Einzel-Entscheidungen:Bizarre Landung

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Sophie Scheder verpasst am Stufenbarren die Chance auf eine WM-Medaille. Das Finale endet mit einer kuriosen Weltpremiere: Vier Athletinnen teilen sich mit einer Wertung von 15,366 Punkten den Titel.

Von Volker Kreisl, Glasgow

Am Matten-Ende war zum Glück Schluss. Ein, zwei, drei Schritte hatte Sophie Scheder gemacht, dann hatte sie sich noch gefangen. Ein Sturz auf dem Podium war es diesmal nicht, dafür ein Sturz im Tableau. Scheder fing sich im letzten Moment, nachdem sie beim Abgang mit leichter Vorlage gelandet war. Sie streckte die Arme hoch, wie es sich gehört, und auch wenn sie sichtlich keine Lust mehr dazu hatte, lächelte sie noch einmal hinüber in Richtung Kampfgericht.

Es war die erste Medaillenchance für den Deutschen Turnerbund bei dieser Weltmeisterschaft. Er ist am Sonntag noch einmal mit drei Teilnehmern in den Endkämpfen vertreten: mit Pauline Schäfer am Schwebebalken und mit Andreas Bretschneider und Fabian Hambüchen am Reck. Die erste durchaus realistische Chance ist also vertan, und wie schon die ganze Woche über verweisen die Vertreter des DTB darauf, dass es noch viel zu tun gebe bis zur zweiten Olympia-Qualifikation Mitte April in Rio de Janeiro.

"Cirque du Soleil!", grantelt der russische Chefcoach

Im Achterfeld der Stufenbarrenfinalistinnen landete die 18-jährige Chemnitzerin Scheder schließlich auf dem hintersten Platz, ganz vorne dagegen ereignete sich eine Premiere im Turnsport, man muss sagen, wohl im weltweiten Sport überhaupt: Der Einzelwettkampf brachte vier Weltmeisterinnen auf einmal hervor. Vier Turnerinnen landeten auf Platz eins, jeweils mit einer 15,366, wobei die Ausführungs-Punktrichter vom Urteil der anderen nichts wussten. Das Publikum fand dies unterhaltsam, mancher Trainer nicht. "Cirque du Soleil!", grantelte der russische Chefcoach Andrej Rodionenko, der immerhin zwei Viertel-Weltmeisterinnen stellte: Viktoria Komowa und Daria Spiridonowa. Komplettiert wurde das Podium durch die Chinesin Yilin Fan und Madison Kocian aus den USA. Letztlich war es zwar mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit nur Zufall, und die Übungen erschienen tatsächlich auch mit bloßem Auge gleichwertig - doch ein derart verdünnter erster Platz tut dem Image von keinem Sport gut.

Sophie Scheder am Reck bei der Turn-WM in Glasgow (Foto: Ian MacNicol/Getty Images)

Sophie Scheder und die Deutschen haben momentan andere Probleme. Der Auftritt der Chemnitzerin steht stellvertretend für die gesamte DTB-Mannschaft in Glasgow. Die Athleten der Bundestrainer Andreas Hirsch und Ulla Koch zeigen angemessene Schwierigkeiten, sie waren offenbar fleißig im Training. Aber mit der schlafwandlerischen Sicherheit der anderen können sie nicht mithalten. In den Samstagsfinals passierten sonst kaum Stürze oder Fehler.

Gewonnen hat am Boden Kenzo Shirai. Dessen mit Mehrfachschrauben versetzte Übung endete wie üblich mit einem gestreckten Salto, in den der Japaner vier Umdrehungen um die eigene Längsachse integrierte, was mit bloßem Auge nicht mehr erfassbar ist. Shirai lächelte aber wie immer schwindelfrei. Am Sprung der Frauen kam die Russin Maria Paseka auf Platz eins, Weltmeister an den Ringen wurde Eleftherios Petrounias aus Griechenland.

Die Stürze aus der Qualifikation wirken nach

An ihrer Sicherheit müssen die Deutschen nun in den kommenden Monaten arbeiten, wie genau, weiß zum Beispiel Sophie Scheder auch nicht. "Gute Frage", sagte sie, "dafür haben wir Trainer, die sich den Kopf darüber zerbrechen." Mit ihrer Übung konnte sie ja bis auf die allerletzte Sekunde sehr zufrieden sein, sämtliche Elemente gelangen, auch hatte sie auf die ideale "Bein- und Armstellung", auf die letzten Details, geachtet. Der Schwierigkeitsgrad von 6,6 Punkten zählt zur Weltklasse. "Womöglich war ich doch noch etwas bedrückt von der Qualifikation", sagte Scheder.

Sie habe zwar ihr Selbstbewusstsein wiedergewonnen in den vergangenen Tagen, aber vielleicht hatte ihr wegen ihrer krassen Enttäuschung zum WM-Start mit zwei Stürzen vom Balken und einem Blackout am Boden doch die geistige Präsenz bis zur letzten Sekunde gefehlt. Den Doppelsalto mit zwei Drehungen, sagte sie, habe sie schon lange nicht mehr verpatzt. Diesmal öffnete sie ihre gehockte Haltung einen Moment zu früh, kam bei der Landung nicht ganz herum und büßte dies mit drei Ausgleichsschritten.

Vier Turnerinnen, vier Goldmedaillien: Fan Yilin (China), Daria Spiridonova (Russland), Viktoriia Komova (Russland) und Madison Kocian (USA) (v. l.). (Foto: Andrew Cowie/dpa)

Ungewohnte Frage: Wie ehrt man vier Siegerinnen?

Eine Turnerin mit eisenharten Nerven ist sie eben nicht. "Ich versuche, nicht groß darüber nachzudenken und mein Zeug zu machen", sagt sie. Damit wurde sie zuletzt Zweite bei den European Games in Baku und beim Challenge Cup in Sao Paulo. Bei Großveranstaltungen schaffte sie es mehrmals ins Finale, aber nicht aufs Podium. Und in Glasgow hat sie vermutlich das Beste aus ihrer Labilität gemacht.

Das kann man von den Organisatoren in Glasgow auch sagen. Wie ehrt man vier Weltmeisterinnen auf einmal? Zum Glück waren es ja zwei Russinnen, damit sparte man sich schon mal eine Flagge. Die Beobachter rätselten dennoch, ob nun drei Viertelfahnen auf den zu schmalen Bügel gezogen würden, der in der Hallenecke zur Hymne nach oben geliftet wird. Überhaupt: die Hymnen. Alle drei nacheinander in voller Länge? Oder von den DJs abgemixt - oder übereinandergelegt? Es war dann ganz einfach. Hochgezogen wurde gar nichts, stattdessen standen drei Ordner mit klassischen Fahnenstangen vor dem Quartett. Die Hymnen waren eine nach der anderen zu hören, und jede, die auf dem obersten Treppchen stand, bekam genau eine Medaille. In Gold.

© SZ vom 01.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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