Drittligist überrascht erneut:Die Malocher aus Westfalen

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Entscheidung auf Wintergeläuf in Minute 56: Paderborns Ben Zolinski erzielt das Tor des Abends. (Foto: Stuart Franklin/Bongarts/Getty Images)

Mit leidenschaftlichem Ärmel-hoch-Fußball hat sich der SC Paderborn als einziger Drittligist bis ins Pokal-Viertelfinale vorgekämpft.

Von Ulrich Hartmann, Paderborn/München

Am Dienstagabend um 20.25 Uhr erlebte der leidgeprüfte Paderborner Fußball einen seiner glücklichsten Momente. Fünf prekäre Minuten Nachspielzeit hatte man zu überstehen, bevor der 1:0 (0:0)-Sieg gegen den Zweitligisten FC Ingolstadt feststand und damit der erstmalige Einzug des SC Paderborn in ein Viertelfinale des DFB-Pokals. "Wir schreiben Geschichte!", brüllte der aufgeregte Stadionsprecher ins Mikrofon, während auf dem Rasen die Spieler ausgelassen im Kreise hüpften. Wenn am 7. Januar das Viertelfinale ausgelost wird, sind die Ostwestfalen der letzte im Wettbewerb verbliebene Drittligist und haben damit auf jeden Fall Heimrecht. Fans, die befürchten, für ein großes Los erwäge der Klub einen lukrativen Umzug nach Bielefeld oder Dortmund, beruhigte man sofort. Die Partie werde auf jeden Fall im 15 000-Zuschauer-Stadion in Paderborn ausgetragen.

Mit dem Pokal-Highlight hat der Klub nunmehr endgültig die aufregendsten dreieinhalb Jahre der Klubgeschichte hinter sich gebracht: 2014 Aufstieg in die Bundesliga, 2015 Abstieg in die zweite Liga, ab Oktober 2015 fünf aufsehenerregende Monate unter dem Trainer Stefan Effenberg, 2016 Abstieg in die dritte Liga, 2017 Abstieg in Liga vier - doch dann: Klassenerhalt durch den Lizenzentzug für 1860 München und jetzt, zur Winterpause, überraschend klar Zweiter in der dritten Liga.

Regisseur des unverhofften Comebacks ist der Trainer Steffen Baumgart, 45, als Mittelstürmer einst 225 Mal für Energie Cottbus, Hansa Rostock und den VfL Wolfsburg in der Bundesliga im Einsatz. In Paderborn reüssiert der gebürtige Rostocker als Fußballlehrer und ist nach Jos Luhukay, Roger Schmidt und André Breitenreiter vielleicht der vierte Trainer, der hier eine größere Karriere beginnt. Ein von Dennis Srbeny schön herausgespieltes und von Ben Zolinski vollendetes Tor in der 56. Minute genügte am Dienstagabend zum Viertelfinaleinzug. Dass beide, wie ihr Trainer, eine Vergangenheit bei Hansa Rostock haben - reiner Zufall.

Circa drei Millionen Euro wurden im Pokal schon eingespielt

Der dritte Pokal-Heimsieg nacheinander gegen einen Zweitligisten hilft dem Paderborner Selbstvertrauen nach zwei katastrophalen Spielzeiten weiter auf die Sprünge. Zuvor hatte man den FC St. Pauli mit 2:1 und den VfL Bochum mit 2:0 besiegt. "Es ist Wahnsinn, was wir auf dem Platz malochen", schwelgte in ortsüblichem Duktus der Innenverteidiger, Kapitän und gebürtige Paderborner Christian Strohdiek. "Bei uns herrscht ein Zusammenhalt, den ich so noch nicht erlebt habe." Dabei hatte der 29-Jährige hier 2014 schon den Bundesliga-Aufstieg unter dem Trainer André Breitenreiter mitgemacht.

Baumgart war im vergangenen April ein Glücksgriff für den SC Paderborn, nachdem seinen Vorgängern Markus Gellhaus, Stefan Effenberg, René Müller und Stefan Emmerling seit 2015 kein Erfolg vergönnt gewesen war. Der hemdsärmelige Rostocker hingegen holt das Äußerste aus seiner Mannschaft heraus. "Die Jungs sind an ihre Grenzen gegangen", lobte er auch nach dem Sieg gegen auswärts zuvor drei Monate lang unbesiegte Ingolstädter. Auch für die Oberbayern wäre der Einzug ins Viertelfinale eine Vereinspremiere gewesen. "Wir sind jetzt für alle anderen sieben Klubs im Lostopf der Wunschgegner", witzelte Steffen Baumgart und freut sich schon auf das Viertelfinalspiel am 6. oder 7. Februar.

Fast drei Millionen Euro an Vermarktungserlösen, DFB-Prämien und Zuschauereinnahmen haben die finanziell gebeutelten Paderborner mit ihren drei Pokal-Heimsiegen erwirtschaftet, zweieinhalb Millionen weitere brächte ihnen auf einen Schlag ein Sieg im Viertelfinale ein. Das ist viel Geld für einen Klub, den ein Abstieg in die vierte Liga im vergangenen Sommer vielleicht sogar die Existenz gekostet hätte und der sich im Laufe seiner jüngeren Historie immer wieder vom Vereinspräsidenten Wilfried Finke, einem örtlichen Möbelmogul, helfen lassen musste. Auch vor diesem Hintergrund war die historische Pokalnacht ein befreiender Moment für den Paderborner Fußball.

© SZ vom 21.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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