DFB-Stürmer im Aufwind:Schule des Sprinters

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Es ist die wohl erfreulichste Erkenntnis des Turniers: Der Angriff der Nationalmannschaftist nicht mehr zwingend als Krisengebiet zu orten.

Von Christof Kneer

Mallorca. Sardinien. Huntington Beach. Magische Worte sind das zurzeit im Quartier der deutschen Nationalmannschaft, und man darf davon ausgehen, dass die Spieler auf ihren Zimmern längst mit lustigen Zählspielen beschäftigt sind. Noch viermal schlafen bis zum Urlaub, noch dreimal, zweimal, einmal.

Einer von vielen Hoffnungsträgern im Sturm: Lukas Podolski. (Foto: Foto: AP)

Ein schönes Spiel ist das, das Problem ist nur, dass einer der Kollegen am Tag Null immer noch weiterzählt. Dreimal, zweimal, einmal, Mike Hanke hinkt den anderen hinterher. Wenn die anderen in den Flieger steigen, nimmt er vermutlich gerade die Autobahnabfahrt "Wolfsburg".

Mike Hanke unternimmt einen Selbstversuch in diesen Tagen, er testet, wie das ist, wenn man eine neue Saison beginnt, ohne die alte enden zu lassen. Der Stürmer Hanke, bis eben noch Schalker, gehört ab 1. Juli dem VfL Wolfsburg, welcher am 2. Juli ein UI-Cup-Spiel gegen Sturm Graz bestreitet. "Ich stehe ja gerade voll im Saft, und deshalb wollen die VfL-Verantwortlichen, dass ich da mithelfe", sagt Hanke. Dreimal, zweimal, einmal, er darf danach übrigens doch noch in den Urlaub, bis zum 18. Juli.

Keine Zeit für eine Sturmdebatte

Es ist sein erster Urlaub als Nationalspieler, und wahrscheinlich haben es noch immer nicht alle mitbekommen, dass da schon wieder ein Jungspund aufgekreuzt ist in Klinsmanns Kader. Aber wahrscheinlich ist das ein Kompliment. Das Land hat sich beim Confed-Cup auf die wichtigen Debatten konzentriert; geführt wurde erst eine süffige Abwehrdebatte, inzwischen steht auch die Torwartdebatte wieder in voller Pracht im Raum, für eine Sturmdebatte ist da keine Zeit gewesen.

Zwar haben die Verlage viel Farbe verbraucht, um ihre Zeitungen mit Bildern des Stürmers Podolski vollzudrucken, aber in den Texten hieß der Sportler nicht Podolski, sondern Poldi, und meist war dann von einem Comedy-Duo namens Poldi & Schweini die Rede.

Ballack erbarmt sich

Der Sturm ist kein großes Thema gewesen, das ist doppelt erstaunlich. Zum einen hat die DFB-Elf bislang bei diesem Turnier die meisten Treffer aufgehäuft (11), und zum anderen ist der Sturm ein Thema, der seit geraumer Zeit zu jeder anständigen Turnierberichterstattung gehört. Hilfe, Deutschland, wer soll unsere Tore schießen, so gingen die Geschichten in den Jahren 2004, 2002 und 2000, und die Trainer hatten oft nur die Wahl der Qual.

Im Jahr 2000 zog Erich Ribbeck mit Bierhoff, Jancker, Kirsten und Rink ins Turnier; zwei Jahre später musste der frischentdeckte Miroslav Klose die Altvorderen Jancker, Bierhoff und Neuville mitschleppen, worauf sich irgendwann Michael Ballack erbarmte und die Tore einfach selber schoss; und 2004 quälte sich Kevin Kuranyi als Solostreiter durchs kurze Turnier, weil ihm der außer Form geratene Klose keine Hilfe war und der kleine Podolski in Völlers Treue-Punkte-Skala zu wenig Einträge hatte, um als vertrauenswürdig zu gelten.

Es ist möglicherweise die erfreulichste Erkenntnis der letzten Monate, dass Deutschlands Angriff nicht mehr zwingend als Krisengebiet zu verorten ist. "Die Kirch-Krise hat die Klubs gezwungen, auf die Jungen zu setzen", sagt Mike Hanke, "und das hat vor allem den jungen Stürmern viel gebracht. Denn die teuren Spieler wurden zuvor ja oft für den Angriff gekauft."

Vorerst vorbei sind die Zeiten, in denen Bierhoffs klobiges Spiel als stilbildend galt; vorbei die Zeiten, in denen sich Jancker mit dem Rücken zum Tor in einen Gegner hineinwühlte, um sodann ein freundliches Heberchen vom Stapel zu lassen, welches freundlich ins Aus hoppelte. "Im Schnitt kommt die Mannschaft jetzt auf knapp drei Tore pro Spiel", sagt Klinsmanns Assistent Joachim Löw. "Das ist doch eine gute Quote."

Praktischerweise sind Kevin Kuranyi (23), Lukas Podolski (20), Miroslav Klose (27, zurzeit verletzt) und Gerald Asamoah (26) Stürmer von so unterschiedlicher Veranlagung, "dass sie sich in verschiedenen Kombinationen gut zusammenmischen lassen", so Löw. Längst können es sich die DFB-Trainer erlauben, kleinere Kräfteverschiebungen im Team mit einiger Gelassenheit zu moderieren.

Auswahl der Erben

Ist Kuranyi müde, stürmen Klose oder Asamoah zentral; ist Asamoah noch müder, rückt Podolski nach innen; braucht Podolski Schonung, kommt Hanke oder Oliver Neuville oder am Ende vielleicht der unverändert hochveranlagte Benjamin Lauth (23), "den wir weiter auf dem Zettel haben" (Löw). Allein Thomas Brdaric, der beim Confed-Cup auf der Bank saß, gilt eher als Hilfskandidat.

Noch weiß keiner, ob aus all den Begabungen am Ende ein Duo erwächst, das fürs höchste internationale Niveau taugt. Als gewiss darf dennoch gelten, dass Deutschland seit dem Duo Völler/Klinsmann nicht mehr so hoffnungsvoll aufgestellt war, und man kann es lustig finden, dass die großen Alten die eigenen Erben mit ausgesucht haben. "Stürmer wissen am besten, wie Stürmer ticken", sagt Mike Hanke, und es ist kein Zufall, dass Völler und Klinsmann ihre Begabungen schnell durchschaut haben.

Guter Hoffnung

Völler hat Miroslav Klose schon zur Nationalelf einbestellt, als sie ihn selbst in Kaiserslautern kaum kannten, und er hat auch früh gespürt, was der junge Kuranyi für ein kapitaler Bursche ist. Völler hätte ein radikaler Jugendförderer werden können, nur hat er, wenn es ernst wurde, seinem eigenen Ansatz misstraut. Er hat dann plötzlich Fredi Bobic aufgestellt oder Thomas Brdaric, obwohl der Prachtkerl Podolski auf der Bank daneben saß.

Es sieht so aus, als müsste Klinsmann zu Ende führen, was sich sein Sturmpartner Völler am Ende nicht traute, und die Talente sind guter Hoffnung: "Ich glaube, dass ich ein Stürmertyp bin, auf den Jürgen Klinsmann steht", sagt Mike Hanke. "Ich bin wie er auch nicht der Allerschnellste." In Wahrheit war Klinsmann ein gefürchteter Sprinter, aber er wird das Mike Hanke verzeihen: Als der die WM 1990 im Fernsehen sah, war er erst sieben Jahre alt.

© SZ vom 29.6.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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