Doping im Radsport:"Wer gegen die Wahrheit klagen will, verliert"

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Der einstige Radsport-Betreuer Jef D'hont kündigt neue Doping-Enthüllungen über Jan Ullrich und dessen frühere Weggefährten an.

Interview: Andreas Burkert

Schon als Teenager arbeitete Jef D'hont, 66, im Radsport, als soigneur, wie die zwielichtigen Betreuer der Szene heißen. Der Belgier hat seine Fahrer nicht nur massiert, sondern auch gedopt. Im Festina-Prozess von Lille, gut zwei Jahre nach dem Tour-Skandal 1998, wurde D'hont wegen Mithilfe zum Doping zu neun Monaten auf Bewährung verurteilt. Danach schwieg er weiter - bis er im April 2007 mit einem Enthüllungsbuch ("Memoiren eines Radfahrer-Betreuers") inklusive Spiegel -Interview das systematische Doping beim Team Telekom offenlegte, wo er von 1992 bis 1996 arbeitete. Seine Frau habe aus Angst alle Beweise verbrannt, hat er damals erzählt. Wirklich?

Mit seinem ersten Enthüllungsbuch sorgte Jef D'hont für viel Wirbel im Radsport-Zirkus. Nun sollen weitere Details folge. (Foto: Foto: Reuters)

SZ: Herr D'hont, vor bald einem Jahr hat ihr Enthüllungsbuch eine Lawine von Geständnissen und Teilgeständnissen ausgelöst, von Profis, Sportchefs und Ärzten. Vor allem der deutsche Radsport ist seitdem ein anderer - auch für Sie?

Jef D'hont: Ach wissen Sie, bei uns in Belgien hat das Doping im Radsport eine lange Tradition, auch bei uns haben Ärzte manipuliert, die Fahrer sowieso. Und in Belgien akzeptieren, schätze ich, heute 50 Prozent, dass im Feld gedopt wird - und die anderen 50 Prozent akzeptieren es nicht. Aber trotzdem bleiben selbst von denen die meisten dem Radsport treu. Es ist eben unser Sport.

SZ: Hat sich Ihr privater Alltag verändert, werden Sie geschnitten?

D'hont: Nein, die Menschen sprechen mit mir, bei mir an der Tür klingeln auch mal Kinder, weil sie mich jetzt kennen. Ich bin ja kein Aussätziger, keiner, der eine ansteckende Krankheit hat. Natürlich wissen die Leute, dass auch ich viele Jahre das gesagt habe, was alle sagten: ,Nein, nein, wir haben niemals gedopt, in meiner Mannschaft gab und gibt es kein Doping!' Aber irgendwann habe ich mich halt entschieden: Die Leute müssen das wissen. Um den jungen Menschen klar zu machen: Das gibt es, aber du musst das nicht machen.

SZ: Bewegen Sie sich noch im Peloton, und wie reagiert man dort auf Sie?

D'hont: Natürlich gehe ich weiter zu Rennen, in einer Woche bin ich bei der Flandern-Rundfahrt. Mein Landsmann Philippe Gilbert hat Anfang März den Halbklassiker "Omloop Het Volk" gewonnen, eines der schönsten Rennen überhaupt. Danach hat Marc Madiot, der Teamchef meiner früheren Mannschaft Fdjeux, gemeint: ,Komm' zu uns, Champagner trinken.' Und dort hat Philippe gesagt: ,Danke Jef, ich habe nur wegen dir gewonnen, wegen deines Buchs!'

SZ: Wie meinte er das?

D'hont: Die ersten Fünf in diesem Rennen fuhren allesamt für französische Mannschaften - vor fünf, sechs Jahren hat keine französische Mannschaft irgendetwas gewonnen, nichts. Es ging nicht, keine Chance!

SZ: Weil die französischen Teams nach dem Tour-Skandal 1998 um die Festina-Equipe als halbwegs sauber galten?

D'hont: Genau, dort gibt es seitdem harte Anti-Doping-Programme, und sie hatten deshalb keine Chance gegen die anderen, die ja offensichtlich weitergemacht haben mit dem Betrug. Jetzt aber sind alle im Feld sensibilisiert. ,Die anderen sind plötzlich nicht mehr so gut wie früher', hat Philippe gesagt. Das empfand ich als sehr schönes Kompliment.

SZ: Redet auch der internationale Radsportverband UCI mit Ihnen über Ihre Vergangenheit, über Ihr Insiderwissen?

D'hont: Nein, bisher nicht, und da kommt wohl auch nichts mehr. Ich würde sehr gerne mit diesen Leuten von der UCI sprechen - aber sie wollen das offenbar nicht. Oder sie wissen längst die Wahrheit und wollen nicht, dass ich sie in Verlegenheit bringe.

SZ: Erstaunlich, wo doch die UCI angeblich um Aufklärung bemüht ist. Hat Sie denn der Bund Deutscher Radfahrer um den Präsidenten Rudolf Scharping kontaktiert, der vor zwei Jahren ebenfalls das große Aufräumen ankündigte?

Im November will Jef D'hont sein zweites Buch veröffentlichen. (Foto: Foto:)

D'hont: Scharping? Auch kein Gespräch, keiner vom BDR hat sich bei mir gemeldet. Das wundert mich sehr. Auch der belgische Verband meldet sich nicht. Kein Funktionär des Radsports hat offenbar Interesse an meinem Wissen.

SZ: Einer hat sich allerdings gemeldet: Ihr Landsmann Walter Godefroot, der langjährige Manager des Teams Telekom. Er hat Sie auf 700.000 Euro verklagt, weil Sie ausgesagt haben, er habe das Dopingsystem der Mannschaft finanziert. Wie ist der Stand des Verfahrens?

D'hont: Die entscheidende Verhandlung findet wohl erst im November statt. Ich bin da entspannt, ich werde dann auch mein zweites Buch veröffentlichen. Denn Godefroot hat mit der Klage gegen mich - der sich übrigens auch Steffen Wesemann (früherer Telekom-Fahrer; Anm.d.Red.) angeschlossen hat - einen großen Fehler gemacht. Damit lässt er mir keine andere Wahl: Es werden bald noch viel, viel mehr Dinge rauskommen, die öffentlich nicht bekannt sind. Ich sage das alles nicht gerne, aber jetzt muss ich es machen. Und diese neuen Sachen betreffen sicher nicht nur Godefroot.

SZ: Laut des soeben veröffentlichten Berichts zum systematischen Doping durch die Freiburger Uniärzte hat die Sportgroep Godefroot allein für die Zeit von 2002 bis 2004 rund 300.000 Euro an die Klinik gezahlt. Dieses Detail wird Ihre Anwälte sicher interessiert haben.

D'hont: Natürlich, ich weiß ohnehin nicht, wie Godefroot behaupten kann, er habe nichts gewusst. Manchmal denke ich fast: Er ist dumm. Jeder weiß doch: Umso mehr du in der Scheiße rührst, desto mehr Dreck kommt hoch.

SZ: Sie haben vor einem Jahr erzählt, Ihre Frau habe alle alten Dokumente verbrannt. Wirklich?

D'hont: Es stimmt schon, dass meine Frau viel vernichtet hat - aber nicht alles. Und ich kann hier auch sagen, dass ich mit verschiedenen Leuten gesprochen habe.

SZ: Deren Aussagen hätten Sie heimlich aufgenommen, heißt es.

D'hont: Ja, das stimmt.

SZ: In dem Freiburger Bericht sorgte die Erwähnung einer Lieferung an den früheren Telekom-Profi Andreas Klöden für Aufsehen. Klöden sagt jedoch, in dem Paket im Wert von 1000 Mark seien nur Vitamine gewesen. Ist das glaubhaft?

D'hont: Ich kann ja nur für meine Telekom-Zeit reden, aber damals waren Vitamine gratis - niemals wurde dafür von Fahrern bezahlt, niemals. Und jeder Rennfahrer wusste genau, wie das System von Godefroots Firma funktionierte. Und bitte: Für 1000 Mark Vitamine! Ich denke, das kann nicht stimmen.

SZ: Sie haben Wesemann erwähnt, der in 13 Jahren für Telekom und T-Mobile nichts mitbekommen haben will. Andere wie Rolf Aldag haben das zugegeben, was längst verjährt ist. Kann ein Neuanfang überhaupt aussichtsreich sein, wenn die Vergangenheit nicht aufgeklärt ist?

D'hont: Das ist ein Problem. Die anderen, die jetzt noch sportliche Leiter sind wie ein Aldag (Sportchef beim T-Mobile-Nachfolger High Road; Anm.d.Red.) - sie müssten es auch tun: alles aussagen. In Belgien weiß zum Beispiel jeder Journalist, was gelaufen ist. Aber kaum einer schreibt es. Weil sie Angst vor Klagen haben. Die erste Klage hat ja Patrick Léfevère, der Teammanager von Quick Step, eingereicht; er hat die Zeitung Het Laatste Nieuws auf mehr als 20 Millionen Euro Schadensersatz verklagt. Dann kam Godefroot - sie wollen einschüchtern. Bei mir wirkt das nicht. Wenn einer gegen die Wahrheit klagen will, verliert er.

SZ: Zur Wahrheit gehört, dass die alte Garde weiter aktiv ist. Team Astana etwa hat überführte Doper wie Alexander Winokurow verloren, doch dafür hat nun Lance Armstrongs ewiger Teamchef Johan Bruyneel die Mannschaft übernommen mit ihrem belasteten Apparat.

D'hont: Ja, und den Apparat hat übrigens Godefroot erfunden und zusammengestellt - er war ja anfangs Berater bei Astana. Oder nehmen wir den spanischen Radsport. Über den fehlt mir detailliertes Wissen, aber der Eindruck stimmt schon: Da dauert es noch sehr lange, bis ein neuer Weg eingeschlagen wird. Vielleicht hilft es, dass jetzt in Spanien der Puerto-Prozess zu den Praktiken des Madrider Arztes Eufemiano Fuentes wieder eröffnet worden ist. Hoffentlich.

SZ: Hat sich Jan Ullrich bei Ihnen gemeldet, den Sie ja deutlich mit Epo-Doping in Verbindung gebracht haben?

D'hont: Er hat mich nur einmal angerufen. Er hat gefragt: ,Jef, hast du das wirklich erzählt?' Ich: ,Ja, das habe ich.' Er hat noch andere Dinge gesagt, aber auch darüber kann ich jetzt nicht sprechen - noch nicht. Ich kann mir denken, dass Ullrich deshalb nun Schweiß auf der Stirn hat, weil ich ja seine Aussagen auf Tonband habe. Ich verstehe ihn einfach nicht - weshalb er nicht, wie andere Telekom-Fahrer, erzählt hat, wie es wirklich war. Jeder hat doch gedopt, sogar Erik Zabel und Udo Bölts, obwohl beide beim Dopen wirklich nicht übertrieben haben. Im zweiten Buch wird viel über Ullrich stehen. Auch weil er mit mir falsch gespielt hat. Denn vor dem ersten Buch hat sein Betreuer Rudy Pevenage mich gebeten: ,Lass' mich raus, und Jan bitte auch. Denn wir beide wollen selbst erzählen, was gewesen ist.' Ich habe mich daran gehalten - sie aber nicht, es kam nichts, bis heute. Dann mach' ich es halt jetzt.

SZ: Ullrichs Anwälte versuchen offenbar, in dessen Bonner Betrugsverfahren hinter den Kulissen eine Mitwisserschaft der Telekom-Spitze nachzuweisen. So soll das Verfahren zur Einstellung gebracht werden. Was wusste Telekom?

D'hont: Jeder fragt mich das. Aber ich weiß es nicht, ich habe beispielsweise niemals mit Herrn Kindervater (damaliger Leiter Konzernkommunikation; Anm. d. Red.) geredet. Er war ein-, zweimal an unserem Betreuertisch. Allerdings saß er immer bei Godefroot und Pevenage. Ob sie ihn eingeweiht haben? Kann sein. Nur eines ist sicher: Godefroot wusste alles.

SZ: Sie haben den Betrug lange mitgemacht. Hat es Sie dennoch überrascht, dass bei T-Mobile noch während der Tour de France 2006 gedopt wurde, obwohl Jan Ullrich kurz zuvor wegen der Puerto-Akten aufgeflogen war?

D'hont: Sicher. Nach dem Rennen gibt es Pflege und Massage, danach essen alle zusammen - und auf einmal sind welche weg, vermutlich alle! Und die Teamleitung wusste von nichts? Sorry, da muss ich lachen, das ist unmöglich. Und: Wer war denn damals der Manager?

SZ: Olaf Ludwig, der auch seine Telekom-Vergangenheit leugnet.

D'hont: Eben. Für mich ist es nur logisch, dass er auch davon gewusst hat. Sie müssen es alle gewusst haben. Und das finde ich jetzt sehr schlecht für den Radsport: Die Rennfahrer haben zwar fast alle zugegeben, dass sie mal gedopt haben. Aber sie haben es wohl nicht ehrlich gemeint, sie denken jetzt: Dieser verdammte Jef D'hont! Und natürlich helfen sie mir jetzt auch nicht im Prozess gegen Godefroot. Im Gegenteil, sie haben Erklärungen in seinem Sinne abgegeben. Über einen Anwalt ging das - und komischerweise sehen diese Schreiben alle gleich aus, ein Standardbrief. Nur Ludwig, Bölts und Jens Heppner haben das nicht unterschrieben. Aber bei den anderen steht dort: ,Ich habe nie von Godefroot Epo bekommen, und ich habe niemals bei ihm für Epo bezahlt.' Klar, das stimmt! Denn das habe ja ich getan, ich musste Godefroot das Geld geben, nachdem ein Zabel, ein Aldag und die anderen bei mir bezahlt hatten. Godefroot hat am Ende die Abrechnung gemacht - alle Apotheken und für alle Produkte hat nur Godefroot bezahlt. Für alles.

SZ: Können Sie das belegen?

D'hont: Vielleicht habe ich dafür keine Belege, aber das macht nichts. Denn einige Leute können das bestätigen, und glauben Sie mir, sie haben es getan.

SZ: Auch Aldag?

D'hont: Sicher. Aldag hat mir am Telefon gesagt: ,Ich konnte nicht alles sagen. Denn ich habe doch keine Beweise.' So eine Aussage finde ich schade. Auch deshalb möchte ich jetzt noch ein Meeting mit Bob Stapleton haben, seinem Chef bei High Road. Bis jetzt haben sie mich nur mit seinem Berater reden lassen. Aber ich möchte Stapleton selbst sprechen. Damit er auch wirklich alles weiß über Aldag und sich nicht irgendwann beschwert: Hätte mir das jemand gesagt!

SZ: Wenn man nun nicht nur Aldag bewertet, sondern dazu die erwähnten Spanier, die ignoranten Verbände, die Astana-Clique um Andreas Klöden und so weiter - dies alles legt doch nahe, dass das alte System fortbesteht?

D'hont: Nach dem Festina-Skandal 1998 hat sich auch nichts geändert. Nur bei den Franzosen. Ich sage jetzt besser nicht, dass das ganze Feld damals weitergemacht hat. Aber ich sage: sehr viele.

© SZ vom 29.03.2008/aum - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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