Eine Karriere vor dem Ende?:Tricksen, schweigen, siegen

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Womöglich waren die sportlichen Erfolge von Jan Ullrich auch der Chemie geschuldet. Wenn er seine Unschuld nicht beweisen kann, werden ihn die Deutschen nicht mehr zurücknehmen. Nicht noch einmal.

Andreas Burkert

Am Samstag steigt der Prolog der Tour de France, doch Jan Ullrich hält sich zu dieser Zeit in Frankfurt auf. Ullrich gibt dort eine Pressekonferenz; sie ist als öffentliche Beichtstunde vorgesehen, das Fernsehen überträgt sie live.

Jan Ullrich (Foto: Foto: dpa)

Er trägt eine schwarze Armanijeans und ein graues Karohemd mit dem Logo seines Arbeitgebers, und als er Platz nimmt, bricht ein Inferno aus Blitzlichtern über ihn herein.

Dann erzählt Ullrich, seine Nervosität nur halbwegs kontrollierend, seine Geschichte: Wie er abends mit Bekannten losgezogen sei nach München, wie er in einer Diskothek dank reichlich Red Bull mit Wodka ordentlich in Schwung gekommen sei.

Und wie dann jemand zu ihm gesagt habe: ",Nimm das.' Ich war eben ziemlich am Boden, in einer kleinen Lebenskrise - es ist für mich kein Doping, es war einfach ein Riesen-Ochsenfehler."

Vier Jahre ist das nun her, damals war Ullrich am Knie verletzt und hatte seinen Tourstart bereits abgesagt. Partypillen habe er aus Frust zu sich genommen, so erklärte er seinen positive Dopingtest auf Amphetamine. Er brachte ihm eine Sperre von sechs Monaten ein. Die meisten Deutschen glaubten ihm damals die Geschichte vom dummen Jungen und verziehen ihm, weil sie ja auch von ARD und ZDF zumeist in eine heile Radsportwelt mitgenommen werden, in welcher sich die schwitzenden Protagonisten ganz selbstverständlich die Berghänge der Alpen und Pyrenäen hinaufschrauben.

Ullrich diente als Idol wie Becker, Schumacher oder Nowitzki

Schon ein Jahr später war ihr "Ulle" wieder der Sieger der Herzen, wie der Sport manchmal den ersten Verlierer nennt. Zweiter hinter dem kühlen Dominator Lance Armstrong wurde er beim Comeback, nur hauchdünn geschlagen; auch weil Jan Ullrich nach dessen Sturz auf ihn gewartet hatte.

Nun liegt er selbst am Boden, und wenn er seine Unschuld nicht beweisen kann, werden ihn die Deutschen nicht mehr zurücknehmen. Nicht noch einmal. Seine Karriere wäre dann beendet.

Jan Ullrich hat eine sehr erfolgreiche Karriere hinter sich, seinen Landsleuten diente er nach seinem Toursieg 1997 als Idol wie Boris Becker, Michael Schumacher oder neuerdings Dirk Nowitzki. Es wäre Ullrichs neunter Tourstart gewesen, und dort ist er nie schlechter als Platz vier gefahren; fünfmal kam er als Zweiter in Paris an.

Doch das Publikum hat den Olympiasieger und mehrfachen Weltmeister auch deshalb gemocht, weil der Mensch Jan Ullrich nicht sehr perfekt ist. Zur deutschen Folklore zählen längst die Schätzungen, wie viele Kilos der Sommer-Held jeweils im Winter und Frühjahr zugenommen habe. Der bekennende Gourmand war dann wochenlang damit beschäftigt, seinen wichtigsten Saisonsieg zu erreichen: irgendwie wettbewerbsfähig beim Tourstart zu erscheinen.

Godefroot ist selbst als Profi zweimal positiv getestet worden

Die Frankreichrundfahrt ist ohnehin der einzige Grund, weshalb Ullrich, 32, sich noch geschunden hat im Sattel. 1996, bei seiner ersten Teilnahme, hatte er dort gleich Platz zwei belegt, ehe er im Jahr darauf als erster Deutscher triumphierte. Und schon damals wich ihm ein gedrungener Belgier mit stets von der Sonne geröteter Halbglatze nicht von der Seite: Rudy Pevenage, 52, einer der sportlichen Leiter beim Team Telekom (heute T-Mobile).

Belgier haben im Radsport einen besonders schlechten Ruf, obwohl sie in fast allen Teams Betreuerstellen besetzen. Viele von ihnen entstammen einer ewig gestrigen Generation, die Doping noch als Kavaliersdelikt empfindet. Pevenages langjähriger Vorgesetzter beim Magenta-Rennstall, Walter Godefroot, ist als Profi ebenfalls zweimal positiv getestet worden.

Im Gegensatz zu Godefroot hielt Pevenage seinem Athleten nach dem ersten Positivtest die Treue; beide verließen für ein Jahr den "Goldenen Käfig" des Rennstalls, in dessen Organisation sich Ullrich eingeengt fühlte. Damals, beim Training in der Toskana, knüpfte Pevenage auch die ersten Kontakte zum italienischen Sportarzt Luigi Cecchini - eine womöglich verhängnisvolle Begegnung, wie sich jetzt herausstellen könnte.

Der 64-jährige preparatore geriet 1998 im Zuge der Ermittlungen um die überführten Dopingärzte Conconi und Ferrari ins Blickfeld der Ermittler. Sie hatten Rezepte für unerlaubte Mittel sichergestellt, die von ihm unterschrieben waren. Ullrich hatte die Zusammenarbeit mit Cecchini im Juli 2004 freiwillig ausgeplaudert und später immer wieder betont, "dieser faszinierende Mann" erstelle ihm nur die Trainingspläne.

Doch Cecchini, der zahlreiche Radstars betreut (früher auch den heutigen CSC-Teamchef Bjarne Riis, der wegen seiner weit über dem Grenzwert liegenden Blutwerte als "Mister 60 Prozent" firmierte), gilt eben auch als Vertrauter des spanischen Arztes Eufemiano Fuentes. "Der Hexer von Gran Canaria" war jetzt Auslöser der Razzia von Madrid, bei der auch Ullrich ins Netz gegangen ist.

Zuletzt gewann er überlegen die Tour de Suisse

Ob Jan Ullrich tatsächlich Blut in Spanien bearbeiten ließ und ob er sich schon seit seinem Profidebüt 1993 im Dopingsystem bewegte, das den Radsport trotz des Tour-Skandals von 1998 weiterhin beherrscht - das weiß einstweilen nur er selbst. Das Sommersprossengesicht gilt jedenfalls als empfänglich für schlechte Ratschläge.

Der im ostdeutschen Sport aufgewachsene Rostocker hat sich erst in den letzten Jahren eine gewisse Eigenständigkeit erarbeitet. Vermutlich hätte er den Betrug gar nicht nötig - bei entsprechender Arbeitsauffassung. Denn seine Hebelverhältnisse gelten als einzigartig im Peloton; Ullrich kann eine Stunde lang 500 Watt treten.

Aber auch in diesem Jahr wunderte man sich wieder, wie rasch er auf die Beine kam, obwohl seine Saison Mitte April im Grunde gelaufen zu sein schien. Nach überstandener Knieverletzung bewältigte er quasi aus dem Stand die schwere Tour de Romandie in der Westschweiz, und beim dreiwöchigen Giro d'Italia verblüffte er als Sieger des Zeitfahrens. Zuletzt gewann er überlegen die Tour de Suisse. So etwas schafft nur Ullrich, schwärmten mal wieder Konkurrenten wie Experten.

Jetzt schwärmt niemand mehr.

© SZ vom 01.07.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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