Eiskunstlauf:Kunst in Bronze

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Stefan Lindemann und das Tanzpaar Kati Winkler/René Lohse lösen eine Welle aus, die geritten werden soll.

Von René Hofmann

Am Ende ist dann doch alles ganz anders gekommen. Als die Eiskunstlauf-WM am Sonntag vergangener Woche begann, trommelten Grundschüler zur Begrüßung auf Töpfen, Tiegeln und Wellblech eine "Schrottophonie", und es gab viele, die das ganz passend fanden.

Viel war schließlich nicht zu erwarten von den deutschen Eisläufern. In den vergangenen Jahren hatten sie vor allem mit Stürzen und Missklängen Aufmerksamkeit erregt. Als die WM an diesem Sonntag zu Ende ging, bot sich deshalb ein überraschendes Bild. Reinhard Mirmseker, der Präsident der Deutschen Eislauf-Union (DEU), lächelte breit und wohlig und verkündete: "Jetzt sind wir einmal richtig glücklich und zufrieden."

65.000 Zuschauer, zwei Medaillen, drei Eiskunstläufer im ZDF-Sportstudio. Binnen sechs Tagen von null öffentlichem Interesse auf RTL-Niveau. So etwas hat es in der deutschen Sportlandschaft lange nicht gegeben. "Ihr seid die Überraschung des Wintersports", ließen die Geld-Bewilliger beim Deutschen Sport-Bund den DEU-Funktionären ausrichten. Kein Wunder, dass die sich noch in Dortmund gleich um den nächsten internationalen Wettbewerb bemühten: um die Junioren-WM 2007.

Noch in dieser Woche soll Stefan Lindemann, Dritter bei den Männern, mit Beckmann plaudern. Zusammen mit Kati Winkler und René Lohse, den Dritten im Eistanz, soll er außerdem bei einem Schaulaufen zu bewundern sein, das die DEU bis Ostern noch flugs organisieren will. Die lang ersehnte Welle soll geritten werden.

Auf die so oft verletzten Knie

Winkler und Lohse hatten die gute deutsche Bilanz am Freitagabend vom Makel der Zufälligkeit befreit. Lindemanns Erfolg war so überraschend gekommen wie ein Vulkanausbruch. Für Winkler und Lohse hingegen war die Bronze-Medaille der erhoffte Lohn für ihre außergewöhnliche Geduld. 1995 hatten sie ihre WM-Karriere als 19. begonnen.

Fast zehn Jahre hat es danach gedauert, bis sie den Weg aufs Siegertreppchen fanden. Als die Noten erschienen, die sie dorthin brachten - darunter eine 6,0 —, fielen sie auf die zuletzt so oft verletzten Knie und brachen in Tränen aus. Stefan Lindemann hingegen hatte tags zuvor lapidar erklärt: "Der Jubel erdrückt mich ein bisschen. Das ist sicher ein schönes Gefühl, von dem ich nicht so viel mitbekomme." Und: "Es lässt sich nicht vermeiden, dass alle glücklich sind."

Die beiden 30-Jährigen Winkler und Lohse erwägen nach dem Höhepunkt ihrer Karriere ihren Rücktritt, der 23-jährige Lindemann dagegen bietet sich mit seinem Pragmatismus hervorragend als Symbolfigur für das an, was Präsident Mirmseker jetzt versucht, Sportlern und Funktionären einzubläuen: die WM als Durchgangsstation zu begreifen, nicht als Ziel. "Bronze ist nicht Gold, und eine WM-Medaille ist keine Olympia-Medaille", sagt Mirmseker. Bis Turin 2006 will er die Deutschen wieder in der Weltspitze etablieren, und bei allem Jubel über Lindemann und die Eistänzer: In Dortmund war auch zu sehen, wie schwer das in den anderen Disziplinen sein wird.

Im Paarlauf zündeten die Russen und Chinesen im Finale ein Feuerwerk, das den Zuschauern den Atem raubte. Sie zeigten Sprünge, Würfe und Hebungen, die den Schluss nahe legten: Die Überwindung der Schwerkraft muss unmittelbar bevorstehen. Bei den besten drei Paaren zogen die 14 Preisrichter 14 Mal die Sechskommanull. Wie die DEU vor zwei Jahren auf die Idee kommen konnte, im Paarlauf sei am ehesten wieder Edelmetall zu ergattern, wirkt vor diesem Hintergrund kurios.

Eva-Maria Fitze und Rico Rex zeigten, was sie konnten, "wuchsen", wie Mirmseker fand, sogar "über sich hinaus". Das Resultat: Zwölfte. Nun hofft die DEU, dass der Konkurrenzkampf zwischen Fitze/Rex und den kommendes Jahr international startberechtigten Paaren Norman Jeschke/Mikkeline Kierkgaard und Robin Szolkowy/Aljona Sawtschenko alle beflügeln möge. Bei den Frauen war das Erlebnis nicht minder ernüchternd. Gewiss: Annette Dytrt hat im vergangenen Jahr eine tolle Entwicklung genommen.

Die 20-Jährige hat Muskeln und Selbstbewusstsein aufgebaut, und sie läuft längst noch nicht so lange wie Michelle Kwan, die in Dortmund ihre elfte WM bestritt. Aber: Ob sie je lange genug laufen wird, um sich mit den Besten zu messen, ist ein ganz anderes Thema. Das Niveau in Dortmund brachte ja sogar Kwan ins Grübeln. Mit viel Mühe und zwei Dreifach-Zweifach-Kombinationen rettete sich die fünfmalige Weltmeisterin nach dem viertbesten Kurzprogramm in der Kür auf Platz drei.

Ob sie sich fürs kommende Jahr denn zwei dreifache Sprünge hintereinander vornehme, wurde die 23-Jährige gefragt. Kwans zögerliche Antwort klang eher nach Karriereende: "Das ist vor allem eine Frage, wie weit man seinen Körper ans Limit treiben kann, ohne dass er zusammenbricht." Den Ton geben inzwischen offenbar andere an.

Wenig rosig

Shizuka Arakawa, 22, aus Japan etwa. Die Siegerin entschuldigte sich nach ihrem Glanzstück beinahe, dass ihr lediglich eine Dreifach-Dreifach-Zweifach- Kombination geglückt war: "Im Training springe ich immer dreimal dreifach." Ihrer sechs Jahre jüngeren Landsfrau Miki Ando gelingt der Salchow gelegentlich sogar schon vierfach. Zum Vergleich: Annette Dytrt arbeitet noch am Dreifach-Rittberger. In einer Zeit, in der bei den Frauen die Sprungkraft offenbar sprunghaft wichtiger wird, sind das wenig rosige Voraussetzungen, womit lediglich eine Hoffnung bleibt: dass der Knoten einmal ähnlich überraschend platzt wie bei Stefan Lindemann.

Der Erfurter sicherte sich seine Medaille durch Konstanz. Höchstschwierigkeiten können bei den Männern mittlerweile viele, aber kaum einer zeigte sie so solide wie Lindemann. Hinter dem Über-Springer, Über-Läufer und Über-Pirouettendreher Jewgeni Pluschenko, der wegen weher Knie mit 21 ebenfalls schon vom Karriereende spricht, ist die Konkurrenz so eng zusammengerückt, dass bereits ein Fehler entscheidet: Medaille oder Schrott.

© SZ v. 29.3.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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