Doping-Skandal um Russland:Erstmal raus

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Kennt sich bestens mit Sex aus: Vize-Premier Witali Mutko neben Präsident Wladimir Putin. (Foto: Mikhail Klimentyev/AFP)

Der Welt-Leichtathletikverband IAAF schließt mit Russland zum ersten Mal eine Nation von Wettkämpfen aus. Doch ob das auch für Olympia in Rio noch gilt, ist zweifelhaft - es gibt Hintertüren.

Von Martin Schneider, München/London

Diejenigen, die in der Welt für die Leichtathletik verantwortlich sind, hatten am Freitagabend im Prinzip zwei Möglichkeiten: Entweder Russland von allen internationalen Wettkämpfen ausschließen - oder die Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) der Lächerlichkeit preisgeben. Dass vor dieser Sitzung in London unklar war, was der Weltverband IAAF tatsächlich tun würde, spricht allein schon für den zerrütteten Zustand, in dem sich diese Sportart gerade befindet. Am Ende war es doch eindeutig. 22 Mitglieder des zuständigen Councils votierten für eine Sperre, drei enthielten sich, ein Mitglied war dagegen, Russland selbst durfte nicht abstimmen. Damit folgt der Weltverband den Empfehlungen einer unabhängigen Kommission der Wada, die am vergangenen Montag auf mehr als 300 Seiten systemisches, staatlich abgeschirmtes Doping in Russlands Leichtathletik freigelegt hatte.

Der russische Verband und seine Athleten sind damit bis auf weiteres von allen internationalen Wettkämpfen ausgeschlossen. Das hat die IAAF in ihrer Geschichte bisher noch nie getan, und es ist auch überhaupt die härteste Strafe, die der Verband verhängen kann. Aber ist es deswegen eine harte Strafe? Das ist gar nicht so sicher.

Suspendierung auf "unbestimmte Zeit"

Erst einmal ist es so: Kein russischer Leichtathlet, kein Trainer und kein Betreuer darf sich auf unbestimmte Zeit bei einem internationalen Wettkampf (Meisterschaften, Meetings, Marathonläufe) blicken lassen. Russland darf außerdem weder den Geher-Weltcup 2016 (in Tscheboksary) noch die Junioren-Weltmeisterschaften 2016 (in Kasan) ausrichten. Das klingt heftig, der entscheidende Punkt ist aber, dass diese Suspendierung auf unbestimmte Zeit ausgesetzt ist.

Das bedeutet: Sie kann theoretisch schnell wieder aufgehoben werden. Denn der Weltverband kündigte an, dass Russland wieder in die IAAF aufgenommen wird, wenn der Verband eine "Kriterien-Liste" umsetzt, die eine noch zu benennende vierköpfige Kommission unter dem Vorsitz des norwegischen Anti-Doping-Experten Runde Andersen erstellen wird. Wie genau diese Kriterien aussehen, teilte der Verband noch nicht mit.

"Sicher, dass es gelingt, die Situation bis Olympia zu klären"

Russland wird nun alles tun, um allerspätestens zu den Olympischen Spielen in Rio 2016 wieder ein Startrecht zu haben. Russlands Sportminister Witali Mutko sagte am Samstag, er rechne nicht mit einem Startverbot bei Olympia. "Ich schließe so einen Verlauf der Entwicklung aus", sagte er. Am Samstagvormittag meldete die russische Agentur Tass, dass die gesamte Führungsriege im russischen Leichtathletik-Verband (WFLA) ausgewechselt werden soll. "Ich habe heute mit Sebastian Coe über die weiteren Schritte im Anti-Doping-Kampf gesprochen und hoffe, dass binnen 90 Tagen unsere Mannschaft wieder alle Rechte besitzt. Belastete Funktionäre werden unseren Verband verlassen müssen", sagte Mutko dem TV-Sender Rossija-1.

Die Wahrscheinlichkeit, dass es genauso kommt, ist ziemlich groß. Nach den Enthüllungen der Wada hatten Präsident Coe und das Council kaum eine andere Wahl, als der Empfehlung der Kommission zu folgen, die Autorität der Wada wäre ansonsten nicht mehr vorhanden gewesen. Die Suspendierung kommt trotzdem zu einem sehr späten Zeitpunkt, schon vor einem Jahr zeigte die ARD in der Dokumentation "Geheimsache Doping. Wie Russland seine Sieger macht" Belege für staatlich unterstütztes Doping. Mutko sagte damals noch, dass alle Informationen "nicht der Wahrheit" entsprechen würden. Auch heute noch bezeichnet er Kronzeugen wie Julia Stepanowa, die in dieser Dokumentation entscheidende Hinweise auf das nun erwiesene systematische Doping gelifert hatte, als "Denunzianten, die inkognito für Geld andere abhören und verraten".

Was hat Russland in der Hinterhand?

Dass die IAAF Russland nun die Möglichkeit lässt, schnell wieder aufgenommen zu werden, liegt im Interesse aller Beteiligten. Coe selbst sagte noch vor der Sitzung, er halte eine "Einbeziehung Russlands" besser als eine Ausgrenzung. Wahrscheinlich fürchtet Coe, was Russland in der Hinterhand haben könnte, falls er auf Konfrontation mit dem mächtigen Verband geht. Schon am Freitag ließ Mutko über den Sender Russia Today vielsagend verbreiten, die IAAF hätte seit 2005 155 Doping-Tests unterschlagen, von denen nur 15 aus Russland seien. Auch Präsident Wladimir Putin sagte, dass Dopingproblem existiere "nicht nur in Russland." Zudem kündigte die russische, staatliche VT-Bank an, ihren Sponsoren-Vertrag mit der IAAF nicht zu verlängern.

Sowieso erodiert gerade das ganze System um Sebastian Coe und die IAAF. Neben dem Wada-Bericht ermitteln Interpol und die französischen Behörden gegen Coes Vorgänger Lamine Diack wegen Korruption und Bestechlichkeit. Diack soll Athleten erpresst haben und positive Dopingproben gegen Zahlung verschwinden lassen, so die Vorwürfe. Coe war unter Diack Vize-Präsident und hatte ihn als seinen "geistigen Präsidenten" bezeichnet, leugnet aber, von den Vorgängen gewusst zu haben. Ein zweiter, umfangreicherer Teil des Wada-Reports steht dazu noch aus.

IOC-Präsident Bach stützt Russland

In dieser Gemengelage kommt Coe die Entscheidung einer Suspendierung Russlands auf Bewährung ziemlich gelegen. Sie symbolisiert Entschlossenheit, verschafft Zeit und welche Konsequenzen sie wirklich hat, ist noch unklar. Unterstützung erhielt er von IOC-Präsident Thomas Bach, der bisher nicht als größter Kritiker Putins aufgefallen ist. Er sagte nach einem Treffen mit Russlands NOK-Präsident Alexander Schukow, er sei "zuversichtlich", dass Russland die Vorraussetzung schaffe, damit "die sauberen Athleten an den Olympischen Spielen" teilnehmen können.

© SZ vom 15.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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