Elfmeterwirren:Hand oder Nichthand

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Elfmeter-würdig: das Handspiel des Schalkers Bastian Oczipka (re.). (Foto: Alex Grimm/Bongarts/Getty Images)

Hoffenheim und Schalke 04 liefern sich ein packendes Duell mit vielen Höhepunkten. Und doch wird das gerechte 1:1 von der Regel-Debatte um die Berechtigung von Elfmetern nach Handspielen auf beiden Seiten überlagert.

Von Tobias Schächter, Sinsheim

Noch heute gilt auf vielen Bolzplätzen das ungeschriebene Gesetz: Drei Ecken gibt Elfmeter. Das ist eine einfache Regel, die jeder versteht und die nicht anzufechten ist. Zweieinhalb Ecken gibt es halt nicht. Man sollte annehmen, dass dem hochkommerzialisierten Bundesligafußball eindeutige Regeln zugrunde liegen, die den Protagonisten wie den Fans nur wenig Interpretationsspielraum lassen. Aber besonders im Fall der Handspiel-Regel kann schon lange kaum noch jemand nachvollziehen, wann nun ein Verstoß vorliegt und wann nicht. Und auch nach dem 1:1 zwischen der TSG Hoffenheim und dem FC Schalke dominierte mal wieder dieses Thema. Hoffenheims Torwart Oliver Baumann bemerkte genervt: "So wird das eine ewiges Stammtischthema bleiben."

Im Zentrum der Debatte standen diesmal zwei Entscheidungen von Schiedsrichter Robert Kampka. Nach 42 Minuten entschied er auf Handspiel des Hoffenheimers Steven Zuber und auf Strafstoß. Nach Ansicht der TV-Bilder aber nahm er seine Entscheidung zurück - zu Recht. Zuber war der Ball nach einer Hereingabe von Daniel Caligiuri zunächst an die Hüfte und erst dann an die Hand gesprungen. Nach dem zweiten Elfmeterpfiff, und das regte die Schalker mächtig auf, verzichtete Kampka auf den Video-Beweis - Andrej Kramaric konnte den Elfmeter zum 1:0 verwandeln (59.). Hätte Kampka die TV-Bilder zu Rate gezogen, hätte er gesehen, dass dem Hoffenheimer Ishak Belfodil die Kugel zuerst gegen die Hand gesprungen war, bevor er sie dem Schalker Verteidiger Bastian Oczipka an dessen Hand schoss. Wie hätte Oczipka bei dem Tempo des Schusses und der geringen Distanz zum Schützen den Arm so schnell zur Seite ziehen können? Zwar wird alles trainiert heutzutage, aber die Disziplin des aerodynamischen Armwegziehens steht selbst bei den zwei jüngsten Trainern der Bundesliga, dem Hoffenheimer Julian Nagelsmann, 31, und dem Schalker Domenico Tedesco, 33, noch nicht auf dem Lehrplan.

Auf dem Bolzplatz, und früher auch in der Bundesliga, wäre die Aktion zwischen Belfodil und Oczipka unter der Rubrik "angeschossen" ungeahndet abgehakt worden. "Ich kann mir die Hand nicht abschneiden", haderte Oczipka. Das Pech des Schalker Verteidigers: Bewegt sich ein Arm ein bisschen zu weit vom Körper weg, ahnden die Schiedsrichter dies konsequent als Handspiel. Dies gehe zwar womöglich mit der Regel konform, aber stehe mit der Praxis der Fußballer nicht in Einklang, sagte selbst TSG-Trainer Nagelsmann. Dieser Widerspruch führte in den vergangenen Jahren zu einer bizarren Form des Verteidigens: Aus Angst, den Ball an die Hand zu bekommen und so einen Elfmeter oder Freistoß zu verursachen, greifen Verteidiger Gegenspieler oft mit beiden Armen auf dem Rücken verschränkt an. Diese Haltung des altväterlichen Sonntagsspaziergängers nimmt ihnen aber Tempo. Die aktuelle Regelpraxis ermutigt manchen Stürmer, in der Hoffnung auf einen Pfiff des Referees den Ball dem Verteidiger irgendwie an die Hand zu spielen.

Domenico Tedesco meinte: "Uns wurde bei allen Schiedsrichterschulungen gesagt: Wenn der Arm bei einer Aktion vibriert oder keine Spannung hat, dann ist es kein Elfmeter." Und beide Trainer waren am Samstag der Meinung, mehr Klarheit sei durch eine Vereinfachung zu erreichen: Ein Handspiel sei ein Handspiel, wenn sich eine klare Absicht dahinter verberge. Wobei die Regel dies schon so ausdrückt, im Detail aber Interpretation Tür und Tor öffnet: Entscheidend, so heißt es, sei die Bewegung der Hand zum Ball (nicht des Balls zur Hand), die Entfernung zwischen Gegner und Ball (unerwarteter Ball) und die Position der Hand (das Berühren des Balls an sich ist noch kein Vergehen). Der DFB orientiere sich an der internationalen Auslegung der Regel, teilte jüngst DFB-Schiedsrichter-Boss Lutz Michael Fröhlich mit. Das ist aber offenbar keine gute Idee, elf (oft umstrittene) Handelfmeter wurden bislang gepfiffen - so viele wie noch nie nach 13 Bundesligaspieltagen.

Da war es immerhin gut, dass die dritte Elfmeterentscheidung des Tages keine Debatte auslöste. Bicakcic hatte Daniel Caligiuri zu Fall gebracht, Nabil Bentaleb verwandelte zum 1:1 für agile Schalker - und so gewann das Team nach zuletzt mauer Leistung beim 1:3 in der Champions League in Porto wieder Selbstvertrauen und den Applaus seiner Fans. Rechtzeitig vor dem Derby gegen Tabellenführer Borussia Dortmund.

© SZ vom 03.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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