England:Einer für die einfachen Antworten

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Owen Hargreaves darf gegen Schweden zeigen, dass England mit ihm ausgeglichener spielt - und besser.

Raphael Honigstein

Owen Hargreaves konzentriert sich. Seine Schritte sind bedächtig, er schaut ein paar Mal auf den Boden. Die Schnürsenkel sind offen, die Tartanbahn isttückisch für die Stollenschuhe, und da ist diese Begrenzung, über die man stolpern kann.

Hargreaves stolpert nicht. Er sieht ruhig und entspannt aus, als er sich dem Gegner an der Bande stellt. Macht den Rücken gerade, presst die Brust heraus, legt die Hände auf die Hüfte. "Ihr könnt kommen", sagt seine Körpersprache. Come on boys, do your worst. Zeigt mir, was ihr drauf habt. Ich bin bereit.

Die Gegner sind in Überzahl, wie immer. Es gelingt ihnen, Hargreaves mit ihrem ersten Zug zu überraschen. Sie werfen ihm eine Zahl zu, mit der er nicht gerechnet hat. "Zwei Jahre?", fragt er etwas ungläubig zurück, "das wusste ich nicht. Es ist eine Weile her."

Fast 27 Monate, um genau zu sein. Am 31. März 2004 spielte Owen Hargreaves zuletzt von Anfang an für England. Gegen Schweden. "Ein gutes Omen, vielleicht." Er spielte gut und wurde in der 60. Minute ausgewechselt, zusammen mit der Hälfte der Mannschaft. Mit seiner Leistung hatte das nichts zu tun. Sven-Göran Eriksson machte das in Freundschaftsspielen immer so.

Bei der WM vor vier Jahren war er in Japan gegen Argentinien aufgelaufen, er war eine Art Stammspieler damals; es war, sagt er heute, "der schönste Moment meiner Karriere".

Es blieb bei dem Moment. Nach einer Viertelstunde musste er verletzt raus. Die WM war vorbei für ihn. Sein Verein Bayern München bekam in der Champions League kein Bein auf den Boden, er wurde zunehmend unsichtbar. Irgendwann geriet der Nationalspieler Owen Hargreaves in Vergessenheit.

Seit 31. März 2004 ist Hargreaves ein englischer Einwechselspieler. Eriksson lässt Frank Lampard und Steven Gerrard in der Mitte spielen, der überall einsatzbereite Münchner hat das Pech, überall eingesetzt zu werden, nur nicht von Anfang an und nicht auf seiner besten Position vor der Abwehr.

Der Einwechselspieler Hargreaves machte in seiner Not das, was viele Einwechselspieler machen: zu viel, zu schnell. Er wollte sich in den Kurzeinsätzen mit schnellen Dribblings und Torschüssen in die Mannschaft zurückspielen; in der Hektik vergaß er, dass das gar nicht sein Spiel ist.

Einfache Antworten

Wer England zuletzt beobachtet hat, weiß, dass dem Mittelfeld ein Spezialist wie Hargreaves eklatant abgeht. Ein retardierendes Moment. Einer, der einfache Antworten auf komplexe Fragen gibt. Einer für die Drecksarbeit. "Mein Job ist es, die Bälle zu gewinnen und wieder abzuspielen", sagt Hargreaves, "ich weiß, dass ich das gut kann."

Lampard und Gerrard denken und spielen immer nach vorne, manchmal zu schnell, manchmal zu hoch, manchmal zu weit. Bald kommt der Ball wieder zurück, aber dann ist keiner da, der die Viererkette beschützt. Gegen Mannschaften wie Paraguay oder Trinidad geht diese strukturelle Schwäche als Luxusproblem durch, gegen bessere Teams ist sie ein echtes Problem. Eriksson weiß das wohl, am liebsten würde er Hargreaves öfters spielen lassen.

"Die WM wird nicht von den besten Spielern gewonnen, sondern von der besten Mannschaft", sagt er. Aber wer bleibt dann draußen? Kapitän Beckham? Joe Cole, Liebling der Medien? Eriksson verzichtet auf Hargreaves, den Mann ohne Lobby.

"Irgendeiner muss immer schuld sein", sagt Henry Winter vom Daily Telegraph, der Aristokrat unter den Fußballschreibern. Gerne war es Hargreaves. Er ist Einwechselspieler aus Deutschland, auf ihn mussten die Medien keine Rücksicht nehmen, man braucht ihn ja nicht während der Saison.

Die Gegner sind heute nett zu ihm - Michael Owen ist zur Zeit mehr schuld. Hargreaves darf gegen Schweden zeigen, dass England mit ihm ausgeglichener spielt. Kultivierter. Besser. Gerrard bleibt auf der Bank, wegen Gefahr der Gelbsperre. Ob er ihn mit einer guten Leistung verdrängen könne, fragt ein Journalist. Hargreaves tappt nicht in die Falle: "Stevie ist gesetzt, keine Frage."

Die Aufgabe in Köln ist nicht undankbar. Rooney ist wieder da, England braucht nur einen Punkt und ein bisschen Spielkultur. Hargreaves kann wieder ein englischer Nationalspieler werden. Die Journalisten merken das. Sie sind beeindruckt von seinen Antworten, sie schauen ihm nach, als er sie mit seinen offenen Schuhen an der Bande stehen lässt. Der Bus wartet. Auf ihn.

© SZ vom 20.6.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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