Dortmund gewinnt in Leipzig:Groovig, aber unzufrieden

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„Ich hätte fünf Tore schießen können“, sagt Erling Haaland (re.), hier bei seinem zweiten Treffer zum 2:0. (Foto: Ronny Hartmann/Reuters)

Mit dem Sieg bei RB Leipzig steht Dortmund neuerlich als Vizemeister fest, beim BVB ist man sich jedoch einig: Zufrieden kann man mit der Verteidigung von Platz zwei auf Dauer nicht sein. Leipzigs Trainer Julian Nagelsmann schickt unterdessen Sprachnachrichten nach Berlin.

Von Javier Cáceres, Leipzig

Am Ende der Partie ließ sich Erling Haaland zum TV-Interview in Leipzig auf einen Stuhl sinken und lieferte wieder einmal ein Beispiel dafür, dass er kein großes Interesse hat, einen Small Talk unnötig in die Länge zu ziehen, sondern Fragen im Zweifelsfall mit Einsilbern beantwortet, weil: Reicht ja! Warum er sitze, wurde er gefragt, und er sagte: weil er müde sei. Etwa wegen der beiden Treffer (30./90+2), die er zum 2:0-Sieg erzielt hatte? Nein, weil er so viel habe rennen müssen. Und auch die Erkundigung, ob er mit dem zweiten Platz zufrieden sei, den sein Verein Borussia Dortmund nach dem Sieg sicher habe, versenkte er mit der gleichen Humorlosigkeit, mit der er seine hundertprozentigen Torchancen zu verwandeln pflegt: "No."

Später sagte Haaland doch noch ein paar Sätze mehr: "Ich bin nicht froh über die Vize-Meisterschaft. Ich will Meister werden. Wir mussten nach dem verpassten Titel das Beste aus der Situation machen." Die Leipziger konnten noch sehr viel mehr aufatmen. Denn weil die Hertha den Champions-League-Konkurrenten Leverkusen besiegte, darf die Qualifikation für die Königsklasse als gesichert angesehen werden, ein Sturz auf Platz fünf ist nahezu ausgeschlossen. Leverkusen könnte am letzten Spieltag punktemäßig gleichziehen, aber müsste 26 Tore Differenz gutmachen, um Leipzig zu überholen. "Einen großen Dank auch an Hertha, ich habe (deren Trainer) Bruno (Labbadia) eben auch eine Sprachnachricht geschickt", sagte Leipzigs Trainer Julian Nagelsmann.

Es fiel daher auch kaum noch ins Gewicht, dass er sich zurecht darüber ärgern konnte, dass "die erste Halbzeit erschreckend schwach" gewesen war, und ebenso zurecht zufrieden darauf blicken konnte, dass sein Tema den Eindruck nach der Pause korrigieren konnte. Gleichwohl: Die Leipziger Mängel waren aber nicht der alleinige Grund für den überaus verdienten Dortmunder Sieg. Im Gegenteil.

Haaland und Gulasci liefern sich ein Privatduell - der Norweger gewinnt

Das Spiel in Leipzig diente als gutes Beispiel dafür, zu welchem Fußball der BVB imstande ist. Die Dortmunder wirkten frei von jeder Beklemmung, und sie spielten, trotz der Kritik an ihrem Auftritt gegen Mainz vom Mittwoch (0:2), auch erstaunlich frei von Schaum vorm Mund. Ihre Antwort war: Fußball. Groovige Kombinationen, durchdachtes Aufbauspiel. "Wir haben ein absolutes Topspiel hingelegt, einen der besten Auftritte in dieser Saison...", sagte Mats Hummels, der vor allem in der ersten Halbzeit die Operationen seines Teams mit Geduld, Um- und Übersicht geleitet hatte - was oft genug dadurch begünstigt wurde, dass er im Abwehrzentrum kaum bedrängt wurde, wenn er sich den Ball für die Spieleröffnung mit der gleichen Akkuratesse zurechtlegte, mit der andere Leute ihre Hemden für einen Koffer falten. Und vorn, ja vorn, schüchterte der mächtige Erling Haaland die Leipziger Abwehr ein.

Immer wieder rückte der Norweger in den Fokus, und damit auch Leipzigs Torwart Peter Gulacsi, der eine gute Partie bot. Zwei Mal tauchte Haaland allein vor dem Ungarn auf (15./16.), beide Male konnte Gulacsi parieren. Auch in der 24. Minute bewahrte Leipzigs Torwächter seine Mannschaft vor einem Rückstand, diesmal gegen Thorgan Hazard, der durch Hummels mit einem brillanten Pass in Szene gesetzt wurde. In der 30. aber war er machtlos. Nachdem Hummels in der eigenen Hälfte Forsberg, Kampl und Werner ausgetanzt und den Ball auf Julian Brandt auf der rechten Seite gepasst hatte, landete der Ball über Giovanni Reyna vor dem freistehenden Haaland, der dieses Mal keine Gnade walten ließ, die Führung erzielte.

Den Endstand stellte er in der Nachspielzeit her, nach einem neuerlichen Pass von Brandt drückte er den Ball über die Linie. Und kompensierte damit das Pech, dass Leipzigs Keeper Gulacsi einen weiteren Schuss des Norwegers unkontrolliert an die Querlatte abgefälscht hatte. Haaland ist einer von vier Spielern, die sich den sechsten Platz in der Torjägerliste teilen, mit insgesamt 13 Toren. Eine unglaubliche Quote, wenn man bedenkt, dass er erst im Winter aus Österreich (RB Salzburg) in die deutsche Bundesliga gekommen war. Er ist der einzige unter den 49 erfolgreichsten Schützen der Liga, der bislang auf weniger als tausend Minuten Einsatzzeit gekommen ist. Zum Vergleich: Timo Werner, der am Samstag offiziell nach Chelsea verabschiedet wurde, kommt statistisch betrachtet alle 104 Minuten auf ein Tor. Haaland alle 74 Minuten.

Eine solche Tormaschine ist womöglich der beste Hinweis darauf, dass Dortmund in der kommenden Saison die einzig logische Ambition mit erfolgsversprechender Perspektive aufnehmen kann. Es sei weiterhin "nicht so einfach, die Bayern zu überholen", merkte BVB-Trainer Favre skeptisch an. Das Ziel des Mats Hummels für die kommende Saison aber ist schon formuliert. In aller Deutlichkeit. Worin es besteht? "Einen (Platz in der Tabelle) nach oben rutschen. Und in den Pokalwettbewerben etwas länger dabei sein. Das war nix in dieser Saison."

© SZ vom 21.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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