England:Das Fernrohr zeigt Erschreckendes

Lesezeit: 3 min

Englands Trainer Eriksson verteidigt wortreich seinen Ergebnisfußball, den Beobachtern schwant: Der Mann hat keinen Plan.

Raphael Honigstein

Seit fast vier Wochen servieren nun schon nette Damen Erfrischungen im weiß-roten Medienzelt neben dem Platz des SV Bühlertal. Der englische Fußballverband FA scheut keine Mühen, ein Stückchen England aufs Büffet zu bringen; die Auswahl der Speisen ist üppig, das Angebot authentisch.

Dass es den Engländern mal nicht so geht, wie den Schweizern. (Foto: Foto: AFP)

Lamm und Minze-Chips, "Monster Munch" (Geschmack: eingelegte Zwiebeln) und die guten "Wotsits"-Maisflocken "with really cheesy flavour" verkürzen die Wartezeit vor den Pressekonferenzen.

Man kann Sky-News schauen, der Sender zeigt ebenfalls die Pressekonferenzen und zwischendurch die Höhepunkte von der Unterhausdebatte vom Vorabend. Selbst die Steckdosen hat man aus England eingeflogen.

Insel-Wetter endlich in Baden

Am Dienstag ist es der FA nach längeren Anlaufschwierigkeiten endlich gelungen, auch das schöne Insel-Wetter ins bisher tropisch heiße Baden zu bringen. Nasser, dicker Nebel hing über dem Trainingsplatz, es tröpfelte sogar ein bisschen.

Ideale Bedingungen für die Fußballer, aber eine Zumutung für die englischen Schreiber. Sehr trübe war die Sicht auf den Platz von ihrem Waldversteck, ein Mann von der Times, der mit einem Safarihut auf den Berg geklettert war, überlegte sich, beim Londoner Büro ein Infrarot-Suchgerät zu beantragen; mit dem normalen Feldstecher kam er hier nicht weit. Zum Glück brach dann am Ende doch noch die Sonne durch, gerade noch rechtzeitig, um Erschreckendes offen zu legen.

Alle daneben

Die Engländer übten Elfmeterschießen - und erinnerten dabei an die Schweizer. Bis auf wenige Ausnahmen (Steven Gerrard, Frank Lampard) schossen alle daneben.

Selbst Owen Hargreaves, dem der Mirror nach seinen überzeugenden Spielen am Dienstag eine verspätete "Entschuldigung in 700 Worten" widmete - das Boulevardblatt hatte den Münchner vor der WM heftig kritisiert -, knallte den Ball meterweit über den Kasten. Jetzt darf er sich endlich als echter Engländer fühlen. Ist auch was wert.

Ähnlich vorhersehbar ging es in der Pressekonferenz mit Sven-Göran Eriksson weiter. Der Schwede versprühte in seinem gestelzten Englisch jede Menge Optimismus und hatte auch einen kleinen Witz vorbereitet. "Fußball ist merkwürdig", fing er an, "die Elfenbeinküste, Ghana, Holland und Spanien haben gut gespielt. Aber wo sind sie heute? Sie sind alle zu Hause."

Dem Schweden gefiel der Gag so gut, dass er ihn später im privaten Briefing für die englischen Journalisten noch einmal wiederholte.

Es ist ja nicht leicht für ihn. Am liebsten würde er nur die Ergebnisse für sich sprechen lassen, die sind ja gut. Wie sie zu Stande gekommen sind, ist allerdings weitaus weniger gut, weswegen sich Gegner und Freunde große Sorgen machen.

Die einen fürchten, dass die Engländer sich als Wiedergänger der deutschen Achtziger-Jahre-Vokuhila-Rumpler entpuppen und womöglich am Ende den Pokal stehlen. Die anderen glauben, dass England gegen den ersten halbwegs fähigen Gegner hochkant rausfliegen könnte.

Zu Hause will sich die "Jetzt nehmen wir es mit der ganzen Welt auf"-Stimmung partout nicht einstellen. England hatte schon vor vier und zwei Jahren an gleicher Stelle in den Turnieren zum ganz großen Sprung angesetzt. Es wurden: zwei lahme Hupfer.

"Ich bin sicher, dass wir gegen Portugal gewinnen", sagte Erikson, "ich glaube immer an den Sieg." Er will in seinem letzten Monat im Amt "weiter kommen als bisher" und wünscht sich, dass England mit einer überzeugenden Leistung in Gelsenkirchen dahin kommt, wo es seiner Meinung nach hingehört: "Ich hoffe, dass die Leute am Sonntagmorgen sagen werden, dass wir zu den Favoriten zählen."

Rechtsverteidiger Gary Neville wird nach drei Spielen Pause wieder mitwirken. Das macht die Aufstellung weniger kompliziert, weil Hargreaves zurück ins defensive Mittelfeld rücken kann.

Das Gerücht, Eriksson könnte den schwachen Paul Robinson auf die Bank setzen und gegen Portugal den notorisch flatterhaften David James ins Tor stellen, bleibt ein Gerücht. So viel Todessehnsucht hat Eriksson nicht.

Mann mit Visionen

Das System: wie gehabt 4-5-1 mit Wayne Rooney als einziger Spitze. Der 20-Jährige ist nicht begeistert - "es ist viel harte Arbeit, und man muss disziplinierter als sonst spielen" -, aber sehr zuversichtlich. England hat es bisher ganz ohne seine Tore ins Viertelfinale geschafft. Das kann eine ermunternde Statistik sein. Er wird von Match zu Match besser.

Zwei Räume weiter im Zelt erklärte derweil Eriksson den überraschten Kollegen von den englischen Zeitungen, dass er sehr wohl "an das Schicksal glaube, aber auch an eine gute Vorbereitung - sie hilft dir, mehr Glück zu haben". Man glaubt es ihm gerne, allmählich wäre es aber an der Zeit, dass die Mannschaft kohärenter und koordinierter auftritt; dass, mit anderen Worten, seine Pläne erkennbar werden. Falls er welche hat.

"Natürlich habe ich eine Vision", sagte er defensiv, "glaubt Ihr denn, wir schicken die Spieler auf den Platz und sagen 'viel Glück'?"- Schweigen in der Runde. Die englischen Gesetze der Höflichkeit herrschen derzeit in Bühlertal, so blieb die Frage unbeantwortet.

© SZ vom 29.6.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: