England:Der Achill von Croxteth

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Die Engländer verehren Wayne Rooney, den Arbeitersohn, wie einen Halbgott - obwohl er seit zwei Jahren nicht mehr getroffen hat.

Raphael Honigstein

Die Arme sind zur Seite gestreckt, die Hände zu Fäusten geballt. Sein Mund ist offen, man sieht die oberen Zähne und die Zunge. Er schreit; so laut, dass es einem durch Mark und Bein geht. Rote, nasse Farbe läuft von einer Faust zur anderen und von seiner Stirn bis zum Bauchnabel. Es könnte Blut sein, aber wahrscheinlich ist es nicht sein eigenes. Es ist das Blut der Feinde. So bildet Wayne Rooney, Krieger und Heiland, ein rotes Kreuz auf weißem Grund. Das Kreuz von St. George. Die Fahne Englands. "Just do it", steht darunter.

Die Sportartikelfirma Nike, sein Sponsor, hat lange gewartet, ob der 20-Jährige nach seinem Fußbruch im April bei dieser WM zum Einsatz kommen würde. Vor zehn Tagen, Rooney hatte erstmals eine halbe Stunde gegen Trinidad und Tobago gespielt, wurde die Kampagne in den überregionalen Zeitungen Englands und auf einer riesigen Leinwand in West London gedruckt. "Wir hatten nur positive Reaktionen, viele Leute haben gefragt, ob sie das Poster kaufen können", sagt ein Nike-Sprecher. Für Reverend Rod Thomas von der anglikanischen Kirche ist es aber "ein ziemlich verstörendes Bild. Die Trivialisierung des Leidens Jesu beleidigt Christen und Gott in hohem Maße. Die Aggression, die das Bild in Verbindung mit dem Kreuz von St George, vermittelt, erinnert außerdem an die Kreuzzüge, das wird in muslimischen Ländern nicht gut ankommen".

Die Werbung springt einen an wie ein großer bissiger Hund, man kann sie sich nicht vom Leibe halten. Während einem Brasilianer anderswo etwas von jogo bonito, dem schönen Spiel, vorgaukeln, schreit Rooney eine unangenehme Wahrheit hinaus in die Welt: Fußball ist Krieg, immer. Zumindest in England.

Es war schon ein bisschen unheimlich als 30 000 Engländer nach 57 langweiligen Minuten beim Spiel gegen Trinidad im Nürnberger Frankenstadion wie entfesselt losbrüllten, weil der Junge mit der Neun sich für den ersten Einsatz fertig machte. "Ein wilder Traum", hat Alex Ferguson, sein Vereinstrainer von Manchester United, gesagt, als Nationalcoach Sven-Göran Eriksson den Stürmer nominierte und auf eine rechtzeitige Genesung hoffte. Das Wunder wurde Wirklichkeit, die Leute konnten es nicht fassen. So müssen Tausende Griechen geschrien haben, als Achilles, der größte Krieger aller Zeiten, auf das trojanische Schlachtfeld lief. Rooney wirkt mit seiner ungestümen Energie und dem tief liegenden Körperschwerpunkt wie einer, den nichts und niemand umhauen kann. Doch auch er ist nicht unverwundbar.

Trauma gegen Portugal bei EM 2004

England führte im Viertelfinale der Europameisterschaft 2004 gegen Gastgeber Portugal 1:0, als Jorge Andrade Rooney in der 26. Minute unabsichtlich auf den rechten Fuß stieg. Mit seinem vierten Mittelfußknochen brach auch Englands Spiel auseinander. "Das war der Wendepunkt", erinnert sich Steven Gerrard. Es gab keine Bindung mehr zwischen Angriff und Verteidigung, man verlor immer schneller den Ball und am Ende das Spiel. Im Elfmeterschießen.

In vier Spielen hatte der damals 18-Jährige aus dem Liverpooler Arbeiterviertel Croxteth vier Tore geschossen, die Presse hatte so schnell alle Superlative verballert, dass man am Ende beim "weißen Pele" angelangt war. "Rooney war Englands System", schrieb der Observer. Seither hat er in keinem Pflichtspiel für England mehr getroffen, an seiner immensen Bedeutung für das Team hat sich aber nichts geändert, sie ist wahrscheinlich nur größer geworden. "Es gibt einen Gott", titelte die Sun vor drei Wochen zweideutig, als er beim ersten Training in Bühltertal mitwirken konnte.

An diesem Samstag geht es schon wieder gegen Portugal. Rooney berührt das nicht; er denkt von Spiel zu Spiel, vielleicht von Minute zu Minute. "Die EM ist vergessen", hat er diese Woche gesagt, "ich sinne nicht auf Rache. Aber es wäre schön, wenn wir sie schlagen würden."

Rio Ferdinand hat sich gewundert, wie er im Achtelfinale gegen Ende immer stärker wurde, während alle anderen abbauten. Es wird wieder heiß werden, England braucht seine Kraft und vor allem: seine Tore. Trifft er, wird man ihn wie in der Werbung sehen - nur ohne Blut. Er jubelt immer so, mit ausgestreckten Armen. Den Unterschied zwischen einer guten und einer großartigen Mannschaft: Er muss ihn jetzt ausmachen. Wazza, Englands wilder Traum, soll endlich in Erfüllung gehen.

© SZ vom 1.7.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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