Eddy Merckx glaubt Armstrong:Kannibalen unter sich

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Ehemalige Tour-Sieger sind nicht unbedingt die glaubwürdigsten Verteidiger: Nur drei der 21 Champions seit 1960 wurden nie des Dopings verdächtigt.

Andreas Burkert

Es hatte etwas Väterliches, als sich der Kannibale höchstpersönlich am Dienstag für Lance Armstrong verwandte. Doch Eddy Merckx, 60, dessen Beiname auf seine manische Siegessucht zurückgeht, ist schließlich gut mit dem amerikanischen Seriensieger der Tour de France bekannt, erst im Frühjahr hat er einige Tage in seinem Anwesen in der verschlafenen Ortschaft Meise bei Brüssel genächtigt.

"Und Lance hat mir immer wieder bestätigt, nie gedopt zu haben", sagte der belgische Nationalheld, selbst fünfmal Gewinner der Tour. "Und wenn es um das Wort eines Journalisten oder das von Armstrong geht", ergänzte er, "dann vertraue ich Lance." Doch vielleicht sind gerade ehemalige Toursieger am wenigsten dafür geeignet, Verteidigungsreden für den arg bedrängten Texaner zu halten. Denn die meisten von ihnen haben ja selbst betrogen.

Oder besser gesagt: gedopt.

Eddy Merckx ist ja gleich mehrmals auffällig geworden, auch wenn er über die Sünden seiner aktiven Zeit nicht so gerne spricht. Er brummt dann etwas von "Sabotage der Italiener". Beim Giro d'Italia 1969 wurde er mit Amphetaminen erwischt, solche Aufputschmittel befanden sich ehedem neben Anabolika und Steroiden in den geheimen Hausapotheken des Pelotons.

Sünderkartei

Merckx wurde disqualifiziert und für einen Monat gesperrt, ehe der Weltverband die Sperre annullierte. Weil sich Politiker, Kollegen und Medien ausreichend empört hatten. Wenige Wochen später gewann Merckx erstmals die Tour. Er wurde jedoch noch zweimal positiv getestet: Bei der Lombardeirundfahrt 1973 und beim Flèche Wallonne '77, jeweils mit Stimulanzien.

Bei einem Blick in die Siegerliste der Frankreichrundfahrt seit 1960 kommt man ohnehin zu einem verblüffenden Resultat. Nur drei von 21 Champions sind in ihrer Karriere nicht positiv getestet oder zumindest ernsthaft des Dopings verdächtigt worden: Allein die Akten des Belgiers Lucien Van Impe, Toursieger von 1976, des letzten französischen Gewinners Bernard Hinault (fünf Siege) und von Greg LeMond (1986, '89, '90) sind noch heute rein.

LeMond soll den Landsmann Armstrong wegen dessen Zusammenarbeit mit dem verurteilten Dopingarzt Michele Ferrari persönlich getadelt haben. Offenbar konnte wenigstens er sich diese Nestbeschmutzung leisten.

Die übrigen Vorgänger Armstrongs werden sich das dagegen eher verkneifen, sofern sie denn noch leben. Eine prominente Sünderkartei in Auszügen:

Jacques Anquetil, fünf Toursiege zwischen 1957 und 1964, wurde mehrfach des Dopings verdächtigt, 1967 gab er zu: "Ich habe mich gedopt. Jeder dopt sich."

Der Italiener Gastone Nencini ('60) injizierte sich Anabolika; Felice Gimondi ('65) wurde dreimal positiv getestet, sein Nachfolger Lucien Aimar ('66) zweimal; Roger Pingeon ('67) wurde mit dem Amphetamin Ritalin erwischt; Jan Janssen ('68): 1972 aufgeflogen. Merckx' spanischer Bezwinger Luis Ocaña ('73) wurde 1977 bei der Tour entlarvt.

Auch Riis unter Verdacht

Später gab er zu: "Ich habe geschluckt, was jeder schluckte. Und alles andere ist Scheinheiligkeit." Bernard Thévenet ('77) ging dreimal ins Netz, ebenso Joop Zoetemelk ('80). Thévenet räumte ein: "Ich dopte mich drei Jahre lang mit Cortison."

Bei Laurent Fignon ('83, '84) fanden sich zweimal Amphetamin-Spuren im Urin; der Name von Stephen Roche ('87) tauchte auf in den Prozessunterlagen des schlecht beleumundeten Sportwissenschaftlers Francesco Conconi, ehedem Ferraris Chef; Pedro Delgado ('88) wurde als Träger des Gelben Trikots der Einnahme von Probenezid überführt - doch erst kurz nach der Tour wurde das Mittel in die Dopingliste aufgenommen.

Miguel Induraín ('91 bis '95) war 1994 bei einem kleinen Rennen positiv auf Salbutamol; Bjarne Riis ('96) wurde 1995 mit einem Hämatokritwert von 56,3 registriert - Werte über 50 legen den Verdacht von Epo-Doping nahe.

Pervertiereung des Radsports

Riis' Teamkollege, der deutsche Heros Jan Ullrich ('97), wird 2002 in einer Verletzungsphase positiv auf Amphetamine getestet. Sein Trainer ist Luigi Cecchini; gegen den Italiener liegt nichts vor, aber er zählte früher zu Conconis Mitarbeitern am Institut von Ferrara. Und Marco Pantani schließlich wurde zweimal mit erhöhtem Hämatokritwert registriert (1995: 60,1), bei der Giro-Razzia 2001 fand sich bei ihm Insulin. Er starb im Februar 2004 an einer Überdosis Kokain.

Das sind die Fakten, und es gibt weitere Daten, die Fragen aufwerfen. Lance Armstrong hat bei seinem letzten Toursieg die 3608km mit einem Stundenmittel von 41,654km/h zurückgelegt. Zum Vergleich: In den 80er Jahren kamen die Sieger im Schnitt auf rund 37 Sachen.

Der renommierte italienische Wissenschaftler Alessandro Donati hat einmal ganz allgemein gesagt, er beziffere das Steigerungspotenzial des gängigen Blutdopingmittels Epo auf acht km/h, das von Steroiden und Testosteron auf vier und von Wachstumshormonen auf drei Stundenkilometer. Donati spricht von "einer Pervertierung des Radsports durch Epo".

Aber Donati ist ja auch nicht mit Lance Armstrong befreundet. Er bekämpft den Betrug.

© SZ vom 25.8.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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