Dokumentation über systematisches Doping im russischen Sport ausgepackt hatten. Auch Julia hat gedopt, als Kronzeugin hofft sie nun auf ihr Startrecht in Rio. Die Aussagen des Paares waren äußerst substantiell und sorgten für Russlands Verbannung aus dem Leichtathletik-Weltverband IAAF.

Vorgänge bei den Sotschi-Spielen könnten das FBI interessieren

Nun, im CBS-Interview, stützt sich Stepanow bei den Vorwürfen über Doping- sünder in Sotschi auf Informationen, die er von Grigor Rodtschenkow erhalten habe. Der vormalige Chef des Moskauer Anti- Doping-Labors war wie die Stepanows in die USA geflohen, aus Angst vor Repressalien in der Heimat. Stepanow trat mit Rodtschenkow per Skype in Kontakt und soll die Gespräche mitgeschnitten haben.

Demnach habe Rodtschenkow nicht nur über vier russische Olympiasieger ausgepackt - er soll auch über eine "Sotschi-Liste" verfügen, auf der die Namen von Russen vermerkt seien, die angeblich mit Steroiden bei den Winterspielen am Start waren; darunter das Sieger-Quartett. Im CBS-Pressetext vor der Sendung Sonntagabend (bis Redaktionsschluss nicht beendet) fielen keine Namen. Bei den Sotschi-Spielen 2014 gewann Russland 13 Goldmedaillen.

Laut Stepanow habe Rodtschenkow auch erklärt, dass Geheimdienstler des russischen FSB "versucht haben, jeden Schritt der Anti-Doping-Prozesse in Sotschi zu kontrollieren". Russlands Sportminister Witali Mutko wies die Vorwürfe schon vor der Ausstrahlung strikt zurück. "Diese Enthüllungen fußen auf Spekulationen", sagte er der Nachrichtenagentur Tass. "Es ist offensichtlich, dass da jemand dem russischen Sport schaden möchte."

Mutko ist ein Vertrauter von Wladimir Putin. Russlands Staatschef besitzt auch gute Drähte zu Thomas Bach, dem deutschen Wirtschaftsanwalt an der Spitze des Internationalen Olympischen Komitees. Und gerade für das IOC wird die Lage nun immer heikler. Die neuen Vorwürfe beziehen sich auf seine zentralen Zuständigkeitsbereiche. Abzuwarten bleibt, ob eine unabhängige Untersuchung erfolgt. Dies erscheint unumgänglich, zumal nach SZ-Informationen in den nächsten Wochen weitere massive Betrugsenthüllungen anstehen. Nicht nur in der Leichtathletik.

Spätestens mit den CBS-Enthüllungen erreicht die Skandaldichte in der olympischen Welt eine Ebene, die die amerikanischen Ermittlungsbehörden auf den Plan rufen müsste. In den USA haben nicht ganz zufällig die wichtigsten russischen Whistleblower Zuflucht gefunden. Travis Tygart, Chef der US-Anti-Doping-Agentur Usada, sagt zu den Ankündigungen von CBS: "Trifft das zu, ist es ein verheerender Schlag für die olympischen Werte." Tygart ist ohnehin gegen eine Teilnahme der Russen in Rio: "Sie können nicht auf Kosten der Rechte sauberer Athleten kommen."

Sollten in US-Medien Vorwürfe über eine Einflussnahme des russischen Geheimdienstes auf die Dopingtests in Sotschi auftauchen, könnte das die Ausweitung der FBI-Ermittlungen zur Korruption im Weltfußball zur Folge haben. Ohnehin ist die Schnittmenge zwischen Fifa (in deren Exekutive auch Mutko sitzt) und IOC groß. So groß wie der Einfluss mancher Amtsträger in beiden Gremien.

© SZ vom 09.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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