DFB-Pokal-Finale:Wenn Männer weinen

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In einem Spiel voller Wendungen gelingt dem 1.FC Nürnberg der erste Titelgewinn seit 1968. Da verlor sogar Trainer Hans Meyer kurz seine Beherrschung.

Kathrin Steinbichler

Man kann von einem Fußballspiel nicht mehr verlangen als Tore, Emotionen und letztlich einen Gewinner. Doch manchmal erfüllt ein Spiel noch viel mehr als das und wird zu einem Abend, der weit mehr Geschichten erzählt als die vom Sieger und vom Besiegten. Das DFB-Pokalfinale 2007 war solch eine besondere Fußballbegegnung, und deshalb hilft es vielleicht, die schlichten Fakten vorab zu nennen: Der 1. FC Nürnberg hat den Deutschen Meister VfB Stuttgart nach 120 Minuten voller Wendungen und Aufregungen 3:2 (2:2, 1:1) besiegt und ist nach 45 Jahren wieder deutscher Pokalsieger.

Den Kopf im Topf: Der Nürnberger Verteidiger Javier Pinola schaut ganz tief hinein, in den Pokal. (Foto: Foto: AP)

Doch mehr lässt sich beim besten Willen nicht an Fakten allein erzählen, denn immer wieder im Laufe dieses Abends sah man Männer weinen - auf dem Rasen und auf den Rängen. Selbst Hans Meyer, sonst stets Herr über sich und seine Gefühle, hatte aus verschiedenen Gründen feuchte Augen bekommen. Als er nach der Pokalübergabe seine Ironie wiederfand, sagte er: "Unsere Mannschaft läuft eigentlich schon seit Wochen auf dem Zahnfleisch. Fragen Sie mich also bitte nicht, warum wir den deutschen Meister nicht an die Wand gespielt haben." Doch der Reihe nach.

Sintflutartiger Regen

Als das 64. DFB-Pokal-Endspiel im ausverkauften Olympiastadion begann, hatte sich Berlin endlich von einer Sauna in einen lauen Sommerabend gewandelt. Während des Frauenfinales, das der 1. FFC Frankfurt erst im Elfmeterschießen gegen den FCR Duisburg für sich entscheiden konnte, wusch ein sintflutartiger Regen die ganze Schwüle aus der Luft, die seit Tagen über der Stadt gelegen hatte.

Angenehm frisch wie die Temperatur starteten auch die beiden Mannschaften in die Partie. Nürnbergs Stürmer Marek Mintal versuchte sich schon nach sechs Minuten an einem Kopfball aufs Tor des scheidenden Timo Hildebrand, doch noch strich ihm der Ball ungelenk über den Scheitel. Stuttgarts Angreifer Cacau zog zwei Minuten später nach, doch sein Kopfball endete in den Armen von Nürnbergs Schlussmann Raphael Schäfer.

Abschied der Torhüter

Es waren die ersten Andeutungen zweier Duelle, die beide gefühlsbeladen enden sollten. Denn das Finale war auch das Abschiedsspiel der beiden Torhüter - Hildebrand verlässt den VfB nun, dem Vernehmen nach entweder ins spanische Valencia oder aber zum italienischen AC Mailand. Schäfer wiederum wird es sein, der Hildebrand im Stuttgarter Tor nachfolgen wird.

Cacau und Mintal wiederum sind beides Stürmer, die in dieser Saison intensiv daran gearbeitet haben, Erfolg zu haben: Cacau, um aus dem Schatten von Gomez zu treten; Mintal, um nach seiner langwierigen Fußverletzung zurück ins Leben eines Torjägers zu finden. Beides sollte auch gelingen, doch beides endete auch bitter.

Denn zunächst gelang Cacau mit feiner Technik das Beifall umtoste 1:0 (20.), als er eine Kopfball-Vorlage von Sami Khedira per Dropkick ins Netz beförderte. Doch nur elf Minuten später musste er unter Pfiffen vom Platz, nachdem Schiedsrichter Michael Weiner ihm nach einem Bauchstoß gegen Nürnbergs Andreas Wolf die rote Karte zeigte (31.). Da stand es bereits 1:1 nach einem Treffer von Marek Mintal (27.), der aus kurzer Distanz eine Flanke von Dominik Reinhardt an Hildebrand vorbei über die Linie gedrückt hatte.

Der Sünder: Cacau geht nach seiner roter Karte vom Platz. (Foto: Foto: AP)

Die anfängliche Dominanz des VfB war zunächst dahin. Nach dem Spiel entschuldigte sich Cacau bei seinen Kollegen: "Es tut mir sehr leid für die Mannschaft. Sie hat super gekämpft, aber leider hat es sich nicht gelohnt." Während also Stuttgart noch versuchte, mit dem Schock der frühen Unterzahl umzugehen, geriet der rauschende Lärmpegel aus Rufen und Reden im Stadion kurz ins Stocken.

Das üble Foul an Mintal

Marek Mintal, nach über einem Jahr Verletzungspause nach seinem Fußbruch erst kürzlich wieder genesen, lag mit schmerzverzerrtem Gesicht am Boden. Stuttgarts Meira hatte ihn eine Minute nach Cacaus Feldverweis mit Rage gefoult, und so musste Mintal nach der Euphorie des Ausgleichstreffers plötzlich auf einer Bahre vom Rasen - er kam mit Verdacht auf eine schwere Innenbandverletzung im Knie sofort in ein Berliner Krankenhaus (32.).

Auch er weinte, genauso wie der vom Spiel verbannte Cacau, und nicht nur aus Schmerz, vor allem wohl aus der Entttäuschung über die neue Zeit der Reha- und Aufbauarbeit, die auf ihn wartet. Für ihn kam Jan Polak (34.).

Doch auch in der Pause beruhigte sich dieser Abend nicht, gleich zwei Minuten nach Wiederanpfiff brachte Marco Engelhardt den 1. FC Nürnberg in Führung, und das Stadionrund tobte aufs Neue. Sein Kopfballaufsetzer zum 2:1 nach einer Ecke von Pinola schlug unhaltbar für Hildebrand unter der Latte ein (47.).

Danach sangen die Nürnberger Fans schon ausgiebig vom historischen Erfolg, den sie mit einem Spruchband im Stadion beschworen hatten: "Der Traum vom Finale wurde wahr - triumphiert und lasst uns heute in die Geschichte eingehen", hieß es auf einem langen weißen Band in der Ostkurve des Olympiastadions, wo sich die Nürnberger Fans gesammelt hatten.

Doch noch wollte der VfB Stuttgart selbst mit seinem ersten Double Historisches schaffen, und so kämpfte die dezimierte Mannschaft von Armin Veh, allen voran der unglaublich agile Khedira, um seine Chance im Spiel zu bleiben. In der 81. Minute schließlich wurden die Schwaben belohnt: Pavel Pardo glich aus und trug den VfB damit in die Verlängerung.

Zum Schluss ein Traumtor

Doch irgendwann musste auch dieses hin und her wogende Spiel einen Sieger finden, wie auch immer. Und so war es ausgerechnet ein Spieler, der zuvor nicht recht aufgefallen war, der einen Schlusspunkt setzte unter dieses Finale.

Als die meisten auf dem Platz nur noch mit ihrem Willen, nicht mit ihrer Kraft liefen, nahm sich Nürnbergs Jan Kristiansen noch mal ein Herz und schoss den Ball von der Strafaumgrenze zum 3:2 ins lange Toreck (109.). Elf Minuten später war das Spiel vorbei, und das Weinen begann. Auf den Zuschauerrängen, auf dem Rasen, selbst Hans Meyer wurde vom Moment übermannt, auf den Nürnberg 39 Jahre gewartet hatte. Doch auf solch ein Spiel lohnt sich das Warten.

(sueddeutsche.de)

Die Statistik des Spiels auf Seite 3

VfB Stuttgart - 1. FC Nürnberg 2:3 (2:2, 1:1) n.V. =

Stuttgart: Hildebrand - Osorio (68. Boka), Meira, Delpierre, Magnin - Pardo - Khedira (101. Tasci), Hitzlsperger - Hilbert, da Silva (46. Gomez) - Cacau. - Trainer: Veh

Nürnberg: Schäfer - Reinhardt, Wolf, Nikl (73. Spiranovic), Pinola (115. Banovic) - Kristiansen, Galasek, Engelhardt - Mintal (35. Polak) - Schroth, Sajenko. - Trainer: Meyer

Schiedsrichter: Weiner (Giesen)

Tore: 1:0 Cacau (20.), 1:1 Mintal (27.), 1:2 Engelhardt (47.), 2:2 Pardo (80., Foulelfmeter), 2:3 Kristiansen (109.) Zuschauer: 74.220 (ausverkauft) Rote Karte: Cacau nach einer Tätlichkeit (31.)

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