England:Gesprengte Ketten

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Achtelfinal-Qualifikant England zeigt beim 2:0 gegen Paraguay, dass es auch miserable Spiele gewinnen kann.

Raphael Honigstein

Peter Crouch ist ein ausgesprochen netter Kerl, man kann das immer nur wieder betonen. "Peter Crouch ist ein sehr netter Kerl", hat auch sein Vereinstrainer Rafael Benitez oft festgestellt, meistens mit einem leicht verzweifelten Schulterzucken.

Englische Stürmer dürfen nicht nett sein, Crouch aber tut auf dem Platz keinem weh, weil er in der Regel genug zu tun hat, seine langen Beine und Arme im Gleichklang zu bewegen, und zweitens so etwas einfach nicht macht.

In Nürnberg blieb der kulante Gigant 83 Minuten lang seiner Linie treu, weh tat er gegen Trinidad und Tobago nicht den Gegenspielern, dafür aber Millionen Zuschauern auf der ganzen Welt. Uninspiriert, schludrig und teilweise hochgradig peinlich war sein Auftritt, genau wie der seiner Mannschaft. Seine beste Chance, ein unbedrängter Volley vor Shaka Hislops Tor, vergab er "mit der Eleganz einer pubertierenden Giraffe", monierte der Daily Telegraph.

Der Ball ging in etwa in Richtung Eckfahne; dorthin, wo die "Rooney, Rooney"-Rufe am lautesten schallten. Crouch wusste, dass die Zeit besonders ihm persönlich weglief, genau wie seine Mannschaft gab er jedoch nicht auf.

Ziemlich unfair

Als eine etwas schlaffe David-Beckham-Flanke aus dem Halbfeld auf ihn zusegelte, entschloss er sich, einen Moment lang weniger nett zu sein. Mit einer Hand zupfte er Brent Sancho unsanft am Rastalocken-Pfederschwanz, mit der anderen drückte er den Trinidader runter; ziemlich unfair war das, im Grunde gar nicht nötig und äußerst effektiv.

Crouchs Tor erlöste England (83.), Steven Gerrards Schlenzer (89.) gab dem Ergebnis einen respektablen Anstrich. Sechs Punkte, Achtelfinale, thank you very much. Sonst noch was? Nein. Die Fans sangen die Melodie des Kriegsfilmklassikers "Gesprengte Ketten", im Original "The great Esacape".

Man war im Nürnberger Frankenstadion gerade noch mal davongekommen. "Einen speziellen Moment" nannte Crouch sein erstes WM-Tor. Der ungezogene Griff in Sanchos Haare war kein großes Thema für die Engländer, denn man hatte ihn nur im deutschen Fernsehen explizit gesehen; die in Fifa-Regie ausgestrahlten Zeitlupen waren nicht so eindeutig. Egal.

Auf der Insel gibt es nicht so viel Erfahrung mit gewonnen WM-Spielen, ästhetisch-ethische Gesichtspunkte können da getrost vernachlässigt werden.

Das schwache Niveau der Darbietung hatte zwar viele bedrückt, doch ist die WM-Geschichte nicht voll solcher Spiele? In Erinnerung bleiben doch stets die Sieger. Man sah man nach Erikssons mutigen Einwechslungen in der zweiten Halbzeit, als der junge Aaron Lennon auf dem Flügel vor einem zum rechten Verteidiger umfunktionierten Beckham wirbelte und endlich Wayne Rooney eine halbe Stunde lang seine enormen Fähigkeiten andeutete: England kann auch miserable Matches gewinnen.

Es gab Zeiten, wahrscheinlich bevor die Champions League das Primat des schönen Spiels in die Welt beamte, da wurde dies als Kennzeichen einer großen Mannschaft gelesen. Bevor man sich mit den Schweden um den ersten Platz in der Gruppe streitet, muss das Team jedoch noch mit einem unzufriedenen Michael Owen fertig werden.

Guter Riecher

Am Donnerstag wurde er wieder ausgewechselt, seine Leistung war unauffällig - freundlich ausgedrückt. Owen war nie ein begnadeter Spieler, aber er hat einen guten Riecher. Er weiß, was kommen wird, und hat deswegen nach der Partie ein langes, interessantes Plädoyer für Michael Owen gehalten.

"Ich bin ein Torjäger", sagte er, "wenn es nicht gut läuft, trete ich nicht in Erscheinung. Ich könnte tiefer spielen, mir mehr Bälle holen; das würde den Leute ins Auge stechen, aber der Mannschaft nichts bringen." Mit anderen Worten: Ihr versteht mich alle nicht.

Die Anzeichen verdichten sich, dass Owen gegen Schweden auf der Bank sitzen wird. Er war einmal der Vize-Kapitän und auch ein Art Vize-Beckham: der zweitwichtigste Spieler, der zweitreichste, der zweitbeliebteste in Asien. Er spielte immer, schon aus politischen Gründen. Die neue Nummer zwei aber heißt Rooney, vielleicht ist er sogar die heimliche Nummer eins.

Eriksson hat nach dessen erfolgreichem Comeback erzählt, "ich bin kein Arzt und kein Orthopäde und ich will es auch nicht werden". Der Schwede will es auch nicht mehr allen recht machen wie früher, er konzentriert sich endlich darauf, ein richtiger Trainer zu sein. Owen ist der erste aus der "goldenen Generation", der das zu spüren bekommt.

Seine Reaktion wird Aufschluss über Erikssons Autorität und den Zusammenhalt des Teams geben. Die nächsten Tage, das ist sicher, werden nicht so nett werden.

© SZ vom 17.6.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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