Doping-Gerüchte:Die Wunde von Bern

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Eine Frage, die die deutsche Fußball-Welt bewegt: Haben sich die Weltmeister von 1954 gedopt?

Von Holger Gertz

Die Fortschritte im Bereich der Meteorologie haben dazu geführt, dass in Wetterberichten von einer tatsächlichen, messbaren Temperatur die Rede ist - und von einer gefühlten Temperatur. So ähnlich ist es auch bei der Gründung der Bundesrepublik Deutschland. Tatsächlich trat das Grundgesetz nach den Beratungen des Verfassungskonvents am 23.Mai 1949 in Kraft. Vom Gefühl her wurde die Republik aber erst zu einem Ganzen, als am 4.Juli 1954 beim Weltmeisterschafts-Finale der Stürmer Helmut Rahn aus dem Hintergrund schießen musste. Und schoss.

3:2 gegen Ungarn im Endspiel von Bern, das fortan nur noch "das Wunder" genannt wurde. Die Fußballer waren nicht einfach Fußballer, sondern Helden, der Trainer Herberger wuchs zum Chef, der Stürmer Rahn zum Boss. Alles zusammen ergab eine große Überhöhung, genannt: der Mythos. Elf wackere, kämpfende, eifrige Freunde aus einem nach dem Krieg übel beleumundeten Land hatten den Favoriten überwältigt.

Wann immer seitdem von deutschen Tugenden die Rede ist, wann immer sich einer ehrlich rackernd durchsetzt, auf dem Fußballplatz oder am politischen Konferenztisch: All das hat irgendwie seinen Ursprung in diesem Spiel, diesem Tor.

Und jetzt? Jetzt sollen sie gedopt gewesen sein, die Helden von Bern, sozusagen falsche Vierundfünfziger. Journalisten des Magazins Report haben Walter Brönnimann ausgegraben, den ehemaligen Platzwart des Berner Wankdorfstadions. Der sagt: "Ich habe nach dem Finale beim Putzen leere Ampullen unter Wasserablauf-Gittern gefunden." All die Jahre sei er zum Stillschweigen vergattert gewesen, aber jetzt, wo der fünfzigste Jahrestag des großen Spiels heraufdämmert und Reporter wühlen, rutscht dem einen oder anderen was raus. Der frühere Arzt des DFB, Franz Loogen, gibt zu, dass gespritzt wurde. "Da sind wir auf den Dreh gekommen, ein Vitamin C den Spielern zu geben. Und das haben sie auch bekommen. Vitamin C, sonst nichts."

Ob noch etwas anderes in den Ampullen war, wird sich kaum klären lassen, aber schon die verabreichten Mittelchen sind ja im Spiel gewesen, um die Wettkampf-Härte gesunder Wunderspieler zu erhalten. Also, man spricht über Ampullen, über verunreinigte Spritzen, die die geheimnisvolle Gelbsucht-Dichte der Fußballer nach dem Finale erklären könnten. Das Wunder scheint angekommen, wo aller Leistungssport irgendwann landet - in der medizinischen Abteilung. Was wie ein Sieg des Willens über den Körper aussah, könnte in gewissem Sinn stimuliert gewesen sein.

Die ganze Enthüllungs-Geschichte ist übrigens nicht neu, sie hätte schon vor 47Jahren so erzählt werden können. Damals, 1957, hatte der ungarische Kapitän Ferenc Puskas dem französischen Fachblatt France Football ein Interview gegeben, in dem er über Spritzen und Gelbsucht sprach und die Frage stellte, ob denn bei den Deutschen alles mit rechten Dingen zugegangen sei.

Puskas, die persona non grata

Sofort schmolz Puskas in Deutschland zur persona non grata. Beim Endspiel hatte der Reporter Herbert Zimmermann noch voller Ehrfurcht diesen Puskas besungen, den "ungarischen Majorrr". Nach dem Interview bekam er, einer der weltbesten Spieler, vom DFB Stadionverbot auferlegt, bis er sich schließlich halbwegs entschuldigte.

Die Zeiten waren nicht reif für eine Entmythologisierung. Vielleicht sind sie es jetzt, zum Jubiläum. Die Filme und Bücher, die ihn nähren, den Mythos, sind in der Mehrheit - Sönke Wortmanns "Wunder von Bern" geht in den Kinos bald in die 25.Woche. Aber es gibt auch Dokumentationen, die die Schatten von damals ausleuchten und das Schweigen der Männer nach dem Triumph nicht als Ausdruck ihres bescheidenen Charakters werten. Vielleicht sollten sie einfach nichts sagen, um nicht das Bild zu zerstören, das sie gemeinsam gemalt haben, an jenem Regentag in Bern.

Der Autor Jürgen Bertram zum Beispiel stellt in seinem Buch "Die Helden von Bern" Beziehungen her zwischen der grassierenden Gelbsucht und dem frühen Tod einiger Fußballer. Verschiedene Fernsehsender werden sich mit den Gerüchten beschäftigen, und es werden auch Bilder zu sehen sein, unter anderem solche, die zeigen, dass ein aberkanntes ungarisches Tor damals durchaus hätte gegeben werden können. Das 3:2, als Resultat, war vielleicht gar kein 3:2. Und ob es, als Mythos, seinen Geburtstag übersteht, muss man auch erstmal abwarten.

© SZ vom 1.4.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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