Endspiel der Männer:Absolut chancenlos. Oder?

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Schon lange nicht mehr gab es einen größeren Außenseiter als den Überraschungs-Finalisten Kevin Anderson. Doch der Südafrikaner hat nicht vor, gegen Rafael Nadal bloß den Statisten zu geben.

Von Jürgen Schmieder, New York

Es gibt auf der Internetseite der US Open ein Tippspiel, an dem viele Journalisten im Pressezentrum teilnehmen. Man muss vor Turnierbeginn jede einzelne Partie vorhersagen. 127 bei den Frauen und 127 bei den Männern. Natürlich ist ein so genanntes Perfect Bracket, also 254 richtige Tipps, völlig unmöglich - jedoch gibt es auf der ganzen Welt keine selbstgewissere Spezies als Tennisjournalisten. Die Aussagen sind immer absolut ("Das wird er gewinnen!" Oder: "Die hat doch keine Chance!"), und wenn sie dann wie eine Büffelherde vom Stadion zu den Pressekonferenzen trampeln, dann erklären sie, warum ihre Prognose doch richtig war: "Ich habe gesagt, dass er gewinnen wird, falls er so und so spielt." Oder: "Ich habe gesagt: Sie hat keine Chance, außer..."

Sie haben beim Anblick des Turniertableaus erst einmal über Andy Murray geschimpft, weil der ihrer Meinung nach viel zu spät abgesagt und deshalb dieses Finale zwischen Rafael Nadal und Roger Federer verhindert hat. Na ja, werden sie eben im Halbfinale zum ersten Mal bei diesen US Open gegeneinander spielen, die anderen 62 Teilnehmer in der oberen Hälfte des Feldes werden nur erbarmungswürdige Opfer sein. Dominic Thiem? Wird gegen Federer verlieren. Richard Gasquet, Grigor Dimitrov, Tomas Berdych und Fabio Fognini? Werden an Nadal scheitern.

Gasquet und Fognini verloren gleich in der ersten Runde, Berdych und Dimitrov in der zweiten. Thiem verspielte im Achtelfinale einen Zwei-Satz-Vorsprung gegen den schlimm erkrankten Juan Martín del Potro. Der besiegte danach Federer und wurde deshalb auch zum Favoriten gegen Nadal und nach dem ersten Satz (6:4) zum sicheren Sieger erklärt. Allerdings: Nadal gewann die folgenden Durchgänge 6:0, 6:3, 6:2 - und es war nicht annähernd so spannend, wie es das Ergebnis womöglich vermuten lässt. "Ich hatte doch nur Glück, dass ich im ersten Satz ein Break geschafft habe", sagte del Potro danach: "Ansonsten hatte ich nie Kontrolle über diese Partie. Er hat viel zu gut gespielt."

Wie einst Ali - aber ohne die große Klappe

Es ist ja mittlerweile kein Frevel mehr, Nadal mit dem Boxer Muhammad Ali zu vergleichen, der wie ein Schmetterling schweben und wie eine Biene stechen wollte. Nadal bewegte sich außerordentlich geschmeidig an der Grundlinie, er schien die Angriffe del Potros schon während der Schlagbewegung zu erahnen und erreichte einen Ball deshalb meist in perfekt balancierter Position. Das ermöglichte es ihm, selbst auf die waffenscheinpflichtige Vorhand del Potros mit Bienenstichen zu reagieren, bis die Hand von del Potro voller Stiche war und er den Ball ins Aus oder Netz schlug. Ali pflegte zu so etwas zu sagen: "Nicht der Berg macht dich mürbe, sondern der Kieselstein in deinem Schuh."

Natürlich ist Nadal, wenn er so spielt wie bei diesen US Open, auch der Mount Everest im Tennis. Es ist beinahe unmöglich, einen Ballwechsel gegen ihn zu dominieren und einfach zu gewinnen. Gegen del Potro kämpfte er sich immer wieder in einzelne Punkte zurück, baute die eigenen Angriffe über die Rückhandseite seines Gegners auf und beendete sie oft mit diesem seitlichen Topspin in die Vorhandecke von del Potro. "Ich musste meine Taktik ein bisschen umstellen", sagte Nadal danach: "Man kann ihm nicht nur über die Rückhand kommen, weil er es sich sonst in dieser Ecke bequemt macht."

Der Unterschied zu Ali ("Es ist schwer bescheiden zu sein, wenn Du so großartig bist wie ich.") freilich ist, dass Nadal mit einer nicht einmal annähernd so kreativen Klappe gesegnet ist. Er winkt einem auf dem Weg durch die Katakomben schüchtern zu, er spricht leise und sagt selbst nach einer unfasslichen Partie (69 Ballwechsel, bei denen er einen Gewinnschlag schaffte oder del Potro zu einem Fehler zwang - nur 20 unerzwungene Fehler) noch: "Ich habe zu Beginn des Turniers so lala gespielt und mich gesteigert. Heute habe ich genauso gut gespielt, dass ich diese Partie gewinnen konnte."

Anderson hat sich ins Finale geschlichen

Das ist eine dreiste Untertreibung - so als würde man sagen, dass die Finalteilnahme von Kevin Anderson (Südafrika) eine kleine Überraschung ist. Viel interessanter, zumindest für die Debatten der Tippspiel-Journalisten, war deshalb die untere Hälfte des Tableaus. Wer allerdings behauptete, dass diese Auslosung vor allem nach dem Verzicht von Murray ein völlig offenes Turnier versprach, der wurde angesehen, als hätte er den Weltuntergang verkündet. Alexander Zverev, natürlich, der müsse nun endlich auch bei einem Grand-Slam-Turnier das Endspiel erreichen. Außerdem spiele er gerade unglaubliches Tennis. Solche Sachen eben. Zverev verlor dann in der zweiten Runde.

Anderson spielte sich hingegen beinahe heimlich durch das Turnier. Er besiegte Zverev-Bezwinger Borna Coric locker in drei Sätze, gewann das Aufschlag-Duell gegen Sam Querrey und setzte sich im Halbfinale gegen den unangenehmen Pablo Carreno Busta durch. "Ich befinde mich gerade irgendwo hinter dem Mond", sagte Anderson, der in der vergangenen Saison mit zahlreichen Verletzungen zu kämpfen hatte und seine Karriere schon beenden wollte: "Ich werde das nun genießen und versuchen, die Ballwechsel gegen Rafael irgendwie zu kontrollieren." Guter Witz. Aber der Südafrikaner glaubt das wirklich, und er hat dabei ein Vorbild: Rafael Nadal. "Er ist eine Inspiration für mich. Gerade auch in Sachen Emotionen"

In vier Begegnungen mit Nadal konnte Anderson bislang allerdings nur einen Satz gegen Nadal gewinnen, und den auch nur im Tie Break. Wer dieses Finale gewinnen wird? Nein, es darf nun keinen Tipp geben von einem, der beim US-Open-Tippspiel bereits am ersten Turniertag gleich mehrere Male weit daneben lag.

© SZ vom 10.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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