Editorial:Verständnisvolles Brummen

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(Foto: Bernd Schifferdecker)

Beim Großen Preis der Eifel gibt es kulinarische Höhen und neblige Tiefen, modische Mützen und zackige Bereiche.

Von Philipp Schneider

Die Eifel hält für ihren Besucher an diesem Wochenende zahlreiche Überraschungen bereit. Selbstverständlich liegt das an einem sportlichen Großereignis, das hier an diesem Sonntag vor tausenden Zuschauern stattfindet, und das es ohne Corona nie gegeben hätte. Ja, man lehnt sich sicher nicht zu weit aus dem Fenster, wenn man behauptet: Das vermaledeite Virus hat zum ersten Mal seit seiner Geburt respektive finalen Mutation vor einem Jahr auf einem Fischmarkt in Wuhan etwas Begrüßenswertes getan: Es hat die von Wind und Wetter so hart geprüften Menschen in der Eifel in die guten Zeiten zurückversetzt. In Vorfreude auf die Veranstaltung haben sie große, liebenswerte und überraschenderweise sogar englischsprachige Transparente gespannt auf den Wiesen rund um die Nürburg und die vielen kleinen Pensionen, die sich unversehens über einen mittelheftigen Besucheransturm freuen können. "Welcome back Formula 1. We've missed you!" steht darauf.

Wer ganz besonders viel Glück hat mit seinen glücklichen Gastgebern, der bekommt von ihnen am Freitagabend sogar "Döppekooche" gekocht. Diese Leckerei auf Kartoffelbasis gab es in der Eifel traditionell beim St.-Martins-Fest für all jene, die sich keine Martinsgans leisten konnten. Dem Festwochenende angemessen gibt es den Döppekooche nun ausnahmsweise schon ein paar Wochen früher. Und zwar für alle! Dazu Appelkompott.

Sieben Jahre lang rasten auf dem Nürburgring nur Sportwagen, LKW und tollkühne Privatpersonen in ihren von der Nordschleife abfliegenden Kisten. Endlich fahren auch Lewis Hamilton und Sebastian Vettel wieder um die Wette (wobei Vettel in seinem lahmen Ferrari natürlich nicht wirklich um die Wette fährt, aber zumindest an dieser Stelle soll ausnahmsweise nicht genörgelt werden, dafür gibt es ja den Rennbericht). Der Zuschlag für den Nürburgring im vergangenen Sommer, als auch in der Eifel noch die Vögel zwitscherten und die Sonne schien, erging allerdings zu einem hohen Preis. Der "Große Preis der Eifel" rückte in den Kalender anstelle des "Großen Preis von Japan". In Suzuka werden an diesem Sonntag 26 Grad Celsius und blauer Himmel erwartet. Am Nürburgring läuft Vettel seit Donnerstag so rum, als sei er auf dem Weg zu einer Polarexpedition: Im Merchandising-Sortiment seines Arbeitgebers gibt es eine daumendicke, ferrarirote Wollmütze, von dessen Existenz zuvor niemand etwas ahnte und um die ihn viele Menschen an diesem Wochenende beneiden. Vettel wäre gut beraten, würde er zumindest diese Mütze am Ende der Saison mitnehmen zu Aston Martin.

20.000 Zuschauer sind erlaubt, weil die Veranstalter ein Hygienekonzept vorgelegt haben, das zwar Ministerpräsidentin Malu Dreyer überzeugte, von dem aber nicht ganz klar ist, ob es auch von ihrem Kollegen Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg durchgewinkt worden wäre. Aus Sicht der Betreiber des Hockenheimrings entschied sich die Formel 1 gegen sie, weil der Nürburgring im Sommer mit Zuschauern warb. Als am Freitag wegen schlechter Sicht sämtliche Trainings ausfielen und damit auch das Formel-1-Debüt von Mick Schumacher, machte der böse Witz die Runde, verantwortlich seien Nebelmaschinen, errichtet von Mitarbeitern der Hockenheim GmbH.

Es gibt nun zahlreiche Tribünen und hinter jeder einzelnen einen eigenen Parkplatz. Dazu personalisierte Tickets, die nur online zu erwerben sind, allerorten Hygienespender, einen ausgetüftelten Sitzplan im Pressezentrum (Zickzack-Muster!) und begrüßenswert knallharte Kontrollen. Diese gelten auch für den freundlichen Chauffeur des sogenannten "Media-Shuttles", der zwischen Parkplatz und Pressezentrum pendelt. Den ganzen Tag lang. Hin und her. Sobald auch nur ein einzelner Fahrgast seine Dienste verlangt: Er fährt dann über die Straße, rein ins historische Fahrerlager, dort wird er angehalten. Er kurbelt die Fensterscheibe hinunter und hält seine Stirn bereit. Es macht pieps und das Thermometer wird grün. "Alles klar", sagt der Kontrolleur zum Chauffeur, die sich inzwischen schon ganz gut kennen. Wie oft er die Prozedur über sich ergehen lässt pro Tag? "Och, bestimmt 80, 90 Mal", brummt der Mann am Steuer. "Aber wennse das so wollen?" Es ist ein verständnisvolles Brummen.

© SZ vom 11.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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